„Gehe hin und tue desgleichen!“

Interessant und historisch lehrreich wäre es, sich auf Spurensuche zu begeben und durch die Stadt zu flanieren. Denn an Orten des Wirkens Heinrich Grübers in Berlin hat es nicht gefehlt. Er gehörte buchstäblich ins Stadtbild. Zeitungen berichteten fast täglich etwas Neues, manchmal auch Schwieriges, aber wichtig war es immer.

 

 


(Copyright Foto: SLUB/Deutsche Fotothek, Abraham Pisarek)

 
In der Oranienburger Straße erinnert eine Tafel an das nun schon legendär gewordene „Büro Pfarrer Grüber“. Übrigens – eine Bezeichnung, die von den NS-Behörden geprägt wurde. Das andere Quartier „ An der Stechbahn“ wird man vergebens suchen. Auch das „Heirich-Grüber-Haus“, die einstige Propstei und Dienstsitz in der Bischofsstraße hinter der Marienkirche ist nicht mehr vorhanden. Dieses wurde im Zuge der Umgestaltung des Stadtbildes und der Errichtung des Fernsehturms zu DDR-Zeiten abgerissen. Bekannt ist natürlich die Jesus-Christus-Kirche in Kaulsdorf, in deren Gemeinde er von 1934 bis 1945 (ausgenommen 1940–1943) als Pfarrer Dienst tat. In Zehlendorf wurde 1959 das Margarete-und-Heinrich-Grüber-Haus eröffnet. Seinen Wohnsitz hatte er nach 1945 in Dahlem.  Die Erinnerung wird zwar an anderen Orten bewahrt und gepflegt – hat aber nicht die Ausstrahlungskraft, die ihr gebühren würde. Es fehlt nach wie vor ein Haus, das mit Räumen für Veranstaltungen, einer kleinen Ausstellung und einer Präsenzbibliothek einen Sammelpunkt bilden könnte.

 


Die eindrucksvolle Persönlichkeit Heinrich Grübers zu beschreiben, ist nicht leicht. Auf dem Hintergrund seiner Zeit, die als eine Zeit der Aufbrüche und Umbrüche charakterisiert werden kann, traf er Entscheidungen und kam zu Ergebnissen, die ihresgleichen suchen. Schon als Schüler schrieb er in einem der großen Schulaufsätze, dass er einmal etwas tun möchte, um die Welt zu verbessern.  Dass sein Geburtstag - 24. Juni - einen Bezug zu einer bedeutenden biblischen Person hatte, war ihm ein Zeichen des Himmels. Sprache, Denken und logisches Handeln bildeten bei ihm eine Einheit. „Sprache“ – damit ist nicht nur das gesprochene Wort gemeint. In seinem Verständnis von Sprache lag eine Tiefe, die in seinem Glauben wurzelte.  Als Mensch, geschaffen zum Ebenbild Gottes und nicht nur „Geschöpf“, angesprochen mit Namen in der Taufe sollte er Partner Gottes sein, Mitgestalter Seines Werkes.

Grüber wuchs in Stolberg bei Aachen in einer Landschaft und einer Familie der Weltoffenheit auf – er lernte neben Deutsch auch Holländisch und Französisch – und das blieb nicht ohne einen starken Eindruck auf seine gesamte Erziehung und Bildung. 

Nach dem Theologiestudium war er zunächst in diakonischen Einrichtungen tätig. An den Waldhof in Templin kam er 1926, dessen Leitung er 1927 übernommen hatte. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurde er entlassen, denn seine Erziehungsziele ließen sich mit der Staatsideologie nicht vereinbaren. Mit diesem Makel im Hintergrund blieben seine zahlreichen Bewerbungen für das Pfarramt längere Zeit aussichtslos, bis ihn schließlich die Kirchenleitung nach Kaulsdorf berief.  Nach Kriegsende wurde Grüber von Bischof Dibelius zum Propst der Berlin-Brandenburgischen Kirche ernannt. Dieses Amt bekleidete er bis 1958.

Eine der hervorragendsten Gedenkveranstaltungen der letzten Jahre war die Podiumsdiskussion zur 50. Wiederkehr des Eichmann–Prozesses in Jerusalem am 21. März 2011 im Centrum Judaicum.

Zu diesem außergewöhnlichen Abend lud die Berliner Gesellschaft für Christlich-Jüdische-Zusammenarbeit und die Evangelische Hilfsstelle zu Vortrag mit Aussprache in die Oranienburger Straße ein und der große Saal war gut besetzt.

Es lag eine gewisse Atmosphäre des Unheimlichen in der Luft. Wird es ein Erinnern sein, aus dem wir Heutigen noch etwas lernen können oder wird es vergleichbar mit anderen Gedenkveranstaltungen etwas Routiniertes an sich haben?

