Israel und die Diaspora: Die aktuelle Krise

Ein Auszug aus dem Essayband von Micha Brumlik, "Wann, wenn nicht jetzt. Versuch über die Gegenwart des Judentums" (2015).

Am Sonntag, den 6. März 2016, wird in Hannover im Rahmen der diesjährigen feierlichen Eröffnung der bundesweiten "Woche der Brüderlichkeit" die Buber-Rosenzweig-Medaille an den Erziehungswissenschaftler und Publizisten Micha Brumlik verliehen. Mit der vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR) vergebene Auszeichnung werden Persönlichkeiten geehrt, die sich in besonderer Weise um den christlich-jüdischen Dialog verdient gemacht haben. Ende letzten Jahres legte der Preisträger dieses Jahres, Micha Brumlik, einen Essayband vor mit dem Titel "Wann, wenn nicht jetzt", in dem es ihm um einen "Versuch über die Gegenwart des Judentums" geht. Nachfolgend präsentieren wir einen Ausschnitt aus dem ersten Kapitel dieses Bandes.

(JCR)


Israel und die Diaspora: Die aktuelle Krise

Die Wiederwahl Benjamin Netanyahus 2015 fiel mit dem vierten Jahrestag des Beginns des syrischen Bürgerkriegs zusammen. Während die Gründung des Staates Israel in mehr als 60 Jahren 700.000 palästinensische Araber zu Flüchtlingen machte und in sechs Kriegen mit dem Tod einiger Tausend Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten einherging, kostete der syrische Bürgerkrieg nach Angaben der UN aus dem Jahr 2015 in vier Jahren 250.000 Menschen das Leben und führte bisher zum Flüchtlingselend von zwölf Millionen Menschen.

Die nackten Zahlen belegen, dass es sich bei diesen Konflikten um unvergleichliche Größen in humanitärer Hinsicht handelt. Dass freilich der Palästinakonflikt die politische Einbildungskraft nicht nur in Deutschland so viel stärker beschäftigt als alle sonstigen Konflikte auf der Welt, liegt keineswegs daran, dass er der Schlüssel zur Lösung aller Probleme der Region wäre. Es liegt vielmehr daran, dass Israel ein von Juden gegründeter Staat ist und als eine Reaktion auf die von Deutschen und anderen Europäern vollzogene Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden gilt.

Während der syrische Bürgerkrieg eine aktuelle, wenn auch verdrängte Katastrophe darstellt, erweist sich der Israel/ Palästina-Konflikt als ein mentales, normatives Problem insbesondere für westliche Staaten, vor allem aber für Deutschland. Während es in Syrien um Hilfe und Unterstützung von Flüchtlingen und Verletzten, um das Vermeiden weiteren Tötens gehen müsste, geht es bei Palästina/Israel (nur) um vernünftige, im besten Sinne moralische Haltungen. Das hat niemand anders als Kanzlerin Merkel zum Ausdruck gebracht, als sie im Jahre 2008 vor der Knesset die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärte.

Was ist dieses Bekenntnis nach Netanyahus glaubwürdiger Absage an eine ‚Zwei-Staaten Lösung‘ – nach der Wahl nur halbherzig relativiert – noch wert? Stellt es noch immer ein Bekenntnis zu Israel als ‚jüdischem Staat‘ dar? Als ein ‚jüdischer‘ Staat, der offenbar noch nicht ‚jüdisch‘ genug ist – warum sonst wäre die vorherige Regierung Netanyahu am Plan einer ‚Jewish Nation Bill‘, also einem Gesetz, das Israel zum „Jüdischen Staat“ erklären sollte, gescheitert? Die Ironie der Geschichte will es, dass ausgerechnet Netanyahu und seine Likudpartei mitsamt ihren rechtsextremen bzw. klerikalen Satelliten gezeigt haben, dass Israel de facto ein binationaler, ein jüdisch/arabischer Staat ist. Sofern es – was durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hatte – in Jerusalem 2015 zu einer großen Koalition gekommen wäre, hätte die ‚Vereinigte Liste‘, ein Zusammenschluss arabischer Parteien mit 14 Sitzen, die Führung der Opposition übernommen. Dieser Fall ist freilich nicht eingetreten.

