Dietrich Bonhoeffer: Perspektive von Unten.

Dietrich Bonhoeffer droht zur Ikone auf Goldgrund zu werden. So werden wir ihm nicht gerecht. Er hat Gesicht gezeigt. Wir dürfen es nicht hinter dem Schleier von stimmungsvollen Spruchkarten und Kalenderblättern verstecken.

Dietrich Bonhoeffer: Perspektive von Unten.

Klaus Engelhardt

Dietrich Bonhoeffer droht zur Ikone auf Goldgrund zu werden. So werden wir ihm nicht gerecht. Er hat Gesicht gezeigt. Wir dürfen es nicht hinter dem Schleier von stimmungsvollen Spruchkarten und Kalenderblättern verstecken.

Zum Eindrücklichsten, was Dietrich Bonhoeffer geschrieben hat, gehört für mich der persönliche Rückblick „Nach zehn Jahren. Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943 “.Es gibt wenige Texte von vergleichbar schonungsloser Ehrlichkeit – auch sich selbst gegenüber.. Am Ende dieser Rechenschaft schreibt Bonhoeffer:„Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte müde oder vielleicht sogar zynisch geworden – sind wir noch brauchbar??“ Dies ist nicht nur ein hartes Urteil über die anderen. Bonhoeffer bezieht sich selbst mit ein. Er zeigt Gesicht, indem er die eigene Brauchbarkeit für den geistlichen Dienst als Pfarrer und für die Wahrnehmung von gesellschaftlicher Verantwortung in Frage stellt.

„Ich sterbe als stummer Zeuge Jesu Christi unter seinen Brüdern “.Das war Dietrich Bonhoeffers letzter geschriebener Satz, bevor er am 9.April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet wurde. Einen „stummen Zeugen “ nannte er sich.. Wir dürfen sein Sterben nicht schönreden. Es war ein schmählicher Tod. Bonhoeffer wurde erhängt. Noch im Sterben wurden ihm Ehre und Würde aberkannt. Das Gesicht sollte ihm genommen werden. Aber er zeigte Gesicht in dieser Situation: Er spürte die tiefe Verpflichtung zu Solidarität, weit über das Übliche hinausgehend.„Brüder “ waren für ihn in diesem Augenblick nicht die kirchlichen Kollegen, die sich auf Pfarrkonventen so anzureden pflegten, sondern die Mithäftlinge im KZ. Im Sommer 1943 war Bonhoeffer im Gefängnis Berlin-Tegel gefragt worden, ob er damit einverstanden sei, wenn sein Name auf die Fürbittliste der Bekennenden Kirche gesetzt werde. Er lehnte ab. Er wußte, dass auf der Fürbittliste der Gemeinde diejenigen einen Platz hatten, die um ihrer Verkündigung oder um ihres Verhaltens im unmittelbaren kirchlichen Dienst willen verhaftet worden waren, nicht aber die politischen Widerstandskämpfer. Von diesen wollte Bonhoeffer nicht durch „kirchliche Vereinnahmung “ abgehoben werden. Er verstand seine Existenz als politischen Widerstand, auch wenn dieses Verhalten ganz fest in seinem Christsein verwurzelt war. Sollte sein Name auf die Fürbittliste kommen, dann müßte dies auch mit den Namen der politischen Mitverschwörer geschehen, unabhängig davon, ob sie Christen, Sozialisten oder Kommunisten waren.

Zwischen den konspirativen Reisen ins Ausland arbeitete Dietrich Bonhoeffer vor allem an einer christlichen Ethik, gerne die Einladung ins Kloster Ettal annehmend, wo er in Ruhe nachdenken und schreiben konnte. In dieser nach seinem Tod erschienenen Ethik hat er die Unterscheidung zwischen Letztem und Vorletztem getroffen, nicht um das Vorletzte abzuwerten, sondern um ihm den rechten Stellenwert zu geben. Zum Vorletzten gehörten für Bonhoeffer Vernünftigkeit, Rechtsordnung und Natürlichkeit. Das alles hatte der Nationalsozialismus in den Dreck gezogen. Bonhoeffer zeigte Gesicht, indem er sich für ihre Geltung stark machte. Er kannte freilich das ethische Dilemma: Wer zuviel oder gar alles in Ordnung bringen möchte, kann von der Totalität des ethischen Anspruchs so sehr in Schach gehalten werden, dass er im Konkreten zur Untätigkeit verurteilt bleibt. Dieser Gefahr hielt Bonhoeffer entgegen:„Unsere Verantwortung ist nicht eine unendliche, sondern eine begrenzte.“ Er packte das Nächstliegende an, wohl wissend, dass darüber anderes liegen blieb.

Aus dieser Einstellung heraus hat Bonhoeffer schon sehr bald nach der Machtergreifung Hitlers für die Juden unmißverständlich Partei ergriffen. In seiner Kirche stand er damit ziemlich allein. Im April 1933 waren in Berlin jüdische Geschäfte boykottiert worden. Der Arierparagraph sollte als „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums “ durch Entfernung jüdischer Bürger und Bürgerinnen aus dem staatlichen Dienst „saubere “ Verhältnisse herstellen. Er fand auch in der Kirche Befürworter. Theologieprofessoren, Kirchenführer und Pfarrer rechtfertigten die Anwendung des Arierparagraphen für den kirchlichen Dienst. Bonhoeffer wurde um eine Stellungnahme gebeten: „Die Kirche vor der Judenfrage “.Als er sie in einem Kreis von Kollegen vortrug und dabei Kritik an der Judengesetzgebung des Staates übte, verließen einige Teilnehmer aus Protest den Raum.

Auch darin hat Bonhoeffer Gesicht gezeigt, dass er, der Sohn aus einem großbürgerlichen Elternhaus, nicht den vorgegebenen Weg einer aussichtsreichen akademischen Laufbahn einschlug. Eine glänzende theologische Karriere hätte ihm, dem begabten jungen Theologen, offengestanden. Für den Beobachter von außen gibt es immer wieder Brüche in Bonhoeffers Leben, z.B. dass er Vikar in einem Berliner Arbeiterviertel wurde oder dass er sich später dem militärischen Widerstand anschloß. Für ihn liegen diese ungewöhnlichen Lebensentscheidungen in der Konsequenz einer tiefen inneren Verpflichtung gegenüber den Opfern der Naziherrschaft. Es war keine Solidarität von oben herab, aus dem Wohlwollen des Privilegierten, sondern in der Perspektive von unten. „Es bleibt ein Erlebnis von unvergleichlichem Wert, dass wir die großen Ereignisse der Weltgeschichte einmal von unten, aus der Perspektive der Ausgeschalteten, Beargwöhnten, Schlechtbehandelten, Machtlosen, Unterdrückten und Verhöhnten, kurz der Leidenden sehen gelernt haben “.

Bonhoeffer darf nicht verklärt werden. Er hat gelitten an der Ängstlichkeit der sich selbstbehauptenden Kirche und auch an sich selbst. Aber er ist darüber nicht zum larmoyanten Ankläger geworden. Bekannt ist die Szene,als er einmal einem französischen Pfarrer die Frage stellte, was er mit seinem Leben erreichen wolle.„Ich möchte ein Heiliger werden “,war die Antwort. Das hat Bonhoeffer beeindruckt, aber er reagierte anders:„Ich möchte glauben lernen “.Glauben bedeutete für ihn, die Zerrissenheit der Welt und die eigene Zwiespältigkeit nicht wehleidig zu zelebrieren, sondern vor Gott zu bringen und so Entschlossenheit zur fälligen Tat zu gewinnen. In zweierlei bestand für ihn das Christsein: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.

Editorische Anmerkungen

Professor Dr. Dr. Klaus Engelhardt, Landesbischof i.R., geboren 1932, lehrte von 1966 bis 1980 Evang. Theologie und Religionspädagogik an der Hochschule Heidelberg. Von 1980 bis 1998 war er Landesbischof der Evang. Landeskirche in Baden, von 1991 bis 1997 Vorsitzender des Rates der EKD.

QUELLE: "Gesicht Zeigen!", Themenheft des Deutschen Koordinierungsrates. Theologische, gesellschaftspolitische und pädagogische Beiträge zum Jahresthema 2006 aus christlich-jüdischer Perspektive.