Holocaust-Gedenktag

Ansprache des Präsdienten des Internationalen Rates der Christen und Juden (ICCJ) bei einer Gedenkveranstaltung zum Internationalen Holocaust-Gedenktag in Wien am 27. Januar 2015:

1947 versammelten sich in dem schweizerischen Ort Seelisberg ein paar Dutzend Christen zu einem Treffen, das als „Notstandskonferenz zum Thema Antisemitismus“ bezeichnet werden kann. Mit Hilfe einer Anzahl jüdischer Teilnehmer – unter ihnen als wohl bekanntester der französische Historiker Jules Isaac – verfassten sie eine bahnbrechende und wegweisende Erklärung, die als „Eine Ansprache an die Kirchen“ betitelt war, weitaus bekannter unter dem Titel „Die zehn Punkte von Seelisberg“.

Bestürzt über die Erkenntnis, dass jahrhundertewährende anti-jüdische christliche Lehrmeinungen zu dem Klima beigetragen haben, das den Holocaust möglich machte, waren sie entschlossen, „jegliche Form der Präsentation und Konzeption der christlichen Botschaft zu vermeiden, sofern sie Antisemitismus in welcher Form auch immer fördern könnte“. Stattdessen galt ihr Bestreben, eine neue und positive Beziehung zwischen Juden und Christen zu schaffen.

Ihre Leistungen sind die Geburtsstunde der Organisation, der ich als Präsident vorzustehen die Ehre habe, - des Internationalen Rates der Christen und Juden. Und man kann sagen, dass sich der Internationale Rat der Christen und Juden von Anbeginn an, durch die Vision Martin Bubers, dessen Wohnhaus in Heppenheim, in Deutschland, der Organisation heute als Hauptsitz dient, hat leiten lassen. In der Zeit nach den schrecklichen Gräueln der Shoah, schrieb Buber: „ TROTZ ALLEM ……… können die Völker auch in dieser Stunde in einen echten Dialog miteinander treten.“

Dies führt uns zu einer entscheidenden Frage anläßlich dieser Gedenkveranstaltung: Die Vergangenheit kann nicht geändert werden! Egal wie entsetzlich auch immer, egal wie sehr wir es uns auch wünschen mögen, es liegt nicht in unserer Macht, sie zu ändern. “Alles was wir tun können, ist zu entscheiden, was wir mit der Zeit tun, die UNS gegeben ist“ – so John Ronald Tolkien.

Deshalb: Wie können wir im Jahr Zweitausendundfünfzehn, in einer Zeit, in der die Welt von Gewalt und Terrorismus erschüttert wird, der Millionen Männer, Frauen und Kinder, die durch das Naziregime ermordet wurden, am besten gedenken - und sie ehren? Was sollen wir tun?

Sicherlich gibt es hierauf viele prinzipielle Antworten. Eine davon ist der Auftrag und die Arbeit des Internationalen Rates der Christen und Juden. Und ich sage dies ausdrücklich als Christ, denn ich bin davon überzeugt, dass das geradezu unaussprechlich Böse des Holocaust nichts weniger als einer fest-verwurzelten und profunden religiösen Antwort bedarf.

Wie Papst Johannes Paul, der Zweite, schrieb [Zitat]: „Für Christen muss die schwere Last der Schuld an der Ermordung der Juden ein beständiger Ruf zu Reue und Umkehr sein; dadurch können wir jede Form des Antisemitismus überwinden und eine neue Beziehung zu unserem Brudervolk des Alten Bundes aufbauen. Schuld darf nicht erdrücken und zu selbst-quälerischen Gedanken führen, sondern muss immer der Ausgangspunkt für [einen reuevollen Wandel des Herzens] sein.“

Solchen Pionieren wie denjenigen, die sich vor bald siebzig Jahren in Seelisberg versammelten, verdanken wir, dass uns heute eine Zeit gegeben ist, die beispiellos in der Geschichte der Religionen ist. Hetzrede ist durch Dialog ersetzt worden. Bischöfe und Pfarrer lernen in Jeschivot – jüdischen Lehrhäusern – und Synagogen, Rabbiner feiern die Einsetzung eines neuen Papstes; Professoren kooperieren bei interdisziplinären und interreligiösen Forschungsprojekten und Publikationen, und überall auf der Welt betreiben Juden und Christen Dialog im privaten Rahmen und in den Gotteshäusern. Dies hat es NIEMALS vorher gegeben!

Ich bin überzeugt davon, dass es – egal in welchem Land wir leben – die Verantwortung unserer Generation ist, die wundervollen Möglichkeiten, die diese Gelegenheiten uns präsentieren, zu entdecken. Doch es ist noch viel Arbeit zu leisten. Die Gewohnheiten aus Jahrhunderten lassen sich nicht in einigen Jahrzehnten ablegen.

Aber dennoch, wenn nach circa eintausenachthundert Jahren Christen und Juden solch wichtige Schritte unternehmen können, um ihre Beziehung geprägt von Feindschaft und Entfremdung in die Anfänge von Freundschaft und Solidarität zu wandeln, dann ist dies ein Zeichen der Hoffnung für viele andere (und kürzer bestehende) interreligiöse Konflikte, die unseren Planeten heimsuchen.

Argwohn in Freundschaft zu wandeln ist auch Auftrag des Internationalen Rates der Christen und Juden und seiner nationalen Mitgliedsorganisationen in vierzig Ländern. Für uns bedeutet dies heutzutage auch, die bereichernden Beziehungen zu Moslems durch unser Internationales Abrahamisches Forum weiterzuentwickeln. Es scheint uns, dass auch solche Bemühungen ein durchaus passender Weg sind, den Opfern des Holocaust die ihnen gebührende Erinnerung zuteil werden zu lassen. Wir fordern jeden auf, ähnliche Bemühungen zu unternehmen.

Mit tiefem Dank für die Ehre, diese Gedanken bei der heutigen Gedenkveranstaltungen mit Ihnen teilen zu dürfen, versprechen wir die Vision des gegenseitigen interreligiösen Respekts und die damit verbundene Bereichung auch in Zukunft weiterzuverfolgen.

Herzlichen Dank!