Feministische Theologie und christlich-jüdischer Dialog

Über Konfrontation, Betroffenheit und Umdenken in christlicher feministischer Theologie.

Marianne Grohmann

Feministische Theologie und jüdisch-christlicher Dialog

Feministische Theologie und jüdisch-christlicher Dialog[1] sind zwei Randgebiete der Theologie, die in der Regel wenig miteinander zu tun haben: Für viele im jüdisch-christlichen Dialog engagierte Männer und Frauen ist allein das Wort "Feminismus" ein rotes Tuch, und in den Köpfen mancher christlicher feministischer Theologinnen hält sich hartnäckig das Vorurteil vom patriarchalen Judentum. Im Bereich der Universitätstheologie führen beide Themenfelder ein Außenseiterdasein. Als kontextuelle Theologien haben sie es schwer, sich einen Platz im wissenschaftlichen Diskurs zu erobern und werden höchstens als exotische Orchideenfächer geduldet, haben aber wenig EinfluB auf den ,"mainstream" der Theologie.

Daß feministische Theologie und jüdisch-christlicher Dialog etwas miteinander zu tun haben, wurde erstmals in einer Konfrontation deutlich: Ende der 80er Jahre in der Debatte um den Antijudaismus feministischer Theologie:[2] Jüdische Theologinnen wie Susannah Heschel und Judith Plaskow warfen christlichen feministischen Theologinnen vor, den Antijudaismus der gesamten christlichen Theologie zu übernehmen und ihm nun eine feministische Variante zu geben. Das Judentum wird in zweifacher Form zur Negativfolie des Christentums: Im Bereich des Alten Testaments hat sich die Matriarchatsforschung auf die Suche nach matriarchalen Strömungen im Alten Orient, teilweise auch auf die Suche nach weiblichen Gottheiten gemacht. Dem Judentum wurde nun vorgeworfen, durch seine patriarchale Gesellschaftsordnung das Matriarchat zu verdrängen und mit seinem männlichen Gottesbild die weibliche Seite Gottes zu unterdrücken.[3]

Jesus, der neue Mann?

Im Bereich des Neuen Testaments wurde Jesus, der neue Mann, der Feminist, in leuchtenden Farben gezeichnet und vom dunklen, patriarchalen Judentum seiner Zeit abgehoben, sein Gott der Liebe dem alttestamentlichen Gott des Zorns gegenübergestellt. [4] Weil feministische Theologinnen meist eine ,"Christologie von unten" betreiben, die menschliche Seite Jesu mehr betonen als seine göttliche, den irdischen Jesus - vor allem in der markinischen Darstellung - ins Zentrum ihres Interesses rücken, muß dieser Mensch Jesus als besonderer dargestellt werden, und das scheint nur möglich in Abgrenzung vom Judentum.

Das Judentum als dunkle Folie

Daß in beiden Varianten das Judentum nur als dunkle Folie angesehen wird, daß es negativ überzeichnet wird, um das eigene Got tesverständnis positiv davon abheben zu können, und daß im Umgang mit Quellen häufig unreflektiert vorgegangen wird, indem Texte verschiedener Epochen - z.B. Talmud-Texte mit dem Neuen Testament - verglichen werden, sind berechtigte und ernstzunehmende Vorwürfe jüdischer Frauen. Die Debatte löste unter feministischen Theologinnen große Betroffenheit aus, und heute versuchen die meisten, christliche Theologie ohne Antijudaismus zu betreiben. Gerade für so eine junge Theologie wie die feministische ist es erstaunlich, wie rasch sie zu Selbstkritik bereit ist und an einer Revision ihrer Voraussetzungen arbeitet, die nicht auf Kosten des Judentums geht.[5]

Um nicht den Fehler zu machen, sich vorurteilsbeladen über "die Rolle der Frau im Judentum" zu äußern, ist es notwendig, zunächst einmal zuzuhören, was jüdische Frauen selbst erzählen.[6]

Bei näherem Hinsehen ergibt sich ein sehr vielfältiges, pluralistisches Bild: Es gab und gibt - genausowenig wie im Christentum - nicht den einen Status der Frau, sondern sehr unterschiedliche Selbstverständnisse von Frauen im Judentum: "Der Status der jüdischen Frau ist nicht etwas einmal Gegebenes und Unwandelbares, sondern war im Lauf der Geschichte steten Veränderungen unterworfen."[7] Die Quellen von der Bibel über den Talmud, mittelalterliche Bibelkommentare bis zur Neuzeit - enthalten viel unterschiedliches Material, das sich je nach Gewichtung und gegenwärtigem Erfahrungshorizont des/r Forschers/in für Frauen positiv und negativ bewerten läßt.

