Die Tora als Buch der Weisung

Erläuterungen zum Begriff "Tora". Lernen und Gesetz im Judentum

Die Tora als Buch der Weisung

Leonardus van Rooijen

in Zusammenarbeit mit

Gabriela Sarah Bayer

 

Anlass: Ein Faltblatt

 

Es ist erstaunlich, wie viele Christen, sowohl Laien als auch berufsmäßige Theologen, mit dem Begriff 'Tora' umgehen. Dessen wurde ich mir aufs Neue bewusst bei einem Vortrag eines Judaika-Professors, der 'Tora' mit 'Gesetz' erklärt hatte. Es handelt sich hier in erster Instanz um die 5 Bücher Mose. Obwohl ich ihn höflich darauf hinwies, dass 'Tora' sowohl 'Lehre' als auch "Weisung" bedeutet und nur in wenigen Fällen mit 'Gesetz' übersetzt werden darf, änderte er seine Meinung nicht. Nach seiner subjektiven Auffassung ist die jüdische Religion eine Gesetzesreligion. Damit schürt er die uralten Vorurteile, das Judentum sei eine Gesetzesreligion, von der Christus (oder Paulus?) alle Christen – einige sind der Meinung die ganze Menschheit – befreit habe:1 Die Folge ist, dass ein Verein zur Förderung des Verständnisses für jüdische Religion und Kultur, diese Behauptung, 'Tora' sei gleichbedeutend mit 'Gesetz', übernommen hat. In ihrem Informationsblatt „Treffpunkt Alte Synagoge" ist zu lesen: „Am Sabbat gingen sie in die Synagoge und setzten sich unter die Zuhörer. Nachdem man aus den Schriften des Gesetzes und der Propheten vorgelesen hatte, . . ." (Apg. 13:14-15) Nachdem ich in einem Schreiben2 an die Vorstandsmitglieder des Vereins angegeben hatte: „Es ist absolut falsch zu behaupten, dass „aus den Schriften des Gesetzes" gelesen wird, verdeutlichte ich diesen Umstand: In der Synagoge wird jeden Sabbat ein Abschnitt aus den fünf Büchern Moses gelesen und nicht aus dem jüdischen Gesetzbuch. In diesem Zusammenhang könnten wir Juden behaupten, dass in der christlichen Kirche jeden Sonntag aus dem Kirchenrecht oder Katechismus gelesen wird."

Hierauf bekam ich folgende Reaktion:

„Es gehört zur Natur von Übersetzungen, dass es zu fast jedem Wort mehrere Übersetzungsmöglichkeiten gibt. Wir haben uns dafür entschieden, beim Wortlaut unserer Bibelübersetzung zu bleiben (Apostelgeschichte nach Luther und Einheitsübersetzung)." 3

Wie kommt es dazu, dass immer wieder so genannte Fachleute den Begriff »TORA« mit »GESETZ« übersetzen?

  1. Viele Theologen beurteilen eine Religion aus ihrer eigenen religiösen Perspektive. Als ich Religionsphänomenologie und Religionspsychologie an der Philosophischen Fakultät in Uppsala studierte, wurde uns von Carl-Martin Edsman, Professor der Religionswissenschaft, ans Herz gelegt: „Studiere jede Religion aus der Perspektive der Religion und nicht aus der eigenen Perspektive". Das heißt, man soll nicht seine eigene Subjektivität hineinprojektieren oder hineininterpretieren. Bis zum heutigen Tag wird von christlichen Theologen in die hebräische Bibel hineininterpretiert, um sie an das so genannte "Neue Testament" anzupassen.
  2. Man verweist auf die Septuaginta4, die älteste und wichtigste griechische Version des so genannten AT. Die griechisch sprechenden Juden übersetzten das Wort TORA mit NOMOS. Von der Septuaginta und dem alexandrinisch-hellenistischen Judentum übernahm das so genannte NT diesen Sprachgebrauch. Insbesondere die paulinische Theologie, d.h. was die spätere christliche Theologie daraus gemacht hat, deutete dieses NOMOS mehr und mehr als 'Gesetz'. In christlichen Schriften wurde es dann auch mit 'GESETZ' übersetzt, um das christliche Heilsgeschehen eindeutig und prägnant hervorzuheben – obwohl in verschiedenen Fachbüchern davor gewarnt wird – und damit ist das Missverständnis, der Inhalt der Tora dagegen sei ausschließlich gesetzlich, vor etwa 1900 Jahren entstanden. Ein Zustand, der bis heute noch lebendig ist. Sie schreiben vom „Gesetz und den Propheten", worunter TORA und NEVIIM zu verstehen seien. „TORA ist aber nicht nur Gesetz, sondern primär Niederschlag der all-göttlichen Offenbarung, die sich keineswegs im Gesetz erschöpft".5 Man findet in ihr sowohl Gebote und Gesetze als auch Erzählungen mit lehrend-religiösen Tendenzen, die die allumfassende göttliche Emanation und Immanenz auch als gnadenvoll – barmherziges Geschehen begreifen lassen – denn ohne Göttliche Gnade ist das »In-der-Welt-sein6 « nicht lebbar.

Einige Kommentare jüdischer Religionswissenschaftler

Ismar Elbogen, Dozent für jüdische Religion und Bibelexegese, erklärte nachdrücklich: „Es ist irreführend, wenn man das Judentum als bloße 'Gesetzesreligion' kennzeichnen will. Die Bezeichnung 'Gesetz' für die jüdische Religion ist wesentlich durch die alte griechische Bibelübersetzung veranlasst, die das Wort 'Thora' durch Nomos = Gesetz wiedergab, während es in Wirklichkeit Lehre bedeutet; dieser Irrtum ist in den Anfängen der Kirche dazu benutzt worden, um das Judentum als Gesetzesreligion gegenüber dem Christentum als Gesinnungsreligion herabzusetzen. Bis in die Gegenwart (1932 bis heute, A.d.V.) reicht dieses Vorurteil; es beginnt aber auch in den Kreisen christlicher Theologen sich immer mehr die Erkenntnis auszubreiten, dass die prophetische Forderung der sittlichen Gesinnung zu allen Zeiten Eigentum des Judentums geblieben ist."7

Der Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin schreibt 1980: „Man kann dies (den Begriff „Thora", A.d.V.) unmöglich einfach als »Gesetz« bezeichnen, obwohl das Gesetz einen integralen Bestandteil der Offenbarung G'ttes an sein Bundesvolk Israel bildet. Es würde aber eine unnatürliche Reduktion des Begriffes Thora darstellen, wenn hier nur von Gesetz die Rede wäre. Der Sprachgebrauch des Paulus hat bei seinen heidnischen Hörern und in der christlichen Theologie bis heute (2003, A.d.V.) dieses Missverständnis ausgelöst."8