Nach seinem unerwartet deutlichen Wahlsieg im März 2015 vollzog Benjamin Netanyahu zwei symbolische Handlungen, die für die Zukunft des Judentums in und außerhalb Israels wenig Gutes verheißen. Er besuchte die Klagemauer in Jerusalem und ließ sich dabei filmen, wie er einen Zettel in die Außenmauer des herodianischen Tempels – dem letzten Rest des Prachtbaus eines hellenistischen Tyrannen – steckte. Fromme Juden schreiben auf diese Zettel persönliche, Familie und Gesundheit betreffende Bitten, manche auch politische Wünsche. Der orthodoxe Philosoph und Chemiker Yeshayahu Leibowitz (1903–1994, Träger des renommierten Israel Preises) forderte angesichts dieser abergläubischen, götzendienerischen Praxis, das ganze Gemäuer in die Luft zu sprengen. Noch schwerwiegender als Netanyahus Zettel dürfte freilich eine von der hiesigen Presse kaum beachtete mündliche Äußerung des Premiers anlässlich dieses Besuchs sein: „Here in this place“, so Netanyahu, „I am awed by the historical significance of a people renewing itself in its homeland after 4000 years.“[1] Indem er seinen Wahlsieg, den er der eindeutigen Ablehnung jeder Zwei-Staaten-Lösung verdankte, mit einer Erneuerung des jüdischen Volkes gleichsetzte, beschwor er nicht nur einen nationalreligiösen Mythos, sondern untermauerte damit seine wiederholt geäußerte Absicht, die besetzten palästinensischen Gebiete nie mehr zurückzugeben. Diese Absicht hatte er schon vor seiner Reise nach Washington – ebenfalls mit einem Besuch an der Klagemauer – bekundet; auch sonst nahm er in vielen Reden Bezug auf die Geschichte des im Herzen des Westjordanlandes gelegenen Hebron und der biblischen Erzväter.

Das aber ist mythische Politik in eben dem Sinne, in dem Serbiens Führer Slobodan Miloševic einst das Amselfeld und in dem deutsche Vertriebenenverbände Ostpreußen und die Marienburg beschworen. Netanyahus Mythos wird übrigens von keiner historischen Forschung gedeckt, sondern erweist sich als purer Fundamentalismus: Als ‚Juden‘ sind Juden keine viertausend Jahre lang bekannt: Ausweislich der biblischen Bücher, vor allem des Schriftpropheten Jeremija (44,1) – er wirkte im 7. Jahrhundert vor der Zeitrechnung sowie des Buches Ester (3,6) – es entstand wahrscheinlich im 3. Jahrhundert – waren ‚Juden‘ die dem Gott Israels verpflichteten exilierten Bewohner der persischen Provinz Yehud. Es war der Prophet Jeremija, der den in die Verbannung Geführten zurief: „Suchet das Wohl der Stadt, in die ich Euch in die Verbannung geführt habe und betet für sie zu Gott, denn in ihrem Wohl wird auch Euer Wohl liegen“ ( Jer 29,7) und der damit als Erster eine Theologie und Theorie der jüdischen Diaspora artikulierte. Sie aber ist heute aktueller denn je. Denn mit seiner Absage an einen palästinensischen Staat und seinen Plänen, Israel per Gesetz zum Staat der jüdischen Nation zu erklären, hat Netanyahu bewusst und gezielt die universalistischen, moralischen Werte des Judentums aufgekündigt. Im Buch Exodus (23,9) schon werden die Kinder Israel ermahnt, Fremde nicht zu bedrängen, waren sie doch selbst Fremde in Ägypten! Weil Netanyahu außerdem im Wahlkampf vor den zur Wahl gehenden ‚Arabermassen‘ gewarnt hatte, bemerkte die israelische Politikerin Shelly Yachimovich, eine Sozialdemokratin, über diese Äußerungen, dass kein westlicher Politiker sich jemals trauen würde, derart rassistisch daherzureden.

