- Geleitwort von Kirchenpräsident Martin Heimbucher
- Editorial von Dagmar Purin
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Geleitwort
Kirchenpräsident Martin Heimbucher
»Herr, ich weiß, wir sind das auserwählte Volk – aber könntest du nicht ab und zu mal ein anderes auserwählen?« Der bitter-ironische Seufzer des Milchmanns Tevje aus dem Brodway-Musical »Anatevka« ist an theologischer Abgründigkeit kaum zu überbieten.
Erwählung geschieht im Exodus. Der Ruf Gottes erreicht sein Volk nicht im gelobten Land, sondern in der Wüste (Exodus 19). »Auserwählt« sein ist für Israel in seiner politischen Geschichte kein Privileg, sondern eine Last – bis hin zur Gefährdung seiner Existenz.
Tevjes Seufzer aber bedeutet auch ein Abwinken gegenüber jener Selbst- Erwählung, mit der es die Juden immer wieder zu tun bekommen. Heim gesucht war sein Schtetl von einem jener ungezählten Pogrome, in denen sich der Wahn von der »Enterbung« des Volkes Gottes durch die Christen entlud. Tevje wird sich mit seiner Familie auf den Weg machen. Die sich aber an ihre Stelle setzen, werden schon sehen, was sie davon haben.
»Es kann nicht zwei auserwählte Völker geben. Wir Deutsche sind das Volk Gottes.« So ließ Hitler sich 1934 zitieren. Er trieb damit den Enterbungswahn nationalreligös auf die Spitze. Hitler, der Pseudo-Messias, war theologisch ahnungslos, nebbich! Politisch aber zeitigten seine Erwählungsphantasien schreckliche Folgen, zuerst für die Juden in ganz Europa, am Ende aber auch für Deutschland selbst.
Nach solchen Erfahrungen muss die evangelische Kirche wissen, was sie tut, wenn sie den Israelsonntag unter das Leitwort von Psalm 33,12 stellt: »Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.« Sie akzeptiert damit die unverbrüchliche Solidarität, in die Gottes Erwählung Juden und Christen ein für allemal gestellt hat. Zugleich setzt sich die Kirche der Rückfrage aus, wie sie sich zu dem Anspruch einer in Jesus Christus nicht »aufgehobenen«, sondern radikalisierten Tora verhalten hat und verhält.
Wir werden auch nicht vergessen, dass der Israelsonntag in zeitlicher Nachbarschaft zum Tisch-a be-Aw steht, dem Gedenktag der zweimaligen Zer störung des Tempels in Jerusalem. Zu dessen Liturgie gehört Psalm 122 mit seiner jahrtausendealten Bitte: »Wünscht Jerusalem Frieden! Alle, die dich lieben, sollen hier glücklich leben!« Dieser Wunsch hat bis heute nicht an Dringlichkeit verloren.
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
ich grüße Sie und Euch von Herzen und freue mich, dass wir auch in diesem Jahr vielen Gemeinden und Interessierten unsere diesjährige Predigthilfe zum Israelsonntag in die Hand geben können.
Im Focus des diesjährigen Bandes steht der vorgeschlagene Predigttext aus dem Römerbrief (Römer 11,25-32). Eberhard Busch bringt diesen Text in einen Dialog mit den grundlegenden ersten beiden Thesen der Barmer Theologischen Erklärung, die im Mai vor achtzig Jahren auf der Synode der Bekennenden Kirche in Wuppertal-Barmen verabschiedet wurde.
Die Barmer Theologische Erklärung ist eines der wichtigsten Dokumente, ja Bekenntnisse (diese Nomenklatur sei einer reformierten Theologin gestattet) des letzten Jahrhunderts. Doch sie ist nicht nur aktuell in ihrer Theologie, sondern auch darin, dass sie uns daran erinnern muss, dass diese theologisch so richtige Erklärung die Diktatur in Deutschland und die Ermordung von mehr als sechs Millionen jüdischen Menschen nicht verhindert hat. Die Erwählung Israels wird 1934 in diesem Dokument der Bekennenden Kirche nicht thematisiert. Hier sind weite Kreise in Theologie und Kirche heute weiter gegangen – und gleichzeitig ist an anderen Orten ein deutlicher Rückschritt spürbar.
Gleich zu Beginn dieses Bandes nimmt uns die junge Israelin Hadas Cohen in ihrem Essay auf ihre schwierige Reise als Nachgeborene nach Deutschland mit und lässt uns an ihrer Zerrissenheit angesichts dieser deutschen und jüdischen Vergangenheit teilhaben. Wie Rabbiner David Fine aus New Jersey, der uns sowohl den Predigttext aus dem Römerbrief, als auch die Verse Exodus 19,5-6 auslegt, ist sie Stipendiatin des Programms Germany Close Up. Jedes Jahr reisen mit diesem Programm 250 junge meist amerikanische Jüdinnen und Juden, junge Berufstätige, Studierende und Rabbinerinnen und Rabbiner aus allen Bereichen des jüdischen Lebens für ein bis zwei Wochen nach Deutschland. Seit Beginn dieses Jahres gehört Germany Close Up nun zu Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und wir möchten Reflexionen aus diesem Programm auch in unsere Predigthilfe einbringen. Denn amerikanischjüdische Perspektiven sind im deutschen Diskurs sonst eher selten zu hören und bieten teils ungewöhnliche Perspektiven. So legt Rabbiner Fine dar, dass ein gewisses Maß an Stolz wichtig für die Moral sei und sieht eine Analogie zwischen der paulinischen Theologie und dem deutsch-französischen Verhältnis.