Ein vielfältiges Bild

Auch in der Gegenwart ist die Stellung der Frauen in einzelnen jüdischen Strömungen und in diversen geographischen Kontexten sehr unterschiedlich. Die Diskussion dreht sich um Fragen wie das Rabbinat von Frauen (im Reformjudentum seit 1972 und in der konservativen Bewegung seit 1984) oder die Interpretation der Halacha: Schätzen säkulare und reformierte Jüdinnen die Halacha eher kritisch ein, betonen Konservative und Orthodoxe die zentrale Bedeutung der Halacha im Judentum, plädieren zwar für Veränderungen einzelner Gebote, insgesamt aber für ihre Beibehaltung. [8]

"Um eine Verbesserung ihrer Stellung zu erreichen, haben sich Frauen immer wieder selbst eingesetzt, und ihre Wünsche wurden von den rabbinischen Autoritäten wenigstens teilweise erhört. Zum Nachteil gereicht es den Frauen, daß sie selbst keine Entscheidungsgewalt haben und daß die Kodifizierungen der Halacha an Orten und zu Zeiten stattfand, die Frauen ungünstig gesinnt waren. Als Folge davon ist der heutige Status der Frau in der Orthodoxie unserer auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau hin tendierenden Zeit unangemessen. Moderne orthodoxe Frauen fordern denn auch, zusammen mit den sie unterstützenden Rabbinern, eine Änderung ihres Status - im Bewusstsein, daß solche Änderungen stets stattgefunden haben. Diese Verbesserung des Status der jüdischen Frau im Hinblick auf ihre Gleichstellung mit dem Mann haben Reform- und Konservatives Judentum bereits weitgehend verwirklicht."[9]

Voraussetzungen einer nicht antijüdischen christlichen feministischen Theologie sind einerseits eine Sensibilisierung für christlichen Antijudaismus allgemein und für seine feministische Variante im besonderen, eine "Hermeneutik des Verdachts" gegenüber eigenen Vorurteilen und Denkmustern, die dem Judentum den "schwarzen Peter" des bösen Patriarchats zuschreiben, und andererseits die Rezeption jüdischer Forschung, das Zuhören darauf, was Jüdinnen selbst erzählen, das Wahrnehmen des Pluralismus im Judentum.

Fussnoten

1 "Einander ins Sprechen hören. Feministische Theologie im jüdisch-christlichen Gespräch. Standortbestimmung und Ausblick" war das Thema einer Tagung der "Ehemaligen" von "Studium in Israel", die vom 2. bis 4.1.1997 in Reinhardsbrunn bei Gotha stattfand. Marianne Wallach-Faller, promovierte Germanistin und engagiertes Mitglied der jüdischen Reformgemeinde in Zürich, und Marie-Theres Wacker, katholische Alttestamentlerin in Köln, waren die Hauptreferentinnen.

2 Im deutschsprachigen Bereich wurde die Debatte in der BThZ 1986 ausgelöst durch Katharina von Kellenbachs Rezension von Gerda Weiler: Ich verwerfe im Lande die Kriege. Das Verborgene Matriarchat im Alten Testament, München, 1986. Der Antijudaismusvorwurf an christliche feministische Theologie wurde vor allem in der Zeitschrift Schlangenbrut 1987 diskutiert und wird seither in den meisten Bereichen feministischer Forschung berücksichtigt. Zusammenfassungen der Diskussion bieten: Kohn-Ley, Charlotte und Ilse Korotin (Hg.): Der feministische "Sündenfall"? Antisemitische Vorurteile in der Frauenbewegung, Wien, 1994. Schaumberger, Christine (Hg.): Weil wir nicht vergessen wollen ... zu einer Feministischen Theologie im deutschen Kontext, Münster, 1987 Siegele-Wenschkewitz, Leonore (Hg.): Verdrängte Vergangenheit, die uns bedrängt. Feministische Theologie in der Verantwortung für die Geschichte, München, 1988.

3 vgl. z.B. Mulack, Christa: Die Weiblichkeit Gottes. Matriarchale Voraussetzungen des Gottesbildes, Stuttgart, 1986.

4 vgl. z.B. Wolff, Hanna: Jesus der Mann. Die Gestalt Jesu in tiefenpsychologischer Sicht, Stuttgart, 1979 dieselbe: Neuer Wein - Alte Schläuche. Das Identitätsproblem des Christentums im Lichte der Tiefenpsychologie, Stuttgart, 1981.

5 Beispiele für dieses Umdenken in der Feministischen Theologie sind: Jüngst, Britta: Auf der Seite des Todes das Leben. Auf dem Weg zu einer christlich feministischen Theologie nach der Shoah, Gütersloh, 1996; Wacker, Marie-Theres und Luise Schottroff (Hg.): Von der Wurzel getragen. Christlich feministische Exegese in Auseinandersetzung mit Antijudaismus, Leiden, 1996; Plaskow, Judith: Und wieder stehen wir am Sinai. Eine jüdisch feministische Theologie, Luzern, 1992. Aus der Fülle von Literatur, die vor allem in den USA entstanden ist, seien hier nur einige "Klassiker" genannt: Heschel, Susannah (Ed.): "On Being a Jewish Feminist." A Reader, New York, 1983.

6 Koltun, Elizabeth (Ed.): The Jewish Woman. New Perspectives, New York 1976.

7 Wallach-Faller, Marianne: "Veränderungen im Status der jüdischen Frau. Ein geschichtlicher Überblick," in: Judaica 41/1985, S. 152-172, zit S. 152.

8 vgl. Rudnick, Ursula: "Miriam wird mit uns tanzen!" Jüdisch-feministische Diskussionen, in: Schlangenbrut Nr. 51, 13. Jg /1995, S. 14-18.

9 Wallach-Faller: S. 168

Editorische Anmerkungen

Marianne Grohmann, Univ.Ass. Mag., Institut für Systematische Theologie, Evang.-theol. Fakultät der Universität Wien.


© Copyright 1998 Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit