Geborgen unter den Fittichen der Schekhina

Die Anwesenheit des stets wirkenden Gottes mitten unter seinem Volk ist eine grundlegende Glaubensaussage im Judentum.

Geborgen unter den Fittichen der Schekhina

Es wird vie! über die Besonderheiten jüdischer Glaubensinhalte and über christliche Parallelen diskutiert. Als Zentrum der jüdischen Religion gilt das Verweilen des Einen Gottes mitten in der Gemeinschaft seines erwählten Volkes, in seinen Institutionen, in seinen geschichtlichen Entwicklungen and in jedem einzelnen Mitglied des Volkes. Ein einleitendes Zitat aus dem Midraschwerk Tanchuma B, Paragraph 38 (Wayyera) kann an das gläubig Gemeinte heranführen: „Gott sprach: In dieser Welt werden durch Vermittlung israelitischer Gerechter (Zaddikim) Einzelne zu Proselyten (= Konvertiten). Aber in der kommenden Welt werde Ich die Gerechten aus den Völkern (goyim) heranführen and sie unter die Flügel der Schekhina (= der göttlichen Gegenwärtigkeit) bringen. Es heißt ja: ,Alsdann will ich den Völkern reine Lippen geben, damit alle den Namen des Ewigen anrufen and ihm unter demselben Joch dienen”` (Zef 3,9). Die hier zwischen Israel and den Völkern sich bewegende Schekhina deutet eine sich stets erneuernde Verbundenheit Gottes mit Israel and mit den Weltvölkern an.

Schekhina: der begleitende Gott

Wörtlich bedeutet Schekhina Einwohnung (von sch-k-n: wohnen, sich niederlassen, sich aufhalten). Gemeint ist der Glaube an den immer wieder mitten in der Gemeinschaft des Volkes Gottes – also in erster Linie beim jüdischen Volk – begleitend, lenkend, schützend and rettend wirkenden Einen Gott. Durch seine Schekhina setzt Gott sein früheres persönliches „Hinabsteigen” zu den Menschen – zu Adam and Eva, zu Abraham, zu den in Ägypten unterdrückten Israeliten, zu Mose, zum Berg Sinai usw. – fort (laut Avot deRabbi Nathan I, 34, S. 102). Die Schekhina ist in biblischer Zeit Ausdruck des Bundes Gottes mit seinem Volk. Sie hat sich an Israel „angeklebt” (schekhina dabeqa) and geht daher mit Israel überall hin – auch ins Exil.

Der Begriff der Schekhina ist wahrscheinlich bereits in vorchristlicher Zeit aus Jes 57,15 herausgelesen worden: „So spricht der Hohe and Erhabene, der ewig Thronende: Ich throne in der Höhe, im Heiligtum. Dennoch bin ich bei den Zerknirschten and Demütigen, urn den Mut der Gebeugten and das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben.”

 

Die Vorstellung vom „ewig Thronenden” (schokhen ad) inspirierte jüdische Bibeldeuter wohl schon in vorrabbinischer Zeit zu dem ähnlich klingenden Wort Schekhina. Ebenfalls anregend wirkten biblische Aussagen, wonach Gott die Israeliten durch die Wüste hindurch mit sichtbaren Zeichen begleitet hatte: „Der Ewige zog vor ihnen her, tags in einer Wolkensäule, urn ihnen den Weg zu zeigen, and nachts in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten” (Ex 13,21). Dazu heißt es im Targum Jeruschalmi: „Die Herrlichkeit der Schekhina ist in einer Feuersäule vor dem Volk hergegangen, um den Verfolgern den Weg zu verfinstern.”