Auch der Religionswissenschaftler Pinchas Lapide schreibt 1986: „Rund dreihundert-vierzigmal kommt dieser Ausdruck (das Gesetz, A.d.V.) in allen Verdeutschungen Der Schrift vor (als Bezeichnung für die gesamte hebräische Bibel oder das Fünfbuch Moses); etwa zweihundertmal im Alten Testament und einhundertvierzigmal imNeuen Testament. Das ist jedoch grundfalsch – sowohl inhaltlich als auch sprachlich, denn was damit gemeint ist, heißt im Urtext »Torah« und bedeutet in seiner richtigen Übersetzung »Lehre« oder »Weisung«. Sie enthält rein quantitativ viel mehr Frohbotschaft, Verheißung, Erfüllung, Heilsgeschichte und Ethos, als eigentliche »Gesetze«, Satzungen und Vorschriften, die allesamt ein humanes Ethos und soziale Gerechtigkeit zu fördern bestimmt sind. Über zwei Drittel der hebräischen Bibel haben jedoch nicht das Geringste mit Gesetzlichkeit zu tun, sondern sind dem Heilshandeln G'ttes mit seinem Volk Israel gewidmet. Im christlichen Sinne des Wortes ist die Torah vor allem und hauptsächlich »Evangelium«, die Frohbotschaft von der Liebe G`ttes und der Freiheit aller Adamskinder."9

Semantische Erklärung des Begriffes »Tora«.

Die Übersetzung von 'Tora' 10 mit dem falschen Begriff 'Gesetz' ist via der griechischen (Koiné)11 aus der hebräischen Sprache gekommen. Dass dabei Übersetzungsfehler entstanden sind, liegt auf der Hand. Dass man damals 'Tora' mit 'Nomos' übersetzt hat, ist nicht unbedingt falsch, denn auch dieses Wort kann verschiedene Bedeutungen haben, z.B. Ordnung, Gebrauch, Herkunft, Weise, Recht. In der Philosophie bedeutet es: Satzung, Brauch, positives Recht im Gegensatz zum göttlichen Recht (dike). Wie auch immer, beim Übersetzen muss man die damalige soziokulturelle Umwelt betrachten. Die Begriffe 'Tora', 'Nomos' und 'Gesetz' stammen nicht nur aus verschiedenen Kulturen, sondern auch aus total verschiedenen Sprachgruppen12. Deshalb ist es wichtig, zu der ursprünglichen Bedeutung und ihrem Kontext zurückzukehren. Aus diesem Grund untersuchen wir zuerst das hebräische Wort 'Tora'.

Etymologisch ist das Wort 'Tora' identisch mit dem babylonischen têrtu »Orakel« und bedeutet ursprünglich 'Anleitung', 'Wegweiser', 'Unterricht'13.

In der hebräischen Sprache werden Worte immer aus Wortwurzeln gebildet. Die Bedeutungen der verschiedenen Worte, die aus derselben Wortwurzel gebildet wurden, können sehr unterschiedlich sein. Oberflächlich betrachtet erscheinen sie manchmal sogar entgegengesetzt in ihrer Bedeutung. Dennoch sind sie durch ihre Abstammung sozusagen genetisch miteinander verwurzelt. Sie stehen also in einer deutungs- und auslegungsverwandten Beziehung zueinander. Verschiedene Buchstaben sind auswechselbar oder können, ohne dass die Wortwurzel und die Grundbedeutung dadurch verändert werden, weggelassen oder hinzugefügt werden, wie z.B. bei den folgenden Buchstaben:14 Die Wurzel des Substantivs 'TORA' (jara), damit wird 'zeigen', aber auch 'schießen' ausgedrückt. Daraus ist das Verb (hora) entstanden, das wiederum 'lehren', 'anweisen', 'anleiten' bezeichnet. Auch das Substantiv 'Moreh' ist eng verwandt mit dem Verb (jara)  und dem Verb(hora). 'Moreh' wird normalerweise mit Lehrer übersetzt, auch in der modernen hebräischen Sprache.  Auch das Wort'Melamed' bedeutet Lehrer. Letzteres stammt aus der Wortwurzel(lamed) – lernen und beinhaltet 'jemand, der das Lernen weitergibt'. Damit ist ein Lehrer in der religiösen Vorschule gemeint, der "Cheder",15 in welcher die Kinder das 'Alef-Beth'16lernen. Mit der Wurzel(lamed) ist auch der Zusammenhang mit dem Wort 'TALMUD'und (talmid = Lehrling, Schüler) angegeben. Ein 'Moreh' ist ein Lehrer im höheren Sinn, welcher eine spezielle Ausbildung hat. Nach meiner Ansicht ist hiermit sprachlich überzeugend bewiesen, dass der Sprach-Begriff 'TORA''Lehre', 'Anweisung' oder 'Weisung' bedeutet und keinesfalls mit 'Gesetz' übersetzt werden darf. Außerdem haben MOREHund TORAdie gleiche Grundbedeutung, nämlich Lehrer und Lehre, wobei der Lehrer die Lehre in den menschlichen Lebensvollzug integriert.

Die Bedeutung des Lernens im Judentum

Im Judentum sind Lernen und Lehren ein immerwährender Prozess; der Terminus »lebensläufiges Lernen« – wohl überall betont – gehört zu den Grundfesten des Judentums: Lernen in der Welt für die Welt nach der Weisung des Ewigen.

„Mosche empfing die Thora vom Sinai und übergab sie Jehoscha, Jehoscha den Ältesten, die Ältesten den Propheten, und die Propheten übergaben sie den Männern der großen Synagoge."

Diese ununterbrochene Kontinuität der Weitergabe der Weisung (Tora) des Ewigen fängt schon in der Familie, als dem traditionell-jüdischen Lernort, an. Diese Weitergabe garantiert die Aufrechterhaltung der Lehre und Tradition und bewirkt Identitätsstiftung. „Der wahre Vater ist nicht der, der den Menschen ins Dasein ruft, sondern der, der ihn erzieht."18

Tatsächlich spielt das Lernen im Judentum immer eine große Rolle. In Sprüche der Väter sagt Jehoschua, Sohn von Perachja:

„Schaffe dir einen Lehrer, erwirb dir einen Freund, und beurteile jeden Menschen nach der günstigen Seite.“ Sprüche der Väter, Abschnitt 1:6

Schon während der Zeit von Esra (458 - 398 v.Z.) sagten die Männer der großen Versammlung unter anderem: "Bildet viele Schüler aus."19 Joschua Sohn von Gamala verordnete (um 65 n.Z.), dass man in jeder Landschaft und in jeder Stadt Lehrer anstelle und die Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren zu ihnen bringe.20 Um 75 v.Z. hatte schon Rav Schimon Sohn von Schetach das öffentliche Schulwesen im damaligen Palästina eingerichtet. Für den Unterricht von Mädchen wurde anfänglich nicht gesorgt. Erst im Mittelalter bekamen auch sie Unterricht. Schon in der damaligen Schulordnung stand: „Für je 25 Schüler ist ein Lehrer anzustellen. Sind ihrer mehr als 25, bis 40, so muß ihm ein Hilfslehrer beigegeben werden."21