Auf dem Podium saßen als Sprecher: Staatssekretär a.D. Dr. Klaus Bölling und Walter Sylten, Inge Deutschkron hatte abgesagt. Die Moderation lag bei Dr. Peter Krause.

Die Erinnerung an die Zeit um 1961 in Israel zu wecken, ist unter dem Eindruck der gegenwärtigen Spannungen im Land nicht leicht. Das Bild Deutschlands zu dieser Zeit unterschied sich wesentlich zu dem von heute. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen lag noch als Aufgabe in der Zukunft. Das Land befand sich im Aufbau. Die zionistische Idee beflügelte den Willen und das Leben des Volkes. Der Last und der schweren Schatten der schlimmen Vergangenheit versuchte man sich zu erwehren, nicht zuletzt durchs Schweigen. Die deutsche Sprache war aus dem Alltag verbannt. Europa hatte seinen Glanz für unbestimmte Zeit verloren.

Die Rückkehr in das Land der Väter und der Neubeginn mit der Gründung des Staates gab dem Leben genug an Stoff. Dazu kam, dass die arabischen Staaten, das junge Staatswesen von Anfang an bedrohten.

Die Bedeutung, die dem Eichmann-Prozess auf diesem Hintergrund zukommt, ist einmalig. Er erschütterte nicht nur das Land, mit ihm auch die Weltöffentlichkeit und gab Impulse dafür, sich auch der Vergangenheit zu öffnen.

Einen geradezu historischen Eindruck hinterließen die Zeugenaussagen Heinrich Grübers, als einzigem nichtjüdischem Deutschen, die in einer TV- Dokumentation noch einmal präsent wurden. Jedes mal wenn ich diese seine Worte und seine Stimme höre, erkenne ich in ihm einen wunderbaren Menschen, von hohen ethischen Prinzipien und einer überzeugenden christlichen Haltung der Nächstenliebe.  Inge Deutschkron im Zitat: „Die Tatsache Grüber 1961 in Jerusalem war eine Irritation. Die Israelis fingen an, an ihrem Deutschlandbild zu zweifeln.“ 

Der Name Propst Grübers war im ganzen Land schlagartig bekannt und man brachte ihm großen Respekt und viel Sympathie entgegen. Sein Aufruf zur Versöhnung bewegte die Herzen. Er wurde erhört.

Die Aufmerksamkeit der beiden Zeitzeugen galt auch intensiv der Person Adolf Eichmanns. Was für ein Charakter war er? Die Dokumentation ließ ebenso seine Person vor Augen treten, den kleinen fast unscheinbar wirkenden, aber in eisiger Kälte blickenden Mann, den Hannah Arendt als die „Banalität des Bösen“ karikiert hatte. Unheimlich klingt das Bekenntnis A. Eichmanns: „Dafür habe ich ein zu rechtschaffenes Leben geführt, als dass ich vom Satan gelenkt wäre. Ich glaube an die Liebe Gottes und ich glaube auch jetzt noch, dass Gott mich führt. An einen Satan glaube ich nicht.“

Wie viel Verantwortung hat er wirklich getragen, er, der sich bloß als Schreibtischtäter verstanden wissen wollte?  Und – war das Todesurteil berechtigt?

Männer, wie Martin Buber, lehnten das Urteil aus religiösen Gründen ab. Da Heinrich Grüber selbst danach befragt wurde, möchte ich seine eigene Meinung dazu zitieren. Vor der Deutsch-Israelischen Studentengruppe an der Universität Göttingen gab Propst Grüber folgende Erklärung:

    "Ich bitte zuerst auf eine Frage eingehen zu dürfen, die mir in diesen Tagen oft gestellt wurde, und die heute einer Beantwortung bedarf. Sie wissen, dass in dieser Nacht das Urteil an Adolf Eichmann vollstreckt wurde, nachdem der Staatspräsident einen Gnadenerweis abgelehnt hat. In der letzten Zeit ist man von den verschiedensten Seiten an mich herangetreten mit dem Ersuchen, ich sollte, da ich Gegner der Todesstrafe sei mich auch in diesem Falle gegen die Vollstreckung der Todesstrafe aussprechen.


    Als das Urteil erstmals verkündet wurde, hat es keine drei Stunden gedauert, bis die ersten Pressevertreter bei mir waren, um meine Stellungnahme zu dem Urteil zu erkunden. Damals sagte ich, dass ich kein Recht habe, über dieses Urteil zu urteilen oder es zu verurteilen. Ich habe in dem Gerichtsverfahren – sowohl bei den Richtern wie bei den Vertretern der Anklagebehörde – Männer von solch hohen juristischen und ethischen Qualitäten kennengelernt, dass ich nur größten Respekt vor ihnen und ihrer Urteilsfindung habe und eine Kritik ablehne.