Reich Gottes, Wort Gottes, Heiliger Geist

In der rabbinischen Homilie zu Sach 2,14, „Juble and freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme and wohne in deiner Mitte", wird gesagt, daft der Ewige „Seine Schekhina für die in die Welt kommenden Menschen aus den Höhen des Himmels herabbringt und auf Erden ruhen läßt”. lm Zusammenhang mit dieser Aussage wird in der gleichen Homilie erklärt, dass der Heilige Geist and die durch das Reich Gottes durchschimmernde Herrlichkeit (kavod) Gottes von der Schekhina zum Ausdruck gebracht werden: „Gottes Gegenwart in Israel soll Israel vor aller Welt bestätigen." Gott will in der Mitte Israels sein, „um das Lob Israels allen Bewohnern der Welt kundzutun, dass der Heilige, gelobt sei Er, für sie Seine Schekhina aus den Höhen des Himmels herabbringt and sie auf Erden ruhen läßt”. Uberall, wo sich die Schekhina zum göttlichen Ruhen zur Erde hinunter bewegt, ruht auch der Heilige Geist.1

Saadja Gaon (882-942) ersetzte den Begriff Schekhina mit kavod (Herrlichkeit). Er wollte dadurch christlich-personale Deutungen der Schekhina abwehren. Kavod wiesfür ihn eindeutig auf ein geistiges, nichtpersonales, Gott zugehöriges Sein hin, das nach kabbalistischem Verständnis in den Se­firot zur Wirkung kommt.2 In seinem Werk Emunot we-Deot (Glaubenslehren und Meinungen) schrieb er: „Throne wurden aufgestellt und der Hochbetagte setzte sich (vgl. Dan 7,9). Dieses Bild deuteten die Weisen als Schekhina. Das speziell Geschaffene (= die Throne) besteht aus Licht ohne die Form einer Person. Es ist das göttliche Licht, das Schekhina genannt wird.”3

Nach kabbalistischer Auffassung ist die Schekhina der kreative Aspekt des Geistes Gottes. Im Sohar (1:lb; 3,191a-193b) wird die Schekhina deshalb auch „Wort” (davar) oder „Worte” (devarim) genannt. Mose, der die Worte Gottes an das Bundesvolk weitergegeben hat, habe damit der Schekhina sich stets vergrößernde Zielorte vermittelt. Gott wirkt durch die Schekhina zusammen mit der ihm ergebenen Menschheit an der Wiederherstellung der durch die Sünden der Menschen beschädigten Schöpfung. In der Schiur Qoma-Mystik (5.-7. Jh.) wurde bisweilen über die Größe des Körpers der göttlichen Schekhina diskutiert. Die Gottgestalt habe z. B. die Größe von 236 000 Meilen. Später wurden solche Überlegungen als Irrlehre verurteilt.4

Förderlich für das Kommen der Schekhina zu den Mitgliedern des Bundesvolkes ist u. a. das ernsthafte Studium der Tora: „Wenn zwei sitzend sich mit der Tora befassen, ist die Schekhina mit ihnen. Und wenn auch nur einer sich mit der Tora befaßt, ist die Schekhina mit ihm” (bBer 6a). In den Sprüchen der Väter (mAv 3,7) wird die Präsenz der Schekhina noch weiter ausgedehnt: Wenn zehn, wenn fünf, wenn zwei oder wenn auch nur ein Mensch sich in die biblische Offenbarung vertieft, ist die Schekhina anwesend. Das Studium der Tora bewirkt eine begleitende Realpräsenz der göttlichen Schekhina.

Dasselbe gilt für das Gebet. Im Tempelgebet „Zum Zion kommt der Erlöser” heißt es: „Gelobt sei Er, unser Gott, der uns zu Seiner Ehre geschaffen hat und uns von den Irrenden getrennt hat, der uns die Tora der Wahrheit gegeben hat und der ewiges Leben in unserer Mitte eingepflanzt hat [...].”5

Wahrscheinlich kann der hier verwendete Ausdruck, „der ewiges Leben in unsere Mitte eingepflanzt hat”, auch als „der die Schekhina in unsere Mitte – oder in unsere Seele – eingepflanzt hat” gedeutet werden. Es ist eine häufige jüdisch-mystische Aussage, dass die Schekhina in der Seele des gesetzestreuen Menschen weilt. Jedes Mitglied des Volkes Gottes hat die Aufgabe, für den Tikkun ha-Olam, für die Wiederherstellung der Welt bzw. der Gottesbeziehung der Menschen und der Welt, mit der Schekhina zusammenzuarbeiten.