Lernen und Gemeinschaft sind wesentliche Teile im Judentum. Aus diesem Grunde wurden schon sehr früh verschiedene „Jeschiwot" eingerichtet; die bekanntesten sind die von Hillel und Schammai. Gemeinsames Lernen gilt als wesentliche pädagogische Maßnahme, wobei nicht nur das Prinzip miteinander, sondern einer vom anderen als wechselseitiger Lernprozess, auch zwischen Schüler und Lehrer, zu betonen ist. Hieraus wird deutlich, dass sich jüdisches Lernen nicht in einseitig hierarchischen Strukturen verfängt. Diskurs und Dialog sind unentbehrliche Bestandteile des Lernens. Der Begriff „Judenschule" leitet sich davon ab, dass mitunter Diskussionen ziemlich laut geführt werden. „Von meinen Lehrern habe ich viel gelernt, von meinen Kameraden mehr als von den Lehrern, und von meinen Schülern mehr als von allen."22

Nun zurück zu dem Zitat aus der Apostelgeschichte Kap. 13,14-15

„Am Sabbat gingen sie in die Synagoge und setzten sich unter die Zuhörer. Nachdem man aus den Schriften des Gesetzes und der Propheten vorgelesen hatte, ließen die Synagogenvorsteher den Gästen sagen: »Brüder, wenn ihr der Gemeinde etwas zu sagen habt, dann sprecht!« "

Der im Faltblatt23 zitierte Text ist nicht ganz komplett. Kein Wort davon, worüber gesprochen werden soll, deshalb folgender Versuch, den Text in seinem Zusammenhang so sinngemäß wie möglich wiederzugeben. Zudem untersagt die jüdische Bibelexegese, biblische Texte ohne ihren Kontext herauszureißen und quasi als Schlagworte oder Thesen luftleer zur Diskussion zu stellen.

„Sie . . . gingen (auf Durchreise A.d.V) am Sabbat in die Synagoge und setzten sich" (auf die für Fremde bestimmten Plätze A.d.V.). Vers 15: Nach der Schriftlesung aus einem Buch Mose und den Propheten24 appellierten die Vorsteher der Synagoge an ihre Gäste: „Werte Brüder, wenn ihr eine erbauliche Ansprache an das Volk zu richten habt, so redet!"25 In der hebräischen Ausgabe des sog. Neuen Testamentes26 steht (dewar musar), die Ethik betreffend. Dies kann sowohl in ermahnender als auch vertiefender Weise geschehen. Jedenfalls soll es lehrend und belehrend sein. In diesem Zusammenhang ist die Tora das Buch der Weisung und des Lebens zur Vervollkommnung.

Aus dem oben Erwähnten lassen sich vier verschiedene Deutungen heraus arbeiten:

  1. Im besagten Faltblatt werden die Gäste nur aufgefordert zu reden.
  2. Die Luther- und Elberfelder27 Übersetzung lassen sie die Gäste das Volk ermahnen.
  3. Die Einheitsübersetzung lässt sie ein Wort des Trostes sprechen.
  4. Bei Dr. Menge28 gibt es nach gut jüdischer Tradition eine erbaulich-aufbauende Ansprache.

An und für sich eine gute Beschreibung, wie es damals und noch heute in der Synagoge zugeht. Nach der Verlesung des Wochenabschnittes, der Parascha29, aus der Tora, wird eine korrespondierende Propheten-Perikope verlesen, die Haftara30. Nach dieser Schriftlesung findet die Derascha,31 die Auslegung statt. Wie alle anderen Funktionen in der Synagoge kann auch die Schriftauslegung von jedem Kundigen in der Gemeinde ohne Unterschied der Stellung und Abstammung gehalten werden. Dabei kann es zur Diskussion kommen. Oft wird ein durchreisender Rabbiner oder sonst ein gelehrter Gast dazu aufgefordert, eine erbauliche Ansprache zu halten. Dies ist heute noch üblich. Das Missverständnis liegt bis in die heutige Zeit in der Übersetzungstradition: „Schriften des Gesetzes."

Im Originaltext steht: "nomou".32 Dies wurde von Martin Luther übersetzt mit: "Nach der Lesung des Gesetzes". In der Elberfelder-Bibel und in der Einheits-Übersetzung steht: „. . . dem Vorlesen des Gesetzes"; sogar Hermann Menge33 schreibt: „Der Schriftverlesung aus dem Gesetz". Immer wieder das gleiche: Man versucht die hebräische Bibel aus dem Christlichen zu verstehen und lässt einen Nichtjuden34 darüber erzählen, was die Juden in der Synagoge lesen und wie es dort Brauch ist. Wenn man unbedingt aus der christlichen Bibel zitieren will, dann nehme man auch die Apostelgeschichte 15 Vers 21, dort steht: „Denn Mose hat seit ältesten Zeiten in jeder Stadt seine Verkündiger, da er in den Synagogen an jedem Sabbat verlesen wird". Tatsächlich wurde schon damals35 aus den fünf Büchern Mose gelesen und nicht aus der "Halacha",36 dem jüdischen Gesetzbuch. Dass die fünf Bücher Mose mehr enthalten als Anweisungen, Gebote und Vorschriften, dürfte bekannt sein, jedenfalls denjenigen, die die Bibel auch mal von vorne nach hinten und nicht nur von hinten nach vorne gelesen haben.37

„Die Tora, die schriftliche und mündliche, ist somit die Lehre, die den Menschen anweist, wie er zu leben hat. Obwohl sie hauptsächlich zu Israel spricht, finden sich in ihr auch Anleitungen für alle Menschen".38

„Die Torah, die Israel durch Moses gegeben wurde, ist die Wurzel all unserer Weisheit, unseres Glaubens, Verhaltens und Gesetzes, des richtigen Benehmens, der Moral und aller Offenbarungen der Welt. Sie kann sowohl in ihrer einfachen Bedeutung als auch in ihrem mystischen Gehalt studiert werden."39 Das hebräische Wort »Torah« bedeutet »Unterweisung, wie man leben soll«, um seine je eigene Aufgabe in der Welt zu erfüllen. Denn jeder Mensch hat seine spezifische gottgegebene Aufgabe, die er erfüllen, aber auch ignorieren kann. Letzteres führt die Welt und die Menschheit ins chaotische, gesetzlose Verderben, ohne sicheren Sitz im Leben; angestrebte Vollkommenheit, Einheit, Ganzheit werden unterbunden.

Es ist deshalb auch sozial-ethisch irreführend und nicht vertretbar, wenn man behauptet, in der Synagoge wird aus den „Schriften des Gesetzes" gelesen.