Während wir diese Predigthilfe im April vorbereiten, wird die Situation in der Ukraine immer bedrückender. Niemand kann abschätzen, wie das Leben dort sein wird, wenn Sie diese Zeilen nun einige Zeit später lesen. Der Bericht unserer Freiweilligen Carina Schweikert lässt uns an der Situation der letzten Wochen im Februar teilhaben – und unsere Gedanken und Gebete sind bei den Menschen in der Ukraine, insbesondere auch bei unseren jüdischen Projektpartnern, deren Situation so undurchschaubar erscheint.
Ein herzlicher Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, die für diese Predigthilfe ihre Texte geschrieben haben und ihre verschiedenen Stimme zu unserem Diskurs beitragen. Ein besonderer Dank gilt den Ehrenamtlichen, ohne deren stetiges Engagement kein einziger Band erschienen wäre. Ingrid Schmidt und Helmut Ruppel bilden nicht nur seit 2007 das Redaktionsteam, sondern gestalten den Inhalt der einzelnen Bände durch eine Vielzahl von Beiträgen maßgeblich mit. Auch Christian Staffa – nun auch ehrenamtlich bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste engagiert – danken wir für seine Mit arbeit und seine Verbundenheit.
Im Jahr der Barmer Theologischen Erklärung ist der ehemalige Geschäfts führer von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Volker von Törne geboren und viel zu früh im Jahr 1980 gestorben. Wir haben an ihn mit einer Veranstaltung gemeinsam mit dem Internationalen Auschwitz Komitee und der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim/Auschwitz gedacht und tun dieses insbesondere auch mit einer Reihe von Postkarten mit Auszügen aus seinen Gedichten, auf die wir sie in diesem Band hinweisen. Die Gedichte Volker von Törnes erinnern uns eindrücklich daran, dass Worte Macht besitzen und Kraft ent - falten können. Sie ermahnen zur Wachsamkeit achtzig Jahre nach der Barmer Theologischen Erklärung. Sie ermahnen zur Achtsamkeit in einer Zeit, in der zwar das Erinnern an den Holocaust zu einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit geworden ist – ob sich von Törne das hätte träumen lassen? – und gleichzeitig aber die Solidarität mit dem Jüdischen Volk oft nicht mehr als ein Lippen - bekenntnis zu sein scheint. Aus christlicher Perspektive kann diese Solidarität jedoch nur fundamental und unverbrüchlich sein, wie es uns die Autorinnen und Autoren dieses Bandes aus verschiedenen Perspektiven nachdrücklich einschärfen.
Und daher grüße ich Sie und Euch auch im Namen meiner Kollegin Jutta Weduwen von Herzen mit einem Gedicht von Volker von Törne, das für mich ganz persönlich eine Mahnung geworden ist, mich nicht mit den scheinbar zufriedenstellenden Zuständen abzufinden, sondern immer wieder neu zu buchstabieren, wie der biblische Auftrag an uns heute lautet – und welche Taten ihm folgen sollen.
Amtliche Mitteilung
Die Suppe ist eingebrockt:
Wir werden nicht hungern.
Wasser steht uns am Hals:
Wir werden nicht dürsten.
Sie spielen mit dem Feuer:
Wir werden nicht frieren.
Für uns ist gesorgt.
In Verbundenheit und mit Dank
Ihre und Eure
Dagmar Pruin
Inhalt
Kirchenpräsident Martin Heimbucher: Geleitwort
Dagmar Pruin: Editorial
Hadas Cohen: Unmöglichkeiten einer Transzendenz oder warum ich mich schlecht fühlte, weil meine Großeltern nicht Auschwitz überleben mussten
Helmut Ruppel:
Zuhören ist auch Gedenken. 410 Gedenkblätter für Marie Jalowicz Simon
Ingrid Schmidt: »Ich bin eben durchs Netz geschlüpft und freue mich dankbar des Lebens.« – Friedl Dicker-Brandeis – eine vergessene Künstlerin?
I Anstöße aus der biblischen Tradition
Rabbiner David J. Fine: Erwählt durch Gott (Exodus 19,5-6)
Helmut Ruppel: »Ganz Israel wird gerettet werden …« (Röm 11,25-32) Fiktives Gespräch mit Klaus Wengst auf der Grundlage seines Gangs durch den Römerbrief
Rabbiner David J. Fine: Der Glaube und die Akzeptanz des Anderen (Römer 11,25-32)
Helmut Ruppel: Zum Verlernen (1): »Alttestamentarisch«? – Alttestamentlich!
Gisela Kittel: Die Kirche im Chor der Glückssucher? Notwendige Notizen zur Jahreslosung
Helmut Ruppel: Liturgie für den Gottesdienst am Israelsonntag, 24. August 2014 – 10. Sonntag nach Trinitatis
II Anstöße aus der theologischen Tradition
Eberhard Busch: Das Erbarmen und das Gebot des Einen Gottes. Die Barmer Theologische Erklärung, 1934 – 2014, gelesen im Blick auf Römer 11,25-32
III Materialien für die Gemeinde
Helmut Ruppel und Ingrid Schmidt: Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums / Amos Oz und Fania Oz-Salzberger, Juden und Worte / Jürgen Ebach, Beredtes Schweigen / Hinrich C. C. Westphal, Heiter bis heilig / Christian Lehnert, Korinthische Brocken / Katja Petrowskaja, Vielleicht Esther / Anne C. Voorhoeve, Unterland / Jugendbücher zum Thema »Erster Weltkrieg«
IV ASF-Freiwillige berichten
Carina Schweikart: Es gibt immer mehr als eine Wahrheit
Rebecca Hasenkamp: Es steht acht zu neun
Melina Stainton: Er lässt mich in sein Leben
Kollektenbitte für Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Autor_innen, Bild- und Fotonachweise
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