Lazarus Goldschmidt formuliert den in rabbinischen Texten wiederholt geäußerten Urwunsch Israels, „dass die Schekhina in Israel ruhen möge”, mit den Worten, „dass die göttliche Niederlassung auf Israel ruhen möge”. Dahinter steht die Vorstellung von Gott als dem überragenden König des Himmels und seines irdischen Volkes: „Gepriesen sei der Erbarmer, der das Königtum auf Erden wie das Königtum im Himmel eingerichtet hat und der euch [Israeliten] Macht und Gerechtigkeit verliehen hat” (bBer 58a). Der als König seines Volkes gepriesene Gott befiehlt den Israeliten, alles Unreine aus ihren Aufenthaltsorten zu entfernen, „weil ich mitten unter ihnen wohne” (Num 5,3).

Ein ebenfalls vielfach auf die Schekhina hin gedeuteter biblischer Satz lautet: Die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanu-El (Gott mit uns) geben" (Jes 7,14). Im rabbinischen Judentum wird Immanu-El mit Immanu-Schekhina (mit uns ist die Schekhina) wiedergegeben (bHag b).

Der Tempel – Wohnort der Schekhina

„Der Ewige ist im Haus Seiner Heiligkeit. Der Ewige thront im Himmel. Seine Augen sehen, Seine Wimpern prüfen die Söhne Adams” (Ps 11,4). Der Psalmenmidrasch knüpft daran an: „Während des ganzen Bestehens des Jerusalemer Tempels war die Schekhina in seiner Mitte anwesend, denn es heißt: ,Der Ewige thront im Himmel.' Rabbi Eleasar ben Pedat sagte: ,Mag ein Heiligtum zerstört oder nicht zerstört sein – die Schekhina weicht nicht von ihrem Ort' [...] Rabbi Acha sagte: ,Niemals weicht die Schekhina von der Westmauer des Tempels; es heißt ja: Mein Geliebter steht hinter unserer Hauswand. Er späht durch unsere Gitter” (Hld 2,9).

Der Jerusalemer Tempel wurde als jener Ort verehrt, der in den Himmel hinaufreicht und in den der Thron Gottes hinunterreicht (vgl. Jes 6,1: Der Saum seines Gewandes füllte den Tempel aus). Gottes Herrlichkeit ist demnach im Himmel und auf Erden, im Tempel, bei den ihn anbetenden und im Gottesdienst preisenden Engeln und Menschen. Laut einer rabbinischen Deutung von Sach 2,9 sagte Gott: „Ich und mein ganzer Hofstaat – wir werden eine Mauer für Jerusalem in der kommenden Welt sein.“6 Wo immer eine Wohnstatt Gottes (Tempel, Gebets- oder Lehrhaus) zerstört wird, bleibt Gott am Platz der Zerstörung anwesend.

In bMeg 26a wird gesagt, daß der Stamm Benjamin jenen Landesteil Israels besessen hat, auf dem das Allerheiligste des Tempels gebaut war. Dazu sagt ein rabbinischer Diskutant: „Es war dem Benjamin beschieden, ein Wirt für die Schekhina zu sein.” In diesem Zusammenhang wird anderwärts gesagt, dass sich „das Lager der Schekhina” in der Tempelhalle befinde, „in deren Mitte Ich wohne” (vgl. Num 5,3). Das Lager der Schekhina ist der „reale Ort” für das Wirken der Priesterschaft und der im Tempel ebenfalls anwesenden und wirkenden Engel.

In bMeg 29a wird von Rabbi Eleasar ha-Kappar (um ca. 180 n. Ztr.) gesagt: „Dereinst werden alle Bet- und Lehrhäuser von Babylon weg ins Land Israel verpflanzt werden; es heißt ja: ,Wie der Tabor unter den Bergen und wie der Karmel an der Meeresküste, rückt einer herein' (Jer 46,18).1 [...] Wenn diese beiden Berge, die sich nur bewegten, um die Tora zu hören (am Ende der Tage), ins Land Israel einrücken werden, um wieviel mehr die Bet- und Lehrhäuser, in denen die Tora studiert und gepflegt wird.”