Am Sabbat wird aus der Tora (Weisung) – im engeren Sinn den fünf Büchern Mose gelesen.40

Bereits in der Tora finden wir die Aufforderung zu öffentlichen Schriftlesungen: „Versammle das Volk, die Männer und die Frauen und die Kinder und auch den Fremden41 in deinen Toren, damit sie hören und damit sie lernen und den Ewigen, deinen G'tt, fürchten und alle Worte dieser Lehre (Tora) beachten, sie auszuführen."42

 

„Dem Propheten Nehemia zufolge bot eine Schriftlesung Esras Anlass zur Einführung der Toralesung. Wir erfahren in Nehemia 8, dass Esra 'das Buch der Weisung Mosches' (Torat Mosche) auf den Platz vor dem Wassertor brachte und daraus von Tageslicht an bis zum Mittag vor der Versammlung der ,Männer, Frauen und derer, die es verstehen konnten', vorlas. Die Lesung erfolgte mit der Erläuterung und Darlegung des Sinnes, dass sie das Gelesene verständlich machen konnten."43

Das jüdische Volk und sein Gesetz

Dass im Judentum die göttliche Offenbarung über das Menschenbild und sein Verhältnis zum Schöpfer, dessen Schöpfung und zum Mitmenschen in gesetzlichen Vorschriften geregelt wird, hat einen großen, aber nicht alleinigen Wert. „Darum aber das Judentum zur Gesetzesreligion stempeln wollen, heißt sein Wesen verkennen. Ist es ja niemals die Tat, sondern die Gesinnung, auf die alles Gewicht gelegt wird. Das lautere Herz allein gilt vor dem heiligen G'tt."44

Das Judentum wurde oft und mit gewissem Recht als 'Religion der Tat'45 definiert. Im Mittelpunkt eines erfüllten jüdischen Lebens steht die religiöse Tat als Vollzug göttlicher Anweisungen46(mitsva). Obwohl Gesetzund Brauch(minhag)   eine große Rolle spielen, besonders in der Überlieferung47 (masoreth), kann man nicht behaupten, dass die jüdische Religion nur eine Gesetzesreligion ist, wie dies im christlichen Verständnis festgelegt wurde. Durch die Verzahnung von Lehre, Gesetz und Brauch wird eine Kontinuität geschaffen, wodurch die jüdische Religion, trotz aller Verfolgungen und Angriffe, u.a. vom Christentum, unverändert an die heutige Generation48 überliefert worden ist. Herzstück des Judentums sind Tradition und aktive Erinnerung: die Weitergabe vom Vater auf den Sohn sowohl der schriftlichen als auch der mündlichen Tora, von Geschlecht zu Geschlecht, in einer ununterbrochenen Kette, wie sie zum Ausdruck kommt im Einleitungssatz zu den Sprüchen der Väter49:

„Mosche empfing die Tora am Sinai und überlieferte sie dem Josua. Josua den Ältesten, die Ältesten den Propheten und die Propheten überlieferten sie den Männern der großen Synagoge".

Exodus 31:18 „Nachdem der Herr zu Mose auf dem Berg Sinai alles gesagt hatte, übergab er ihm die beiden Tafeln der Bundesurkunde, steinerne Tafeln, auf die der Finger G’ttes geschrieben hatte."50

Denn es heißt, dass Mose nicht nur die Zehn Gebote,51 sondern die ganze Tora,52 sowohl die schriftliche als auch die mündliche, gekannt und an das Volk Israel weitergegeben hat. In Exodus Rabba53 steht, dass Mose nicht nur in der schriftlichen Tora, sondern auch im Talmud (der mündlichen Tora) unterwiesen wurde. Die ganze Tora, die nur für Mose und dessen Generation gegeben wurde, übergab Mose an ganz Israel.

Für das jüdische Volk – war und ist – sowohl die schriftliche als auch die mündliche Tora eine Lehrschule von Weisheit und Tugend, die Quelle, aus der es durch die Jahrhunderte von Leiden und Unterdrückung, zwar nicht ausschließlich, aber doch hauptsächlich seine geistliche Erquickung entnahm, das Schutzbild, das es mit seinem Leben verteidigte. Sie behandelt alle möglichen Themen, wie Philosophie, Ethik, Pädagogik, Glaubenslehre und Aberglaube. Für die Orthodoxie ist die Tora noch immer die höchste Autorität.

Für liberale Juden ist die Tora eine Inspirationsquelle, sowohl in der Literatur als auch in der Psychologie. Gemeinsam dennoch sehen sie die Überlieferung der Tora im Judentum als zentrale Aufgabe. Ohne Tora und Halacha (das jüdische Gesetzbuch) – auch wenn es unterschiedlich interpretiert wird – wird es keinen jüdischen Staat, überhaupt keine jüdische Identität geben. Das haben die Makkabäer54 vor über 2000 Jahren verstanden, und das verstehen wir Juden, egal ob orthodox oder liberal, auch heute noch.

Von vielen wird auch die mündliche Tora (Talmud) als Gesetzbuch abgestempelt

Dr. J.L. Palache schrieb in seiner „Einführung in den Talmud" 1922: „Unter den vielen falschen Behauptungen über die Art Talmud zu verstehen, ist der am wenigsten korrekte, ihn als ein Gesetzbuch zu bezeichnen."55 Dr. Wünsche beschreibt den Talmud: „Wir sehen in ihm den Niederschlag des geistigen und religiösen Lebens der Juden von mehr als sieben Jahrhunderten, er ist eine bis in die winzigen Details kondensierte Geistesgeschichte des jüdischen Volkes. Nach einer anderen Seite betrachtet erscheint der Talmud als eine großartige Lehrhalle, in welcher mehr als tausend Rabbiner sich vernehmen lassen und außer religiösen und juristischen Fragen auch manche naturwissenschaftliche, medizinische, astronomische und pädagogische Dinge erörtern." 56

Das wichtigste in der Tora, sowohl in der schriftlichen als auch in der mündlichen, ist das Bekenntnis zu einem einzigen, unteilbaren G’tt und das daran gebundene Postulat, dass auch die Menschheit einzig und unteilbar ist. Hierin liegt die Einzigartigkeit des jüdischen Bekenntnisses. Beide Aussagen hängen zusammen: Wo ein G’tt die Menschen schafft, werden alle zu gleichgewichtigen Brüdern und Schwestern mit unterschiedlichen Anlagen und Aufgaben.

Die goldene Regel

Im Talmud57 wird die Geschichte vom großen Gelehrten Hillel aus Babylon erzählt. Er lebte etwa 60 v.Z. bis 10 n.Z. Die Überlieferung erzählt, dass ein Mann Hillel fragte: „Kannst du mich die ganze Tora lehren, während ich auf einem Bein stehe?" Hillel antwortete bejahend. Er sagte: „Was dir verhasst ist, das tue deinem Freund (Gefährten, Bruder) nicht an, das ist die ganze Tora, den Rest musst du lernen."

Nach Hillel lässt sich die Tora in dieser »Goldenen Regel« zusammenfassen. Auch diese Goldene Regel ist gegründet auf dem Gebot, so wie geschrieben steht im 3. Buch Mose.19,18Hier gibt es zwei Übersetzungsmöglichkeiten:

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich bin der Ewige".

oder „Liebe deinen Nächsten, er ist wie Du. Ich bin der Ewige".