Was aber für die westlich liberalen, die aufgeklärten Bürger Israels gilt, gilt allemal für die größte jüdische Diaspora, diejenige in den USA. Zwar ist nicht zu bezweifeln, dass sich mit den Jahren ein stetig wachsender Anteil jüdischer Amerikaner den konservativen Republikanern angenähert hat, gleichwohl stehen Juden in den USA traditionell den Demokraten nahe und werden daher dem Staat Israel in seiner jetzigen politischen Verfassung langsam aber sicher ihre Solidarität entziehen. So schrieb Peter Beinart, Politologe und prominenter Kritiker der israelischen Regierung nach der Wahl in Haaretz über ihre Bedeutung:

It means loving Israel more than ever, and opposing its government more than ever. It means accepting that, for now at least, the peace process is over and the pressure process must begin.[2]

Entzug der Solidarität? Mit einer Ausnahme – den möglichen (genozidalen) iranischen Nuklearwaffen. Juden haben nach Adolf Hitlers frühen Ankündigungen leidvoll erfahren müssen, dass Vernichtungsdrohungen nicht nur leeres Geschwätz, sondern ernsthafte Vorhaben darstellen können. Daher steht die jüdische Diaspora auch dort, wo sie sich in großem Selbstbewusstsein mit wachsendem Antisemitismus in ihren jeweiligen Ländern auseinandersetzt, in einer paradoxen Situation: So sehr viele, keineswegs alle Juden der Diaspora Netanyahus nationalistische, verbalrassistische Politik ablehnen, so sehr sind sie doch nach den Erfahrungen des Holocaust mit Blick auf Leben und Überleben der israelischen Juden und damit der nichtjüdischen Bewohner Israels und Palästinas mit dem israelischen Staat solidarisch. Gleichwohl ist für die nahe Zukunft mit einer wachsenden Entfremdung zwischen dem jüdischen Israel und der jüdischen Diaspora sowie mit zunehmenden Konflikten innerhalb der jüdischen Diaspora zu rechnen: keineswegs nur in den USA, sondern auch in Europa, zumal in Deutschland.

Was sind überhaupt Juden, was ist das Judentum? Dazu werden heute mehrere Vorschläge diskutiert: das Judentum als Religion, als Konfession, als Glaubens- sowie als ‚Schicksalsgemeinschaft‘. Die religiöse Definition leidet daran, dass keineswegs der größte Teil der weltweit etwa zwölf Millionen Juden intensiv gläubig ist, Tora lernt, regelmäßig Gottesdienste besucht und sich strikt an Festtage und häusliche Rituale hält; zweitens das Judentum als ethnische Nation im Sinne des Volksbegriffs des späten 18. Jahrhunderts, als Sprach- und Herkunftsgemeinschaft; drittens als eine ‚Kultur‘, die – wie erst kürzlich die israelischen Autoren Amos Oz und Fania Oz-Salzberger in ihrem Buch Juden und Worte nachweisen wollten – eine einzigartige, Jahrtausende alte Literal-, eine Buch- und Schrifttradition aufweist.[3] Viertens wird das Judentum als ‚Schicksalsgemeinschaft‘ verstanden: als eine Großgruppe von Menschen, die ohne scharfe Trennlinien durch teils geteilte Traditionen, Anfeindungen der Umwelt sowie ein vages Gemeinschaftsbewusstsein zusammengehalten wird.

Die israelische Krise, die von Benjamin Netanyahu und seinen Koalitionspartnern ausgelöst wurde, resultiert primär aus Diskussionen um das oben erwähnte, immer noch nicht verabschiedete Gesetz, nach dem der Staat Israel zum ‚Staat des jüdischen Volkes‘ erklärt werden würde. Ziel dieses Gesetzes sollte es u. a. sein, Israels arabischen Nachbarn, vor allem den Palästinensern, zu verdeutlichen, dass eine friedensstiftende Anerkennung Israels nur dann vorliege, wenn der Staat Israel als ‚jüdischer Staat‘ und nicht lediglich als faktischer, im Rahmen des internationalen Rechts bestehender Staat und im Rahmen noch zu verhandelnder Grenzen existierender Staat anerkannt wird. Radikalere Varianten des damaligen Gesetzesentwurfs, von Netanyahus noch weiter rechts stehenden Koalitionspartnern eingebracht, zielten zudem darauf, Arabisch als bisher zweite Amtssprache aufzuheben und damit die nichtjüdischen Bürger zu Bürgern zweiter Klasse zu degradieren.