Im rabbinischen Judentum sind Gotteshäuser und theologische Lehrhäuser Orte der helfenden Anwesenheit Gottes, d. h. der Schekhina. Nach einer Deutung von Ex 20,24 sagt Gott zu jedem Israeliten: „Wenn du in mein Haus kommst, will ich in dein Haus kommen. Meine Füße führen mich an den Ort, den mein Herz liebt. Daher sagen die Weisen: ,Wo immer zehn Personen sich in einem Bethaus versammeln, ist die Schekhina mit ihnen zusammen” (Mekh zu Ex 20,24; Horov. 243). Dieser Glaube an die Anwesenheit Gottes wurde auch vom Christentum übernommen. Er ist ein Hinweis auf die enge Verbundenheit von Gott und Mensch und auf die Verpflichtung des Menschen zur Mitarbeit mit Gott an der Erneuerung der Welt.

Die Schekhina — Ernährerin und Erlöserin

Aus der erstaunlichen Aussage, dass sich Gott dem Mose und damit dem ganzen Volk Israel im brennenden Dornbusch geoffenbart hat (Ex 3,2), wurden Folgerungen über die alles Geschöpfliche durchdringende Anwesenheit Gottes gezogen. In der Pesikta deRav Kahane (Pesk 1,2) wird die Frage nach dem Sinn der sich in einem kargen Dornengestrüpp zeigenden Offenbarung Gottes beantwortet: „Es gibt auf Erden keinen Ort ohne die Schekhina.” Dieselbe Antwort findet sich in Shemot Rabba 2 und in anderen rabbinischen Zitaten (z. B. in bBB 25a). In der Mekhilta zu Ex 18,12 wird die Schekhina als Ernährerin aller Menschen geschildert. Rabbi Zadok sagte, dass ein noch größerer als Gamliel und Abraham die Menschen bedient: „Dies ist die Schekhina, die allen Erdenbewohnern Speise nach ihren Bedürfnissen besorgt und alle zum Wohlgefallen sättigt. Sie tut dies nicht nur für die Geraden und Gerechten, sondern auch für die Frevler und Götzendiener.”

An anderen Stellen werden Einschränkungen gemacht. In bBer 7a wird tradiert, dass Mose Gott bat, „dass die Schekhina nicht auf den Völkern der Welt ruhen möge, und der Ewige gewährte es ihm.” In diesem Zusammenhang wird in tSanh 13,2 erst festgestellt, „Alle Nichtisraeliten (goyim) haben keinen Anteil an der kommenden Welt.” Dann wird mildernd hinzugefügt, dass es auch unter den Völkern Gerechte gibt, „die Anteil an der kommenden Welt haben ".

 

Die positive Wertung von nichtisraelitischen Gerechten hat in spätrabbinischer Zeit zu neuen Heilsüberlegungen geführt. Laut dem Midrasch zum Hohenlied (1,3) sagte Rabbi Berekhia (um 349 n. Chr.): „Die Israeliten sprachen zu Gott: Dadurch, dass Du der Welt Licht bringst, wird Dein Name groß in der Welt. Dein Licht ist die Erlösung.”

Endzeitliche Befreiung aus dem Exil

In yTaan 64 (1,2) heißt es: „An allen Orten, wohin Israeliten verbannt wurden, wurde die Schekhina mit ihnen verbannt.” Dieser Gedanke wird oft mit der Zerstörung des Tempels und der Vertreibung aus dem Land Israel in Zusammenhang gebracht. „Wegen der Sünde des Blutvergießens ist das Heiligtum zerstört worden und die Schekhina ist von Jerusalem weggewichen. Es heißt ja: ,Ihr sollt das Land, in dem ihr wohnt, nicht entweihen und nicht verunreinigen. Denn auch Ich, der Ewige, wohne mitten unter den Israeliten' (Num 35,33 f.). Wenn ihr es aber verunreinigt, werdet ihr nicht darin wohnen, und auch Ich wohne nicht darin"(bShab 33a).