Denn alle Menschen sind Geschöpfe des einen, einzigen G’ttes. Um dieser Einheit näher kommen zu können, müssen wir uns unserem Schöpfer und unseren Mitmenschen gegenüberstellen. Immer wieder handelt es sich in der Tora um das rechte Bezugnehmen zum Schöpfer und zu Seiner Schöpfung und zu allem, was sich darin befindet.

Es ist faszinierend, wie damals schon über das Verhältnis zu Tieren, die Rechte der Frau, den Schutz der Fremden, Armenfürsorge und Wohltätigkeit, um nur einige Aspekte zu nennen, geschrieben wurde. Einer der größten Wohltaten für die Menschheit war die Einführung – ohne Gewerkschaft – der 6-tägigen Arbeitswoche und des ,Sabbats', am siebten Tag. "Dieser ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem G’tt geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Dein Sklave und deine Sklavin sollen ausruhen wie du." Zur Begründung wird angegeben: „Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst . . ."58

Auch für den Fremden gilt der Grundsatz der Nächstenliebe als Gebot der Tora: „Und wenn ein Fremder bei dir – in eurem Land – als Fremder wohnt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Wie ein Einheimischer unter euch soll euch der Fremde sein, der bei euch als Fremder wohnt; du sollst ihn lieben wie dich selbst. Denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. Ich bin der HERR, euer G’tt." Auch dieses Gebot ist eine Erinnerungsleistung und hat nichts an Aktualität verloren.

Schließlich ist uns die Tora zum Leben gegeben worden

Leben zu retten, ist das höchste Gebot und übertrifft alle andere Geboten.

Denn das Gebot (mitzwa) ist eine Leuchte und die Weisung (tora) ein Licht, und die Zurechtweisungen sind der Weg zum Lebens(glück). Sprüche 6,23

Mit Recht, „welche große Nation besäße Gesetze (xokim), und Rechte (mishpatim ) wie diese ganze Lehre (haTora), die ich – der Ewige – euch heute vorlege?" Deut 4,8

„Die Weisung(Torat) des Ewigen ist vollkommen und erquickt die Seele. Das Zeugnis desEwigen ist verlässlich, den Unwissenden macht es weise." Psalm 19,8

„Horcht her, ihr Völker und ihr Menschen, hört auf mich! Denn von mir kommt die Weisung(Tora), und mein Recht wird (mishpati) den Völkern zukommen". Isa. 51,4

Aus den obigen Zitaten wird die universale Bedeutung der Tora für alle Menschen wohl augenfällig werden.

„Viele Völker machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Ewigenund zum Haus des G’ttes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung(Tora), aus Jerusalem kommt das Wort des Ewigen." Micha 4,2

Nur das Gesetz kann uns Freiheit geben

Aus dem bisher Erörterten lässt sich resümierend festhalten, dass die in der Tora enthaltenen Gebote, Vorschriften – auch Gesetze – in keinster Weise nur dem jüdischen Volk exklusiv zugeordnet werden dürfen. Jeder Mensch ist ein Geschöpf G’ttes. Die Einhaltung der Gebote und Verordnungen gibt den Fundus für ein menschenwürdiges Leben. Gesetze bewirken wohl Einschränkung, verlangen Widerstand, erlauben andererseits aber auch Rechte und damit Freiheit, Gebunden-Sein ermöglicht Freiheit, eine uralte pädagogische Prämisse. Ohne eindeutige Markierungspunkte verliert sich Leben im zügellosen, haltlosen Chaos, orientierungslos, hilflos, verloren. Nicht umsonst betont das jüdische Volk mit unerschütterlicher Vehemenz das Bund-Geschehen G’ttes mit ihm. Es schließt richtungweisende, sinnstiftende Orientierung ein, aber auch ein Vor-Leben für andere Menschen. Nicht umsonst hat ein kleines Volk allen Wirrnissen standhalten können, weil es durch die Tora Stand erfährt.

 

Was brauchen wir, damit die Lehre des Ewigen59 unverändert und gerecht weitergegeben wird?

Dazu nehmen wir als Beispiel Joel Kap. 2 Vers 23:



Wenn wir diesen Text so getreu wie möglich übersetzen oder verdeutschen wollen, steht dort: „Und ihr Kinder Zions, freuet euch und seid fröhlich im HERRN eurem G’tt!" So weit richtig ausgedrückt. Aber dann kommt das Problem:denn er gibt euch den Lehrer der Gerechtigkeit.

Jetzt schauen wir, wie es in der Luther-(1984) und Einheitsübersetzung (1980) steht:

Die Lutherübersetzung schreibt: „der euch gnädigen Regen gibt" und die Einheitsübersetzung: „Denn er gibt euch Nahrung, wie es recht ist."

Wie kommt es dazu, dass wir in einem Text drei total verschiedene Übersetzungen bekommen? Der Fehler steckt in der Übersetzung des Substantives60 „Moreh". Dies kann sowohl „Lehrer", „Pfeilschütze" als auch „Frühregen" bedeuten. Eine sinnvolle Deutung dieses hebräischen Textes kann nur geschehen, wenn wir ihn in seinen sprachlichen und kulturellen Kontext stellen. In diesem Text kommt „Moreh" zweimal vor, einmal als(haMoreh leZedaka) und einmal als(Geschem Moreh weMalkosch). Im letzten Abschnitt gibt es keine Zweifel.(geschem) bedeutet Regen. Im biblischen Kontext wird(moreh) auch in Verbindung mit Frühregen gebracht und(malkosch) mit Spätregen. Richtig übersetzt: „und lässt euch Regen herabkommen: Frühregen (Herbstregen) und Spätregen (Frühlingsregen). Hierin sind sich die meisten Übersetzer einig. Ganz unterschiedlich wird es bei der Übersetzung von(haMorehleTsedaka). Es wird in der Lutherübersetzung (1964/1984) übersetzt mit „gnädigem Regen". Auch der Begriff „Zedaka" hat im Judentum einen hohen Stellenwert, hat immer mit Gerechtigkeit(tsedek) zu tun, so wie es zum Ausdruck kommt in Psalm 106,31: „das wurde ihm gerechnet zur Gerechtigkeit(Tsedaka) von Geschlecht zu Geschlecht ewiglich." Er gibt Ausdruck über das Verhalten der Menschen, das von dem Ewigen als richtig (gerecht) und ihm wohlgefällig anerkannt wird. Wohltätigkeit „Zedaka" heißt im Judentum Gerechtigkeit ausüben und hat nichts mit gnädig zu tun. Die Einheitsübersetzung schreibt: „Denn er gibt euch Nahrung, wie es recht ist." Auch die jüdische Bibelübersetzung von Leopold Zunz macht es sich leicht und übersetzt (haMoreh leTsedaka) einfach mit Regen und lässt das Adjektiv(Tsedaka) unberührt. Dr. Hermann Menge formuliert: „Denn er gibt euch den Herbstregen nach rechtem Maß". Nur die niederländische reformierte Übersetzung, sowohl von 1967 als auch von 1924 schreibt „Lehrer zur Gerechtigkeit". Bei den deutschen Übersetzungen muss man zurück nach 1812. Hier wird es unserer Meinung nach sinnvoller übersetzt mit: „Und ihr Kinder Zions freuet euch, und seid fröhlich im Herrn, eurem G’tt, der euch Lehrer zur Gerechtigkeit gibt, und euch herabsendet Frühregen und Spätregen, wie vorhin". Der Lehrer zur Gerechtigkeit bezieht sich auf die Propheten, welche von G'tt geschickt werden, um dem Volk den Weg der Gerechtigkeit zu lehren, bzw. es anzuweisen, und wenn das Volk auf ihre Worte hört und danach handelt, so werden die Frühregen und Spätregen zur rechten Zeit kommen.

