Ein großes Ja zum Anderen - 50 Jahre „Gesprächskreis Juden und Christen“ beim ZdK

Dezember 2021 - Der Kreis verstand sich von Anfang an als eine Gemeinschaft, die im Hören aufeinander Neues entdeckt. Diese Haltung ist sein Kompass. Sie hat Menschen aufgewühlt, politische, kirchliche und interreligiöse Dialoge verändert. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat ein Forum geschaffen, das das schreckliche Erbe von 2000 Jahren Judenfeindschaft ansieht, ins Wort bringt – und im Miteinander neue Wege bahnt.

Der Anstoß ging vom Trierer Katholikentag im Jahr 1970 aus. Der Arbeitskreis „Die Gemeinde und die jüdischen Mitbürger“ hatte vorgeschlagen, nach dem Vorbild der bereits zehn Jahre zuvor gegründeten „AG Juden und Christen“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag solle auch das Zentralkomitee einen entsprechenden Arbeitskreis ins Leben rufen. Bei den Verantwortlichen im ZdK traf diese Idee auf offene Ohren. Das offizielle Gründungsprotokoll des „Gesprächskreises Juden und Christen“ trägt das Datum 27. Mai 1971. Kurze Zeit später, beim Augsburger Pfingsttreffen, gewann die Gründungsidee Konturen. Dort steckten zwei Mitglieder des Gesprächskreises erstmals die Köpfe zusammen. Sie konnten unterschiedlicher kaum sein: der eine ein Schüler von Leo Baeck an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, der den NS-Terror in der Schweiz überlebt hatte und dessen Mutter in Auschwitz ermordet worden war. Der andere katholischer Kaplan und Assistent des damaligen Geistlichen Rektors des ZdK, Klaus Hemmerle. Aber Ernst Ludwig Ehrlich und Hanspeter Heinz, die bis zum Tod von Lutz Ehrlich 2007 den Kreis zusammen leiteten, waren davon überzeugt, dass die Neubestimmung des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Judentum durch das Zweite Vatikanische Konzil mit Leben erfüllt werden musste. Die alte Lehre der Verachtung in Liturgie, Theologie, kirchlichem Leben und Schule musste überwunden werden.

Der Gesprächskreis sollte die Katholikentage mitgestalten, doch schnell war klar: Das allein ist es nicht. Der Kreis verstand sich von Anfang an als eine Gemeinschaft, die im Hören aufeinander Neues entdeckt. Als ein Raum, in dem auch über Schwieriges gestritten werden konnte, weil die Mitglieder darauf vertrauten, dass es dem Anderen ernst ist. Über Kloster und Kreuz in Auschwitz etwa (1990). Über die Heiligsprechung von Edith Stein. Und vor allem über den Umgang mit der historischen Schuld. „Wie reden von Schuld, Leid und Versöhnung?“ Diese Erklärung des Gesprächskreises zur 50. Wiederkehr der Reichspogromnacht traf 1988 einen Nerv, wurde binnen kürzester Zeit über 30.000mal bestellt. „In dieser Erklärung strecken sich Juden und Katholiken die Hände entgegen, weil und obwohl wir uns des Abgrundes zwischen uns bewusst sind“, sagte Rabbiner Marcel Marcus bei der Vorstellung in der Vollversammlung des ZdK.

Die Verständigung über die Gräben der Judenfeindschaftund der Schoah hinweg wurde möglich, weil der Gesprächskreis dafür eine verlässliche Basis schuf, niedergelegt in der Grundsatzerklärung „Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christlichen Gesprächs“ im Jahr 1979. Mag die Sprache ihre Zeit atmen – das klare Bekenntnis zur Weggemeinschaft von Juden und Christen, die sich auf unterschiedliche Weise vom selben Gott berufen wissen, und die ebenso klare Absage an die Erwartung, „der andere möge das Ja zu seiner Berufung zurücknehmen oder abschwächen“ sind bis heute maßgeblich und waren ihrer Zeit weit voraus. Das galt noch 30 Jahre später, als Papst Benedikt XVI. den vorkonziliaren Ritus in seiner Würde dem der Liturgiereform gleichstellte, so dass Katholik*innen mit seiner am 5. Februar 2008 veröffentlichten Karfreitagsfürbitte unter der alten Überschrift „Für die Bekehrung der Juden“ in eine längst überwunden geglaubte Vergangenheit zurückgeworfen wurden. War die Wende, die das Zweite Vatikanische Konzil eingeleitet hatte, nur ein dünner Firnis, unter dem der alte christliche Überlegenheitsanspruch fortlebte? Der Gesprächskreis widersprach klar und eindeutig: „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen“ (9. März 2009). Die Reaktionen waren prompt und heftig. In der Deutschen Bischofskonferenz und in Rom wurde dem Kreis die Berechtigung abgesprochen, zu dieser lehramtlichen Frage überhaupt Stellung zu nehmen. Auch wenn sich die Gemüter beruhigten – die Frage der Judenmission stand weiter im Raum und brach erneut auf, als der inzwischen emeritierte Papst Benedikt in seiner Kritik an der Stellungnahme der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum anlässlich 50 Jahren „Nostra Aetate“ die Rede vom ungekündigten Bund Gottes mit dem Judentum wieder in Frage stellte.

Vielleicht wird erst jetzt, im Abstand von mehr als einem halben Jahrhundert, wirklich klar, dass die Wende des Konzils nicht nur kosmetische Veränderungen, sondern ein echtes Umdenken auf allen Ebenen fordert. Und dass das alte Denken noch immer mächtig ist. Dagegen hat der Gesprächskreis eine Handreichung zur Darstellung des Judentums in Kinderbibeln veröffentlicht und unter dem Titel „Von Abba bis Zorn Gottes“ ein inzwischen in mehrere Sprachen übersetztes Kompendium für die Praxis entwickelt, das Irrtümer aufklärt, die das Verhältnis zwischen Juden und Christen schwer belasten. Es bleibt weiter viel zu tun: Wissenschaftlich wird gerade die Entstehungsgeschichte von Judentum und Kirche neu geschrieben, was mit dem Bild vom älteren und jüngeren Geschwister gründlich aufräumt. Gesellschaftlich sind die Kirchen gefordert, den Kampf gegen Judenhass und Gewalt gegen Juden und Jüdinnen wirksam zu unterstützen. In einem Umfeld, dem theologische Fragen immer lebensfremder erscheinen und der Dialog mit dem Islam viel dringender, müssen junge Leute für den jüdisch-christlichen Dialog neu gewonnen werden.

Was wache Zeitgenossenschaft der Kirche mit dem Judentum für unsere Gegenwart heißt, werden wir mit vielen Partner*innen im Dialog beim Jubiläumsfest des Gesprächskreises, das hoffentlich im Dezember nächsten Jahres ohne Maske und Abstand gefeiert werden kann, ausloten. Ein Kompass für die Weggemeinschaft der nächsten 50 Jahre.

Editorische Anmerkungen

Dagmar Mensink Koordinatiorin für religionspolitische Grundsatzfragen in der Staatskanzlei in Mainz und zusammen mit Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama seit 2016 Leiterin des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK.
Quelle: Salzkörner, 27. Jg. Nr. 6, 2021.