In mehreren rabbinischen Stellen wird der Glaube zum Ausdruck gebracht, dass die Glieder des Volkes Israel einst zusammen mit Gott aus der Umklammerung der Völker befreit werden. Gott bleibt ja nach jüdischer Glaubensüberzeugung „auch in der Verbannung seinem Volk gegenwärtig. Israel hört auch im Exil nicht auf, Stätte des Reiches Gottes zu sein.”7

Im Seder Eliahu Rabba (Par. 11, S. 53) heißt es: „Wer Recht und Wohltätigkeit übt und wer Seelen am Leben erhält, der ist so, als würde er den Heiligen, gelobt sei Er, von den Götzendienern erlösen. [...] In dieser Stunde spricht der zu lobende heilige Gott: Wer erlöste mich und meine Schekhina und Israel aus der Mitte der Götzendiener? [...] (Die Schekhina spricht:) Mein Vater im Himmel, mögest Du Wohlgefallen haben an Deinen Knechten, den Israeliten! Du bist es ja, der alle Weltenbewohner errettet und alle Werke Deiner Hände, die Du in der Welt geschaffen hast.”8

Mit der Schekhina, die Gott, Israel und die Welt einander näherbringt, ist der Eine Gott gemeint. Er ist der Beauftrager und der von sich aus Beauftragte. Dies deuten auch folgende, von gläubigen Juden gerne wiederholte Zitate an: „Wohin immer die Israeliten verbannt wurden, wurde die Schekhina mit ihnen verbannt. Die Schekhina war bei ihnen, wie es heißt: ,Ich habe mich selbst in deine Familien hinein verbannt, als sie in Ägypten waren' (1 Sam 2,27). Sie wurden nach Babylon verbannt, und die Schekhina war bei ihnen; es heißt ja: ,Euretwegen wurde ich nach Babylon geschickt' (Jes 43,14). Sie wurden nach Edom verbannt, und die Schekhina war bei ihnen; es heißt ja: ,Wer ist jener, der aus Edom kommt, aus Bosra in rotgefärbten Gewändern?' (Jes 63,1)” (Mekh ed. Horowitz-Rabin 51 f.). Ergänzend heißt es in Sifre zu Num 10,35: „Wann immer Israel geknechtet ist, verknechtet sich die Schekhina sozusagen mit ihnen. Es heißt ja: ,Bei all ihrer Not ist auch Er in Not' (Jes 63,9).”

Gott ist durch seine Schekhina auch dort anwesend, wo Israeliten in der Fremde leben. In der Schekhina begleitet er sie und führt sie als Mitleidender in das Land Israel zur Einheit des erwählten Volkes zurück. Mit den mehrfach in den Midraschim geschilderten gemeinsamen Wanderungen und Leiden Gottes und der Israeliten werden Hoffnungen auf ein endgültiges göttlich-israelitisches Zusammenkommen verknüpft. In der Mekhilta Bo 14 (Horov. 52) heißt es: „Und wenn die Israeliten einst (aus Exil und Isolation) zurückkehren werden, wird die Schekhina gleichsam mit ihnen zurückkehren.”

Nach Midrasch Deuteronomium Rabba 6,14 zu Dtn 24,9 ist die Zusage aber auch mit einer Warnung verknüpft: „Weil es in dieser Welt Verleumder unter euch gegeben hat, habe ich meine Schekhina von eurer Mitte entfernt. Aber in der zukünftigen Welt, wenn ich den bösen Trieb aus eurer Mitte entfernt habe, bringe ich meine Schekhina in eure Mitte zurück. Es heißt ja: ,Danach werde ich meinen Geist über alles Fleisch ausgießen' (Joel 3,1). An mehreren Stellen wird die Schekhina auch als Belohnung für die Gerechten geschildert: „In der kommenden Welt gibt es weder Essen noch Trinken noch Fortpflanzung noch Vermehrung. [...] Vielmehr werden die Gerechten mit den Kronen auf ihren Häuptern dasitzen und sich am Glanz der Schekhina ergötzen!” (bBcr 17a).