Die Vertreter der von Netanyahu Ende 2014 entlassenen, im weitesten Sinne liberalen Koalitionspartner, der ehemalige Finanzminister Yair Lapid und die ehemalige Justizministerin Tsipi Livni, argumentierten dagegen, dass das, was dieses Gesetz im besten Fall zum Ausdruck bringen kann, ohnehin schon in der als Verfassung geltenden israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948 steht. Dort heißt es:

Der Staat Israel […] wird auf den Grundlagen der Freiheit, Gleichheit und des Friedens, im Lichte der Weissagungen der Propheten Israels gegründet sein; er wird volle soziale und politische Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Religion, der Rasse und des Geschlechts gewähren; er wird die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, der Sprache, der Erziehung und Kultur garantieren; er wird die Heiligen Stätten aller Religionen sicherstellen und den Grundsätzen der Verfassung der Vereinten Nationen treu sein.[4]

Tatsächlich: Der Staat Israel verstand sich dem Geist dieser Unabhängigkeitserklärung nach als jüdischer und demokratischer Staat; jüdisch vor allem deshalb, weil das 1950 verabschiedete ‚Rückkehrgesetz‘ jeden Juden auf der Welt berechtigt, dorthin einzuwandern – im Unterschied zu den im Krieg von 1948 von israelischen Milizen und Armeen vertriebenen etwa 700.000 Palästinensern, denen ein Rückkehrrecht versagt wird.

Ein erster Entwurf zu dem geplanten Gesetz wurde bereits im August des Jahres 2011 von Avi Dichter, einem Mitglied der Partei „Kadima“ vorgelegt. Mehr als drei Jahre später, im November des Jahres 2014, publizierte Netanyahus Büro die von ihm bevorzugte Version des Gesetzes:

The State of Israel is the national state of the Jewish People. It has equal individual rights for every citizen and we insist on this. But only the Jewish People have national rights: A flag, an anthem, the right of every Jew to immigrate to the country and other national symbols. These are granted only to our people in its one and only state.[5]

Dem entspricht schon ein Teil der gegenwärtigen Rechtslage. Tatsächlich gab und gibt es zwar eine israelische Staatsangehörigkeit, aber keine israelische Nationalität und damit auch keinen israelischen Souverän, kein israelisches Staatsvolk. So wies das höchste israelische Gericht im August des Jahres 2013 einen Antrag von 21 israelischen Staatsbürgern, in ihren Personalpapieren unter der Rubrik ‚Nationalität‘ anstatt ‚jüdisch‘ ‚israelisch‘ eintragen zu lassen, mit dem Hinweis auf seine Unzuständigkeit ab. Seither gilt, dass Bürger israelischer Staatsangehörigkeit entweder eine ‚jüdische‘, eine ‚arabische‘ oder ‚drusische‘ Nationalität und damit unterschiedliche kollektive Rechte haben.

Das Ende 2014 geplante Gesetz – auch in der relativ weichen Fassung Netanyahus – könnte endgültig festschreiben, was der an der Ben-Gurion-Universität lehrende Geograf Oren Yiftachel schon seit Jahren behauptet: dass nämlich der Staat Israel keine Demokratie, sondern eine „Ethnokratie“ sei. In Ethnokratien verbirgt sich – so Yiftachel – hinter einer demokratischen Fassade die systematische Vorherrschaft einer ethnischen Gruppe; weitere Beispiele neben Israel sind Estland, Lettland, Serbien, Kroatien, Malaysia und Sri Lanka, zu denken wäre heute auch an das sogar vom US-amerikanischen, republikanischen Senator John Cain als „neofaschistisch“ bezeichnete Ungarn. Dass nämlich Israel eine „Ethnokratie“ ist, konnte der an der Universität Beer Sheva Geographie lehrende Oren Yiftachel in seinem bereits 2006 erschienenen Buch “Ethnocracy”. Land and Identity Politics in Israel/Palestine nachweisen.[6]

Sind Ethnokratien somit rassistisch? Gewiss nicht, wenn man unter ‚Rassismus‘ den exterminatorischen Biologismus der Nationalsozialisten versteht, wohl aber, wenn man die am 7. März 1966 von den Vereinten Nationen verabschiedete Resolution gegen ‚racial discrimination‘ zugrunde legt. In dieser Konvention bedeutet der Ausdruck „rassische Diskriminierung“ jede sich auf Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft gründende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, die Anerkennung, den Genuß oder die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in gleichberechtigter Weise im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens zu vereiteln oder zu beeinträchtigen.

Der Staat Israel hat diese Konvention 1966 unterschrieben und dreizehn Jahre später, im Januar 1979, in der Knesset ratifiziert. Abgesehen davon, dass der Staat Israel mit der möglichen Verabschiedung des neuen Gesetzes seine Unterschrift unter der UN-Konvention zurückziehen müsste, werden aber auch die Beziehungen des selbst ernannten jüdischen Staates zur weltweiten jüdischen Diaspora massiv belastet. Tatsächlich soll das geplante, die nichtjüdischen Bürger Israels weiter diskriminierende Gesetzgebung im Namen aller Jüdinnen und Juden auf der Welt verabschiedet werden: ohne dass diese jedoch die Möglichkeit haben, an dieser Gesetzgebung auch nur im Geringsten geregelt mitzuwirken.

Indes: Noch während des Wahlkampfs 2014 protestierten maßgebliche Persönlichkeiten der israelischen Politik, einschließlich des Staatspräsidenten Reuven Rivlin, gegen die geplante Gesetzgebung; schon heute wenden sich wesentliche Verbände des US-amerikanischen Judentums gegen den Vorschlag. Abzusehen ist daher, dass jene Juden der Diaspora, die die prophetischen, die universalistischen Werte des Judentums über nackten Partikularismus und blinden Selbstbehauptungswillen stellen, sich von Israel und dem Zionismus abwenden werden. Die damit aufziehende Krise, die künftige Spaltung des Judentums zeigt sich vor allem in den USA. Dabei geht es ausnahmsweise nicht um die ‚außenpolitische‘ Frage des israelischen Verhältnisses zu den Palästinensern, sondern um die Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora. So bahnt sich in der Frage des geplanten Gesetzes eine Allianz zwischen den ansonsten verfeindeten ultraorthodoxen Antizionisten und der größten US-amerikanischen Denomination, dem Reformjudentum an. So hat die renommierte Holocaust- Forscherin Deborah Lipstadt, eine streitbare Unterstützerin Israels, vor einiger Zeit, im Dezember 2014, im Wall Street Journal davor gewarnt, dass das geplante Gesetz es Israels Feinden ermöglichen werde, respektabel aufzutreten. Lipstadt beansprucht, mit ihrem Protest gegen das geplante Gesetz nur das Beste für den Staat zu wollen. Aber auch der Vorsitzende der bisher die Regierung Netanyahu bedingungslos unterstützenden Anti Diffamation League, Abraham Foxman, distanzierte sich. Vor allem aber protestierten rabbinische Vereinigungen sowie jüdisch-theologische Hochschulen. So haben am 30. November 2014 die Vorsitzenden der Vereinigungen des US-amerikanischen konservativen Judentums, das nicht mit dem Reformjudentum identisch ist, in einer Resolution offiziell dazu aufgerufen, von einem Gesetz Abstand zu nehmen, das Israels sozialen Zusammenhalt sowie seine kostbarsten ethischen Werte schwächen werde.

[1] Zit. n. Herb Keinon: Netanyahu at Western Wall: I’m Honored by Election Win, Will Do Everything to Protect Israel. In: Jerusalem Post, 18.03.2015. http:// www.jpost.com/Israel-Elections/Netanyahu-at-Kotel-I-am-honoredby- election-win-and-will-do-everything-to-protect-Israel-394322 (Zugriff am 05.10.2015).

[2] Peter Beinart: With Netanyahu’s Reelection, the Peace Process Is Overand the Pressure Process Must Begin. In: Haaretz, 19.03.2015. http://www. haaretz.com/opinion/.premium-1.647682 (Zugriff am 30.09.2015).

[3] Amos Oz / Fania Oz-Salzberger: Juden und Worte. Berlin: Suhrkamp 2013.

[4] Zit. n. Friedrich Schreiber / Michael Wolffsohn. Nahost. Geschichte und Struktur des Konflikts. Opladen: Leske + Budrich 1987, S. 128.

[5] Zit. n. Tamar Pileggi: Ministers Debate Softened Version of ‘Jewish State Bill’. In: The Times of Israel, 12.07.2015. http://www.timesofisrael.com/ knesset-committee-to-debate-new-version-of-jewish-state-law/ (Zugriff am 30.09.2015).

[6] Oren Yiftachel: “ Ethnocracy”. Land and Identity Politics in Israel/Palestine. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2006.

Editorische Anmerkungen

Obiger Auszug mit freundlicher Genehmigung des Neofelis-Verlags, Berlin. Für bibliographische Angaben zum Buch siehe die Rezension von Hans Maaß, hier auf JCR.