Für unser Selbstverständnis benötigen wir die Christen und ihre Kirche nicht

Dr.h.c. Joel Berger. Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs und Sprecher der Rabbinerkonferenz Deutschlands zur Erklärung des Bundes der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Deutschland.

Für unser Selbstverständnis benötigen wir die

Christen und ihre Kirche nicht

Eine Kritik

Dr.h.c. Joel Berger


Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs und Sprecher der Rabbinerkonferenz Deutschlands zur Erklärung des Bundes der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Deutschland.

Dieses Papier ist in vieler Hinsicht zu begrüßen. Es ist ohne Zweifel festzustellen, daß auf seiten der Freikirchen auf vielerlei Ebenen wünschenswerte Fortschritte bei der Bewertung des jüdischen Staates wie auch des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion gemacht worden sind. Einige Ausführungen sind jedoch so einfach nicht hinnehmbar.

Im Abschnitt „Grenzen des Dialogs” heißt es unter Punkt 4.2: ”Für uns Christen ist Jesus aus Nazaret der verheißene Messias Gottes, in dem allein Heil und Erlösung zu finden sind“. Für Juden, so wird später betont, sei das nicht in gleicher Weise nachvollziehbar. Diese Formulierung impliziert bei Christen durchaus den ,Alleinvertretungsanspruch’, der christliche Messias, Jesus von Nazaret, sei der alleinige Heilsbringer für alle Welt und für alle Völker. Dagegen müssen wir uns bescheiden, aber sehr entschieden, aussprechen. Für Juden ist das nicht nur „nicht in gleicher Weise nachvollziehbar”, sondern für Juden ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, weil unserer Auffassung nach diese Welt und dadurch auch die Menschen als Individuen nicht erlöst worden sind und wir weiterhin der Auffassung sind – und wenn wir den Zustand dieser Welt beobachten, sehen wir dies bestätigt – daß diese Welt überhaupt noch nicht erlöst ist.

Unter Punkt 4.3 wird betont, daß Begriffe wie „Menschensohn”, „Messias/Christus”, „Sohn Gottes”, „Herr” und „Heiland” aus jüdischer Sicht als Gefährdung des Glaubens an den einen Gott erscheinen. Auch hier möchte ich erwähnen dürfen, daß wir dies nicht als eine Gefährdung des Glaubens an den einen Gott, sondern als das Ende, den Ausschluß des Glaubens an den einzigen Gott ansehen, wenn Gottes Sohn als Messias, als Fleisch gewordener Sohn theologisch formuliert wird. Wir können auch nicht akzeptieren, daß, wie in Punkt 4.5 ausgeführt, alle Unterschiede aufgehoben seien in Jesus. Und wir legen auch gar keinen Wert darauf, daß die Unterschiede aufgehoben werden, der Christ soll ruhig weiter bis ans Ende der Zeiten Christ sein, nur soll er uns die Möglichkeit geben, gemäß unserer jüdischen Eigenart unsere Verbote und Verpflichtungen, unser jüdisches Leben einzurichten.

Der „Einheitsgedanke“ kommt noch krasser zum Ausdruck unter Punkt 6. Es wird behauptet, Juden und Christen seien aufgrund der Wurzeln ihres Glaubens in besonderer Weise miteinander verbunden. Dies kann ich nicht gelten lassen. Juden und Christen sind keineswegs miteinander verbunden. Christen können aufgrund der Bibel, die sie als „Altes Testament“ zu bezeichnen pflegen, mit uns, mit unserer Vergangenheit, mit dem jüdischen Jesus verbunden sein. Wir Juden dagegen sind mit den Christen und mit der christlichen Kirche überhaupt nicht verbunden. Wir sind uns selbst genug. Das heißt, für unser Selbstverständnis benötigen wir die Christen und ihre Kirche nicht. Im Laufe der Geschichte hat uns dies etliche Schwierigkeiten bereitet, aber ich glaube, die Zeit ist gekommen, in der wir es ohne Umschweife aussagen: Wir wurden nicht mit Jesus dem Christus geschieden, sondern die Christen haben sich den jüdischen Jesus als ihren Christus genommen, das ist ihr gutes Recht, aber mehr haben wir uns dazu auf dieser theologischen Ebene nicht zu sagen.

In Punkt 6.4 kommen wir dann zu ernsten Komplikationen. Die Christen wollen im Gespräch ihr Bekenntnis zu Jesus Christus nicht verschweigen. Ich glaube, wenn sie im Gespräch ihr Bekenntnis vorbringen müssen, dann heißt es, daß sie damit Probleme haben. Diese Probleme, die sie doch mit dem Jesus, dem Christus, haben, den sie uns bezeugen wollen: das ist ihre Angelegenheit, das ist nicht unser Problem. Daher können wir von ihnen im Geiste der Toleranz und Mitmenschlichkeit erwarten, daß sie damit alleine fertig werden, für sich und gegenüber allen abgefallenen Christen, Jesus als Messias bezeugen und uns damit verschonen.

In Punkt 6.5 ist voll und ganz zu begrüßen, daß Christen ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht in gleicher Weise wahrnehmen wie ihre Mission an der Völkerwelt. Ich würde allerdings schon dafür plädieren, daß sie ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber in keiner Weise wahrzunehmen haben. Das jüdische Volk hat alle Verheißungen, die es zum Heil benötigt, und wenn der Wille Gottes es ermöglicht, wird es auch zum Heil und zur Erlösung gelangen. Mögen es die Christen ein für alle Mal dabei bewenden lassen.

Punkt 6.7 bereitet große Schwierigkeiten und Probleme. Die Christen wissen sich mit jenen jüdischen Menschen verbunden, die Jesus Christus als den Messias erkannt und angenommenen haben. Diejenigen, die Jesus als Christus, als Messias anerkennen und wahrnehmen, haben den Boden des Judentums verlassen. Sie sind damit keine jüdischen Menschen mehr. Sie haben ein grundsätzliches Postulat des Judentums, das Warten auf die Erlösung, aufgegeben. Sie betrachten sich als erlöst durch Jesus und sind infolgedessen keine Juden mehr. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß Christen sich ihrer weiter annehmen, sie pflegen und hegen. Aber sie sollten nicht sagen, daß dies damit „Judenchristen” sind oder jüdische Menschen, die Jesus anerkannt haben, weil das ein Widerspruch in sich ist. Jüdische Menschen, die Jesus anerkannt haben, kann es nicht geben.

Abgesehen von diesen Punkten können wir unsere Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß die Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden sich zu diesen Postulaten durchringen konnten.