Es bleibt aber die Frage, was haben die Verben "zeigen" und "schießen" (jara), die Begriffe „Lehrer" und „Schütze" (moreh) miteinander zu tun? Der Begriff (moreh) bedeutet, einer, der den anderen lehrt, jemand, der das Lernen weiter gibt, den Weg zeigt. Wir finden den Begriff in 2. Chronik 15,3 „. . . und ohne Cohen Lehrerund ohne Lehre(Tora)". Beide Begriffe sind abgeleitet vom Verb (hora), das heißt lehren. Deshalb kann man(cohen moreh) auch übersetzen mit „ohne belehrenden Priester". Aber(moreh) bedeutet auch "Schütze", der es versteht, zielgerichtet mit Pfeilen zu schießen. Wir haben schon festgestellt, dass die Wurzel des Substantivs(Tora) und damit auch(moreh) abgeleitet ist vom Verb (jara), was „zeigen", aber auch „schießen" bedeuten kann. Deshalb ist ein guter Lehrer jemand, der nicht irgendeinen Weg zeigt, sondern wie ein Schütze, der zielorientiert den Weg zeigt, einen(moreh-derech = Weg), eine Wegweiserfunktion einnimmt.

Mit Recht betont Franz Rosenzweig61 schon: „Für den Übersetzer gibt es eigentlich kein Gut und Besser, nur ein Schlecht und weniger Schlecht". Oder so wie Pinchas Lapide62 es ausdrückte: „Jede Übersetzung übt Ersetzung; den Urlaut und den Ursinn gibt sie nie ganz wieder, denn keine zwei Sprachen sind deckungsgleich in ihrer Semantik". Durch eine schlechte Übersetzung geht die Quintessenz verloren.

Das zuletzt genannte Dilemma hinsichtlich überschneller und uneindeutiger Übersetzungs- strategien sollte im Zusammenhang dieser Erörterung, Tora einseitig mit Gesetz zu verbinden und auch so zu übersetzen, mit wenigen Worten erhellt werden. Die Tora bedarf, um richtig, in ihrem Sinne verstanden, gedeutet und auch übersetzt zu werden, eines lauteren, gerechten Lehrers, der sozusagen den Brückenschlag zwischen Geschriebenem und dem zu Sagenden schlägt, ohne sich in Missverständnissen und Mehrdeutigkeiten zu verirren und damit zu verfälschen.

„Das Leben ist von G’tt dem Menschen gegeben, und er selbst soll es gestalten und bereiten. Dadurch, dass er das Rechte übt, „erwählt er das Leben", wird er der Schöpfer seines Daseins."

Er hat dir kundgetan, o Mensch, was gut ist. Und was fordert der Ewige von dir? Doch nur Recht tun, Güte lieben und in Demut wandeln mit deinem G.tt! Micha 6,8

Wer nach Gerechtigkeit und Liebe strebt, findet Leben und Ehre. Sprüche 21,21

Sprüche 3,13: Wohl dem Menschen, der Weisheit gefunden, und dem Menschen, der Einsicht gewonnen! 14 Denn ihr Erwerb ist besser als Silber und <wertvoller> als Gold ihr Gewinn . 15 Kostbarer ist sie als Perlen, und alle deine Kostbarkeiten kommen an Wert ihr nicht gleich. 16 Länge des Lebens <ist> in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre. 17 Ihre Wege sind freundliche Wege, und alle ihre Pfade sind Frieden. 18 Ein Baum des Lebens ist sie für <alle>, die sie ergreifen, und wer an ihr festhält, ist glücklich zu preisen.

 

 