Bekehrung zu Gott, Aufnahme in sein Bundesvolk und Bestimmung für die ewige gemeinschaftliche Seligkeit werden im talmudischen Schrifttum oft als Bergung unter die Fittiche der Schekhina gedeutet. Dem edlen Hillel (ca. 20 v. Chr.), der andere zum Glauben an den Gott Israels führte, dankte ein Bekehrter mit den Worten: „Mögen Segnungen auf deinem Haupte ruhen, denn du hast mich unter die Fittiche der Schekhina geführt.” Andere sagten: „Die Reizbarkeit Schammais wollte uns aus der Welt verstoßen, die Sanftmut Hillels aber hat uns unter die Fittiche der Schekhina gebracht” (bSchab 31a).

Abschließende Bemerkungen

Der Mensch soll vor der Schekhina, also vor dem im irdischen Bereich wirkenden Gott Respekt haben. Er darf auch nicht versuchen, Gott schauen zu wollen. In bKet 111b wird warnend auf Dtn 4,24 hingewiesen: „Denn der Ewige, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer.Dann wird gefragt: „Ist es denn möglich, der Schekhina anzuhangen?” Statt einer Antwort wird gesagt, man solle jene Menschen fördern, die sich um die Tora bemühen. Dies werde einem angerechnet, „wie wenn man der Schekhina anhangen würde”. Doch die Schekhina ist auch der in das Leben des Menschen hineinschimmernde Gott. Von daher drängt sich ein Dialog – als Gebet, als Lobpreis, als Bitte — geradezu auf, ein Zusammenwirken zwischen Gott und den gläubig in seinem Bund stehenden Menschen.

Israel und die anderen Völker sollen lernen, die Geheimnisse des Lebens – auch dunkle Tatsachen wie Krankheit, Krieg und Uneinigkeit – im Lichte der Erkenntnis des anwesenden und mit ihnen wirkenden Einen Gottes zu sehen. Dies ist auch dann möglich, wenn die Schekhina – wie im Christen­tum – als Heiliger Geist, als Wort Gottes, als Reich Gottes oder als Christus gedeutet wird. Überlegungen über die Gegenwart Gottes mitten unter den Menschen könnten das Vertrauen in Gottes Wirken und in unser menschliches Mitwirken neu beleben und sogar verfeindete Völker befrieden helfen.

  1. Vgl. Peter Schäfer, Die Vorstellung vom Heiligen Geist in der rabbinischen Literatur, Mün­chen 1972, 96 ff.; Arnold Goldberg, Ich komme und wohne in deiner Mitte. Eine rabbinische Homilic zu Sach 2,14 (PesR 35), FJS 3, Frankfurt/M. 1977, 23-28.55 u. ö.
  2. Vgl. Josef Dan/Frank Talmage (ed.), Studies in Jewish Mysticism, Cambridge Mass. 1982, 96.
  3. Saadja Gaon, The Book of Beliefs and Opinions, dt. von Samuel Rosenblatt, New Haven 1948/1976, 121; vgl. auch Gershom Scholem, On the Kabbalah and its Symbolism, New York 1970, 504.
  4. Diese und ähnliche Angaben finden sich in A. J. Wertheimer, Battei Midraschot, 2 Bde., 2. Aufl., Jerusalem 1969, 333-395; vgl. auch bHag llb-16a.
  5. Text nach Samson R. Hirsch, Israels Gebete, Frankfurt a. M. 1921, 387-391.
  6. Arnold Goldberg (Anm. 1), 26 f.
  7. Ferdinand Weber, Jüdische Theologie auf Grund des Talmud und verwandter Schriften, 2. Aufl. Leipzig 1897, 60.
  8. Vgl. Arnold Goldberg, Untersuchungen über die Vorstellungen von der Schekhina in der frühen rabbinischen Literatur, Talmud und Midrasch, SJ 5, Berlin 1969, bes. 163-174. 

Editorische Anmerkungen

Quelle: Freiburger Rundbrief, 3/2004