    Auch jetzt muss ich es ablehnen, einen Antrag auf Gnadenerweis zu stellen. Als Deutscher glaube ich keine innere Berechtigung zu haben, dem Staatsoberhaupt des Staates Israel eine Bitte vorzutragen oder gar einen Ratschlag zu geben. Bei israelischen Staatsbürgern, wie den Professoren Buber und Bergmann, ist es anders, sie können sich an ihr Staats- oberhaupt und an ihre Regierung wenden. Ich war mir auch nicht immer klar, ob es nur ethische oder religiöse Gesichtspunkte waren, die manche veranlassten, gegen die Todesstrafe in diesem Volk Stellung zu nehmen. Ich habe einige Ältere gefragt, wo ihr Feingefühl und ihre Humanität war, als Millionen Menschen ermordet wurden.


    Die Jungen frage ich, was unternehmt ihr gegen die Juristen, die einmal im 3. Reich die Todesstrafe verhängt haben, obwohl eine Zuchthausstrafe möglich gewesen wäre. Noch in diesen Tagen hat der Justizminister Gideon Hausmann mitgeteilt, dass von 54 belasteten Juristen nur 14 von der vorzeitigen Pensionierung Gebrauch gemacht haben.


    Eine ganz andere Frage ist, ob ein Gnadenerweis angebracht ist bei einem Manne, der, wie wir hören, bis zuletzt keine Reue zeigte und auch kein Wort der Verzeihung fand. Ich habe bei meiner Vernehmung dem Assistenten des RA Servatius, der mich aufsuchte, gesagt, er möchte Eichmann veranlassen, in aller Öffentlichkeit eine Bitte um Verzeihung auszu sprechen. Bei den vielen Menschen im Zuschauerraum und an dem  Rundfunk und an den Fernsehapparaten, vor allem in dem Land Israel, sind neue Wunden aufgebrochen. Er könne durch ein solches Wort vielen Menschen, über die er Leid gebracht hat, etwas von der Bitterkeit nehmen. Ich ließ ihm sagen, Leid kann zum Segen werden, Bitterkeit nie.


    Als ich am Schluss meiner Aussagen von Vergebung sprach, in die ich auch Eichmann mit einbeziehen wollte, versuchte ich dadurch, ihm die Möglichkeit zu einer solchen Erklärung leichter zu machen. Eichmann hat es nicht verstanden, und viele haben das Wort von der Vergebung, die wir erstreben, nicht verstanden und mir in etwa verübelt.


    Dankbar bin ich der Regierung des Staates Israel, dass sie die Möglichkeit gegeben hatte, dass ein Seelsorger Eichmann besuchen konnte, so oft dieser es wünschte. Mit dem Tode Eichmanns ist die Diskussion über Urteil und Vollstreckung für mich abgeschlossen. Das Problem, das der Prozess stellte, muss weiter behandelt werden.“

Im Jahr 1964 wurde Grüber mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ durch den Staat Israel ausgezeichnet. 1967 fand die feierliche Zeremonie mit Baumpflanzung in Yad Vaschem, Jerusalem, statt.

Grübers Leitwort aus dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, das Jesus als Antwort auf die Frage nach dem Nächsten gegeben hat: „Gehe hin und tue desgleichen“, hat mit dem Motto der Woche der Brüderlichkeit im kommenden Jahr 2017, einem Ausspruch Hillels, eine gute Entsprechung gefunden: Nun gehe hin und lerne!


LITERATURANGABEN


Zitat der Rede:

„Zeuge pro Israel“, Reihe: Pro Israel, Berlin 1963.


Heinrich Grüber:

„Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten“, Köln, Berlin 1968.


DONA NOBIS PACEM

Sammelband von Freunden zum 65. Geburtstag 1956, Berlin 1956.


Beate Barwich (Hrsg.)

Veni creator spiritus. Heinrich Grüber - Gerechter unter den Völkern, Leipzig 2014

Editorische Anmerkungen

Beate Barwich, Jahgang 1945, Theologin, Religionspädagogin und Autorin.

 

Sie studierte Theologie und Judaistik in Berlin und Tübingen. Sie wirkte an der Herausgabe des TAVO (Tübinger Atlas des Vorderen Orients) wissenschaftlich mit. Sie war im kirchlichen Dienst in Esslingen/N., sowie im Schuldienst als Religionslehrerin an Grund- und Realschule und Gymnasium tätig, begleitet vom Auftrag als Referentin in der kirchlichen Erwachsenenbildung. 2007 wurde sie in den Leitungskreis der AG Judentum und Christentum der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Berlin, gewählt.

 

2014 erschien das Buch „Veni Creator Spiritus, Heinrich Grüber – Gerechter unter den Völkern“ in der Ev. Verlagsanstalt, Leipzig.