Fußnoten
  1. Paulus stellt oft, besonders im Galaterbrief und Römerbrief, Gesetz und Evangelium als zwei unterschiedliche Heilswege gegenüber. Auf dem Weg des Gesetzes versuche der Mensch, sich selbst zu retten, indem er möglichst viele gute und gerechte Werke tue. Dieser Weg führe aber nicht zum Heil. Heil und Erlösung von Sünde und Tod bringe nur der Glaube an das Evangelium, an die Frohe Botschaft von Jesus Christus. Wer daran glaube, dass Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung ein für allemal die Rettung des Menschen erwirkt hat, sei schon gerettet.
    Röm.7:6 „Jetzt aber sind wir frei geworden von dem Gesetz, an das wir gebunden waren, wir sind tot für das Gesetz und dienen in der neuen Wirklichkeit des Geistes, nicht mehr in der alten des Buchstabens“.
    Galater 3:23 "Ehe der Glaube kam, waren wir im Gefängnis des Gesetzes, festgehalten bis zu der Zeit, da der Glaube offenbart werden sollte." (Einheitsübersetzung 1980).
  2. Mein Schreiben an den Vorstand, vom 8.Juli 2002 betreffende Anmerkung zum Faltblatt.
  3. Wenn man eine Übersetzung benützt, soll man sich vorher vergewissern, welche Ausgabe man gebraucht. Ein Beispiel: Nach der Lutherausgabe von 1812 schreibt Paulus im Römerbrief 11,28 „Nach dem Evangelim hälte ich sie (die Juden, A.d.V.) für Feinde, um euretwillen; aber nach der Wahl habe ich sie lieb, um der Väter willen“. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1975 ist folgende Änderung eingebracht: „Im Hinblick auf das Evangelium sind sie (die Juden, A.d.V.) zwar Feinde Gottes ...“. Diese Behauptung ist im Original-Luthertext nicht vorhanden. Es ist  ungeheuerlich, zu behaupten, dass die Juden Feinde G’ttes seien. Diese grauenvolle Unterstellung ist in der Lutherausgabe 1984 wieder revidiert worden, damit sind die Juden in diesem Text wenigstens rehabilitiert. In der so genannten Einheitsübersetzung (1980) ist dies leider nicht der Fall. Dort steht dieser schmerzliche Fehler noch immer. „Vom Evangelium her gesehen sind sie Feinde Gottes, und das um euretwillen; von ihrer Erwählung her gesehen sind sie von Gott geliebt, und das um der Väter willen."
  4. Septuaginta (lat: 70), die älteste und wichtigste griechische Version der hebräischen Bibel. Nach der Legende des pseudepigraphischen Aristeasbriefes wurde sie in der 1. Hälfte des 3. Jh.v.Z. unter Ptolemäos II. Philadelphos von 72 jüdischen Gelehrten innerhalb von 72 Tagen nach einer Torahandschrift aus Jerusalem übersetzt und von der jüdischen Gemeinde Alexandrias anerkannt. Sie wurde seit dem 2. Jh. n.Z. von den hellenistischen Juden aufgegeben. Es gab erhebliche Textvarianten und es fehlten ca. 2700 Wörter gegenüber dem hebräischen Text. Die Übertragung der hebräischen Bibel aus einer hebräisch-orientalischen in eine griechisch-hellenistische Sprach- und Geisteswelt hat in der Septuaginta u.a. zur Zurückdrängung der Anthropomorphismen, zu einem teilweise philosophischeren G’ttes- und Sündenbegriff und zum Ersatz des hebräischen G’ttesnamens Jahwe durch Kyrios HERR geführt. Abgesehen davon, dass dadurch die Männlichkeit von G’tt betont wird – im jüdischen Sprachgebrauch „Ewiger“ genannt – weiß man bei den Christen nicht, ob nun der Vater oder der Sohn gemeint ist.
  5. Jüdischer Glaube von Schalom Ben Chorin 2. Aufl.  1979, Seite 10.
  6. Begriff von Martin Buber.
  7. Die Lehren des Judentums nach den Quellen;  Neue und erweiterte Ausgabe 1999 Band I, Seite 47. Artikel von Elbogen 1932.
  8. Schalom Ben-Chorin: Paulus, der Völkerapostel in jüdischer Sicht. 1.Aufl. 1980, Seite 53.
  9. Lapide, Pinchas, Ist die Bibel richtig übersetzt? Band 1, GTV 1996, S. 43
  10. Belehrung, Unterweisung und zwar im alten Sprachgebrauch nur von der göttlichen Belehrung. (Hebräisches Wörterbuch z. AT Leipzig 1893) Unterweisung, Lehre. 2. kultische Anweisungen und Regeln. 3.    besonders die Anweisung G.ttes. (Wilhelm Gesenius Hebr. U. Aram. Handwörterbuch über das AT, Springer Verlag 1962).
  11. „Koine" allgemeine Verkehrssprache des Hellenismus. 
  12. Das Griechische ist die älteste überlieferte indogermanische Sprache Europas. Das Hebräische ist eine dem    Nord(west)semitischen angehörende Sprache.
  13. Israels Religion av Helmer Ringgren S.65.
  14. (lamad) lernen.(talmid) Schüler.(talmud) "Talmud" (die mündliche Lehre) Lernen, Studium.(melamed) Lehrer (iCheder). (hore) lehren, anweisen, anleiten.(Tora) "Tora"Lehre;er wird lehren. (more)Lehrer; er lehrt; m alten(hora’a) Unterricht, Lehrtätigkeit, Anleitung, Anweisung.
  15. "Cheder" bedeutet eigentlich Zimmer. Bezeichnung der Lehrstube, der traditionellen ostjüdischen Grundschule.    Hier bekamen Knaben vom  4. – 5.Lebensjahr bis zur Bar Mizwa (13- jähriger Sohn, der in seine religiösen Verpflichtungen eintritt) Unterricht. 
  16. Die Anordnung des europäischen Alphabets geht auf das älteste semitische "Alef-Beth"zurück, bei dem die Bildähnlichkeit der Zeichen eine Rolle spielten. "Alef"bedeutet „Kopf des Stieres“; "Beth"= Haus. 
  17. Sprüche der Väter Abs. 1,1
  18. Schemot rabba c. 46.
  19. Sprüche der Väter 1,1.
  20. Baba batra 21a.
  21. Maimonides: II,5 (nach Talmud Baba batra 21a).
  22. Talmud Ta’anit 7.
  23. Faltblatt eines Vereins, der u.a. zur Aufgabe hat: „Förderung des Verständnisses für jüdische Religion und Kultur“ (Satzung §2).
  24. avna,gnwsin Lesung, Lektion no,moj Ordnung, Gesetz, Gebrauch, Tradition; Weise, Art.  
  25. Beistand, Erbauung; zur Hilfe rufen.
  26. The Bible Society – Israel Agency 1970.
  27. Luther Übersetzung 1984 und Elberfelder 1994.
  28. Die Heilige Schrift – Alten u. Neuen Testaments von D.Dr. Hermann Menge 15. Auflage.
  29. In der Synagoge wird regelmäßig viermal wöchentlich aus der Tora (5 Bücher Mose) gelesen, am Morgen- und    Mincha-G’ttesdienst des Schabbats, sowie am Montag und am Donnerstag morgens. Für den Zweck der wöchentlichen Vorlesungen ist die Tora in 54 Abschnitte, "Parascha"oder auch "Sidra" genannt, geteilt.
  30. Haftara abschließen, Bezeichnung der Abschnitte aus den prophetischen Büchern, die als Abschluss der    sabbatlichen Tora-Vorlesung nach dem jeweiligen Wochenabschnitt verlesen werden. Dieser Brauch entstand    wahrscheinlich unter dem Religionsedikt von Antiochos IV (168-165 v.Z.). Um das Verbot der Toralesung zu    umgehen, las man beim Gebet eben den Propheten-Abschnitt, der mit dem Tora-Abschnitt korrespondierte.
  31. Derasch, Derascha forschen, auslegen. Während die G'ttesdienstordnung immer in der hebräischen Sprache  abgehalten wurde, fand die Auslegung in der Landessprache statt.
  32. Novum Testamentum Graece 1965.
  33. Die Heilige Schrift. Übersetzt und neu bearbeitet von D. Dr. Hermann Menge 15. Auflage.
  34. Als Verfasser der Apostelgeschichte gilt seit Irenäus (ca. 140-200 n.Z.) der Arzt Lukas. Er war ein so genannter Heidenchrist. Eigenart, Herkunft und Abgrenzung der von Lukas benutzten Quellen sind umstritten. Die Apostelgeschichte ist nicht frei von theologisch oder auch schriftstellerisch fraglichen Auslegungen.
  35. Die älteste Anordnung über eine Toravorlesung finden wir Deut. 31,10 für das Hüttenfest im Erlassjahr, die älteste Nachricht über eine erfolgte Vorlesung Neh.8, in dem Bericht über die berühmte Volksversammlung, in der Esra die Gemeinde auf die Tora verpflichtete. (I. Elbogen, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung. 3.Aufl.1931 S. 157)
  36. „Halacha"„Wandel“, „das Gehen“;„gehen“. Bezeichnung für den normativen Teil der jüdischen Überlieferung im Ganzen als auch für eine Einzelbestimmung. Die Halacha umfasst die schriftliche Tora (die Anweisungen der fünf Bücher Mose) und die mündliche Tora als deren Interpretation sowie nicht direkt in der hebräischen Bibel enthaltene Vorschriften. Wichtige Halacha-Sammlung ist die Mischna, ein Teil des Talmud.
  37. In der Schöpfungsgeschichte finden wir die Grundlage für das Menschenbild und unsere Aufgabe in dieser Welt.    Siehe Artikel: "Die Thora und die Schöpfung" von Arjeh Lieo Gur.
  38. Jüdisches Leben von Rabbiner Chajim Halevy Donin S. 28-29.
  39. Judentum von Eliahu Avichail S. 25-26.
  40. Wie Juden leben von Israel Meir Lau. Ein NES AMMIM (ein Zeichen der Völker) Buch zum besseren Verständnis des Judentums und Israel. S.31
  41. Fremde גר (gér), bedeutet Nicht-Jude, der sich in einem Ort als Schutzbefohlener eines einzelnen oder einer Gemeinschaft aufhält.
  42. Deut. 31,12 Einheitsübersetzung: „. . ., dass sie alle Bestimmungen dieser Weisung (Tora) halten“.
  43. Tora-Lesung von Jehonatan Grünfeld.
  44. Kaufmann Kohler: Grundriß einer syst. Theol. des Judentums S.2
  45. Rabbi Chanina sagte: “Jedem, dessen Taten reichlicher sind als seine Weisheit, bleibt seine Weisheit bestehen; und jedem, dessen Weisheit reichlicher ist als seine Taten, bleibt seine Weisheit nicht bestehen". Sprüche der Väter, Abs. 3:12
  46. Mizwa מצוה mitsvas. מצוֹת mitsvot pl Anweisung, Gebot,  צוה  anordnen, befehlen
  47. Überlieferung „Massora" מסורה  Bezeichnung sowohl für die Überlieferung der unveränderten Tora und das Lernen aus der Geschichte als auch die Überlieferung der Schreib- und Leseweise der biblischen, traditionellen Gestaltung des Bibeltextes durch die „Massoreten".
  48. Generation(Dor waDor) von Geschlecht zu Geschlecht. „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte! Frag deinen Vater, er wird es dir erzählen, frag! die Alten, sie werden es dir sagen!“    (Deu 32:7) „damit die Nachkommen davon erfahren, die Kinder späterer Zeiten; sie sollten aufstehen und es    weitergeben an ihre Kinder“. (Psalm 78:6)
  49. Sprüche der Väter „Pirke Awot" aus dem Traktat "Nesikin" (Teil der "Mischna"), Sammlung von Wahlsprüchen der Rabbiner. 
  50. Exodus 31:18
  51. Die "Zehn Gebote", auf griechisch „Dekalog", auf hebräisch  „Zehnwort". Exod. 20,1
  52. Die schriftliche Tora (Weisung)(Tora sjebixtav) ist die hebräische Bibel, auf hebräisch(Tanach) genannt. Dies ist ein Kurzwort für Tora.Propheten, Newiim,und Hagiographen oder Schriften Ketuwim . Nach der Tradition hat Moses die mündliche Tora (Tora sjeb’alpe) ebenfalls am Berge Sinai erhalten. Das Endergebnis dieser mündlichen Überlieferung war eine von Rabbi Jehuda Ha-Nasi im 2. Jahrhundert n.d.Z. redigierte und geordnete Textsammlung – die "Mischna" משנה, ein Wort, das "Wiederholung" und "Lehre" bedeutet.
  53. Midrasch: Schemot rabba 47:1.
  54. Makkabäer nach dem Beinamen Hammerschwinger oder Hammerartige nach Juda Makkabi genannt. Die erste jüdische Dynastie des 2. Tempels (140-37 v.Z.).
  55. Inleiding in de talmoed Prof. Dr. J. L. Palache Seite 9.
  56. Der Talmud von A. Wünsche, Seite 2.
  57. Talmud Schabbat 31a.
  58. Exodus 20,1-17; Deut. 5,6-21.
  59. Durch Moses Mendelsohn wurde die Bezeichnung "Der Ewige" vom 18 Jahrh. bis heute formativ für das deutsche Judentum. Eine Übersetzung mit HERR suggeriert ein Geschlechtsmerkmal. Samuel Hirsch benützt den Begriff „haSchem"oft gebraucht in Zusammenhang mit(mit G’ttes Hilfe). 
  60. In Jehuda Gur, „Hebräisches Wörterbuch" von 1949 wird z.B. „Moreh" wie folgt erklärt:
    1. Morehist jemand, der den anderen lehrt, den Weg weist. Beispiele für diesen Wortgebrauch finden wir in: 2. Chronik 15,3, Jesaja 9,14 und 30,20.
    2. Morehist ein "Kriegsmann, der es versteht mit den Pfeilen zu schießen", so wie es in 1. Sam. 31,3; 2. Sam. 11,24 gebraucht wird.
    3. Morehin der Bedeutung für "Frühregen" finden wir in Joel 2,23 (das erste moreh übersetzen einige mit Lehrer).
    Ergänzend dazu die Ausführung von Avraham Even-Shushan in seinem Buch „Milon hadash"
    1. Moreh, ist „jemand der lehrt; im Besitz ist von Neuigkeiten für andere“.
    2. Moreh, „jemand der mit Pfeil und Bogen schießt, jemand der nach dem Ziel schießt“.
    3. Moreh ist der Frühregen, der erste Regen im Land, der zur ersten Befruchtung niederschlägt (in der Zeit zwischen Marcheschwan (Oktober/November) Kislew (Oktober/Dezember), wie in Joel 2,23 gemeint.
    Im Buch der Auslegung der zwölf kleinen Propheten von M.D. Kasuto und A.S. Hartom zu Joel 2,23 steht „Gemäß einer anderen Auslegung, ist mit dem Ausdruck, haMoreh der Lehrer zum Heile (zur Gerechtigkeit) (haMoreh leTsedaka), nicht der Regen gemeint, sondern es ist auf den Propheten bezogen ( נביא (navi) bedeutet eigentlich Mahner, Kundgeber A.d.V.) welcher von G’tt geschickt wird, um dem Volk den Weg der Gerechtigkeit zu lehren bzw. es anzuweisen, und wenn das Volk auf seine Worte hört, so werden die Regen zur rechten Zeit kommen.
  61. Franz Rosenzweig; Briefe, Berlin 1935, S. 625.
  62. Pinchas Lapide „Ist die Bibel richtig übersetzt?" Band 1, S. 12
  63. . 57
  64. Die Lehren des Judentums nach den Quellen, Band I, Kap. 1. Sittlichkeit als Grundforderung des Judentums, von Leo Baeck.

Epilog

Die Verantwortung für das geschriebene Wort ist groß! Wir sind so gründlich wie möglich zur Arbeit gegangen. Wir haben uns bemüht, so objektiv wie möglich zu sein. Risiken und Nebenwirkungen sind nicht auszuschließen, deshalb haben wir auch Theologen und andere Kapazitäten um Rat gefragt.

Die Reaktionen auf diesen Artikel haben uns ermutigt, den Dialog zwischen Christen und Juden weiterhin aufrecht zu erhalten.

Bnei Noach 

 
Schwabach 22. Oktober 2003

Dr. phil. Leonardus van Rooijen

Dr. phil. Gabriela Sarah Bayer