Die Kontroverse um Dabru Emet

Die Zeitschrift Commentary druckte in einer ihrer letzten Ausgaben achtzehn Reaktionen auf Dabru Emet, von zum Teil prominenten Verfasserinnen und Verfassern, und eine abschließende Reaktion von J. D. Levenson. Hier einige Auszüge.

Die Kontroverse um Dabru Emet

Die Zeitschrift Commentary druckte in einer ihrer letzten Ausgaben achtzehn Reaktionen auf Dabru Emet, von zum Teil recht prominenten Verfasserinnen und Verfassern, und eine abschließende ausführliche Reaktion von Jon D. Levenson; insgesamt 27 Spalten.


Wir dokumentieren hier einige der Antworten und die Reaktion auf sie von Jon D. Levenson in Auszügen.

Prof. Peter Ochs, University of Virginia, Charlottesville, Virginia

Dabru emet ist eine Erklärung zum Christentum, formuliert im Namen eines erneuerten Judentums, das auf dem Weg ist, sein Selbstvertrauen und seine Zielstrebigkeit nach den Verwüstungen des Holocaust wieder zu gewinnen. Wie die früheren Wiederbelebungen des Judentums nach den Perioden schrecklichen Verlusts, hat diese bedeutende Veränderungen im jüdischen Denken selbst zur Folge. Vor dem Holocaust war das Judentum zwei Jahrhunderte lang weitgehend eingeschränkt durch den unauflöslichen Streit zwischen modernen, säkularen Juden und einer anti-modernen Orthodoxie. Dabru Emet gehört zu einem Judentum, das nicht länger durch diese Logik definiert wird. Deshalb ruft es sehr bestürzte Reaktionen von Juden hervor, die noch immer in den Kategorien entweder - oder denken. Diese Juden finden in Dabru Emet nichts Neues, weil sie es in den Begriffen ihrer eigenen, alten Dichotomien lesen. Jon D. Levensons Rezension ist für diese Lesart symptomatisch.

Die vier Verfasser von Dabru Emet, ich eingeschlossen, glauben, das unser neu zum Leben gekommenes Judentum seine Weisheit in der Öffentlichkeit bekannt machen sollte. Wir glauben, dass Juden auf das reagieren müssen, was unsere Nachbarn lehren und darstellen. Aber wir können nicht auf etwas antworten, was wir nicht kennen. In der Vergangenheit ermutigten jüdische Eltern ihre Kinder, die säkularen Überzeugungen ihrer Nachbarn zu studieren, aber sie neigten dazu, ein vergleichbares Studium des Christentums ihrer Nachbarn zu entmutigen. Dieser Schleier der Unkenntnis mag einmal den Zwecken einer jüdischen Selbst-Definition gedient haben. Das aber ist nicht länger weise noch aufrecht zu erhalten.

Zuerst: Wenn unsere Kinder nicht die verschiedenen christlichen Theologien verstehen, dann werden sie unfähig sein zu beurteilen, welche Formen des Christentums heute jüdische Werte und Eigeninteressen unterstützen und welche sie weiterhin bedrohen.

Darüber hinaus: Unsere Kinder sind stolzer auf ihr Judentum und begieriger es kennen zu lernen, wenn sie in einem Gespräch mit Repräsentanten anderer Religionen stehen, vor allem der Christlichen.

Und schließlich: Wir haben aus den Schrecken des letzten Jahrhunderts gelernt, dass der säkulare Humanismus ein unzureichendes Bollwerk gegen die westlichen Tendenzen zu Nihilismus und Totalitarismus ist. Neben anderen Religionsvertretern müssen wir Freunde in der christlichen Welt ausfindig machen, die uns helfen die nächste Generation vor solchen Einflüssen zu schützen. Dabru Emet ist eine Einladung an diese Christen sich uns anzuschließen.

Rabbi Charles L. Arian, Institute for Christian & Jewish Studies Balitmore, Maryland

Die stärkste Kritik von Jon D. Levenson an Dabru Emet zielt auf die Versicherung: „Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen.“ Zu Recht bemerkt er, das der Zeitraum des wachsenden christlich-jüdischen Verständnisses mit einer noch nie dagewesenen hohen Rate von Mischehen und Assimilation zusammenfällt. Er behauptet, dass der Zusammenbruch der instinktiven Abneigung, die Juden und Christen füreinander empfunden haben das ist, was Mischehen möglich gemacht hat.

Aber Juden gehen Mischehen nicht ein, weil sie keine Abneigung gegenüber Christen mehr empfinden, sondern eher weil sie aufgehört haben an ihr Judentum zu glauben und es zu praktizieren. Viele Juden machen jenseits der Ansicht, „dass Jesus nicht der Messias war“ überhaupt keine religiösen Aussagen. Ihre verinnerlichte Abneigung gegen den christlichen Glauben führt sie zu der Annahme, dass was immer das Christentum bestätigt, das Judentum ablehnt. Eine religiöse Identität aber, die auf nichts weiter gründet als der Negation des „Anderen“, hat keine Standfestigkeit.

Während eines Dutzend von Jahren, sowohl als Hillel Direktor und Rabbi einer konservativen Synagoge ist meine Erfahrung - im Gegensatz zu den Befürchtungen von Herrn Levenson - dass, eine positive Würdigung des Christentums jüdische Praxis und Identität stärken kann. Juden lernen, dass der Glaube an einen persönlichen Gott, der uns liebt und versöhnt, nicht nur ein „christlicher Gedanke“ ist.

Prof. Leora Batnitzky, Princeton University, Princeton, New Jersey

... Jon D. Levenson hat Recht, die flachen Versuche zu einer Art von Toleranz, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basiert, herauszustellen und zu kritisieren.

Aber ich glaube nicht, dass Dabru Emet - das ich unterzeichnet habe - diesen Typ seichter Toleranz propagiert.

Ich denke, Herr Levenson könnte zustimmen, dass das angemessene Ziel einer interreligiösen Verständigung nicht die wechselseitige Bestätigung sein sollte, sondern für jede Seite die Gelegenheit, die eigene Position und sogar das Urteil über den Anderen zu klären....

Rabbi Ruth Langer, Boston College, Chestnut Hill, Massachusetts

Ohne Frage hat Dabru Emet Schwachpunkte. Seine Kürze schließt alle theologische Differenziertheit aus; Meinungsunterschiede zwischen Mitgliedern des Komitees führten zu oberflächlichen Kompromissen. Aber als Unterzeichnerin des Dokuments glaube ich im Gegensatz zu Jon D. Levenson, dass es ein nützlicher Ausgangspunkt für eine tiefer gehende Diskussion ist.

Die Revision der christlichen Theologie in Bezug auf die Juden, zumindest bei Katholiken und den wichtigsten protestantischen Kirchen, ist real und verdient eine wohl bedachte jüdische Antwort. Herr Levenson tadelt Dabru Emet dafür, dass es das rabbinische Konzept der Noachidischen Gebote und seine Heilszusage für ethnische Nicht-Juden, die keinen Götzendienst begehen, überhaupt nicht erwähnt. Aber die Noachidischen Gebote unterwerfen alle Völker einer gemeinsamen Kategorie und unsere christlichen Partner sehen dies zu Recht als Verletzung eines Grundprinzips des Dialogs: sich darum zu bemühen, den Anderen so zu sehen, wie es seinem Selbstverständnis entspricht. Christen fordern uns heraus, ein theologisches Verständnis von ihnen als Christen zu entwickeln, nicht nur generell als Völker. Darauf reagiert Dabru Emet, wenn auch unzulänglich...

Prof. Michael Wyschogrod, University of Houston, Houston, Texas

Jon D. Levensons überzeugende Kritik an Dabru Emet ist ein Dienst an Juden und Christen, die leicht zu dem Schluss verleitet werden könnten, dass es keine wirklichen theologischen Differenzen zwischen ihren Glaubensweisen gibt. Zwei der am Schwersten zu bearbeitenden sind die Göttlichkeit Jesu und die Aufhebung des Mosaischen Gesetzes - keine der beiden wird in Dabru Emet erwähnt. Seine Autoren würden ohne Zweifel entgegnen, das sie sich auf das konzentrieren wollten, was verbindet, und nicht so sehr auf das, was uns trennt. Aber wenn das Dokument zum Ziel hat zu zeigen, wie Juden das Christentum einschätzen, ist die Auslassung der Schwierigkeiten, die Herr Levenson aufzählt, verhängnisvoll.

Als orthodoxer Jude, der sich dem christlich-jüdischen Dialog mit viel Energie gewidmet hat, bin ich betrübt darüber, dass Dabru Emet die Gelegenheit verpasst hat, ein Dokument zu erstellen, dass bei seinem Beitrag zur Verbesserung der Jüdisch-Christlichen Beziehungen den harten Fragen nicht ausweicht.

Rev. Walter L. Michel, Chicago, Illinois

Als christlicher Wissenschaftler und lutherischer Pastor, stimme ich völlig mit Jon D. Levensons Einschätzung von Dabru Emet überein. Seine Unterzeichner sprechen nicht „die Wahrheit“. Schlimmer noch, sie verbreiten Halbwahrheiten. Ihre Politik der Besänftigung ist eine Gefahr für das Judentum und eine Missdeutung des Christentums. Der Holocaust wäre nicht möglich gewesen ohne die verderbliche christliche Lehre der Ersetzung, gemeint ist der Sieg des Christentums über das Judentum und die Lehre, das eine Beziehung zu Gott nur durch Jesus möglich ist. Auch haben Christen diese Lehren seit 1945 nicht verworfen...

Prof. Jon. D. Levenson

In seiner abschließenden Antwort beklagt Jon D. Levenson, dass die Autoren von Dabru Emet auf seine konkreten Anfragen nicht eingegangen sind und bekräftigt noch einmal, dass er ihren Optimismus, ein neues Verhältnis zum Christentum im Sinne von Dabru Emet würde die jüdische Gemeinschaft nicht schwächen, nicht teilen kann.

... Ganz deutlich haben die vier Autoren von Dabru Emet mich völlig gegen meine Meinung gelesen. Mein Punkt war, und ist, dass die instinktive Abneigung zumindest in den Vereinigten Staaten eine Sache der Vergangenheit ist. Wenn der soziale Faktor so neutralisiert ist, dann hängt das Aufrechterhalten einer jüdischen Identität mehr und mehr von der religiösen Dimension ab. Genau deswegen, im Gegensatz zum Anspruch von Dabru Emet, ist die Darstellung von Christentum und Judentum als fundamental und durch und durch ähnlich kaum ein ungefährliches Unterfangen.

Die Autoren sagen uns schließlich, dass ihr Dokument „eine politische Äußerung ist, ein Angebot, die Mindestbasis zu legen, die für jede ernsthafte Diskussion nötig ist.“ Das ist ein neuer Punkt: gewiss nicht so, wie das Dokument sich selbst sieht, oder wie man es von einem Dokument erwarten sollte, das, wie ich sehe, seine Argumentation zumindest an einem wesentlichen Punkt [beim Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel] betont auf „weit tiefer liegenden Gründen als solcher nur politischer Natur“ begründet. Sei es wie es sei. Wenn einmal die erwünschte „ernsthafte Diskussion“ begonnen hat, war es dann nicht unvermeidlich, dass Theologen die Aufmerksamkeit auf solche Punkte lenken würden, die die politische Erklärung wegen des erhofften guten Einvernehmens vernachlässigt oder falsch interpretiert? Wie ich in meinem Artikel ausgeführt habe, ist meine eigene Ansicht diese: Einen religiösen Dialog zu führen, als sei er eine Übung in politischen Verhandlungen oder Konfliktlösung, behindert unvermeidlich das Gespräch und verdreht die im Dialog befindlichen Traditionen. Ein echter Dialog ist kräftig und stark, eine Anstrengung, bei der die Teilnehmer nicht automatisch miteinander darum wetteifern, ihre eigenen Traditionen als fast identisch mit denen der Anderen zu präsentieren, oder sich in irgendeiner imaginären Mitte zu treffen.

Ich will mich nun einzelnen Briefen zuwenden.

Peter Ochs ... hält mich für so sehr in die „alten Dichotomien“ verliebt, dass ich nicht schätzen kann, dass „ein erneuertes Judentum auf dem Weg ist, sein Selbstvertrauen und seine Zielstrebigkeit wiederzugewinnen“ und seine „Weisheit in der Öffentlichkeit bekannt machen sollte“. Aber das zugrunde liegende Konzept von Dabru Emet ist überhaupt nicht neu. Gibt es doch ein Hauptthema des amerikanischen interreligiösen Dialogs während des letzten halben Jahrhunderts: die Idee einer jüdisch-christlichen Tradition. Schon 1969 hat der verstorbene Arthur A. Cohen dieses Konzept einer Beziehung des Judentums zum Christentum als „von Fälschungen, Verdrehungen und Unwahrheit durchsetzt“ angegriffen. Ein Dokument, das formuliert ist „im Namen eines Judentums, das auf dem Weg ist, sein Selbstvertrauen und seine Zielstrebigkeit wiederzugewinnen“ wäre in der Tat nicht so zimperlich, wesentliche Differenzen zum Christentum anzuerkennen. Und wie kann „unser neu zum Leben gekommenes Judentum seine Weisheit in der Öffentlichkeit bekannt machen“, wenn es sich kaum von der Mehrheitsreligion unterscheiden kann und bekennt, die gleichen moralischen Prinzipien zu haben.

Ich muss zu Peter Ochs noch sagen, dass ich nirgendwo in meinem Artikel Juden entmutigt habe „das Christentum ihrer Nachbarn“ zu studieren. Das ist zeitlebens mein Ziel gewesen. Das ist schlicht ein Ablenkungsmanöver.

Leora Batnitzkys gründlicher Brief fordert eine neue Praxis des interreligiösen Dialogs, sehr viel anspruchsvoller und sehr viel glaubwürdiger als die alte Weise, bei der die Betonung darauf lag, wie ähnlich wir sind. Sie glaubt, „dass das angemessene Ziel einer interreligiösen Verständigung nicht die wechselseitige Bestätigung sein sollte, sondern für jede Seite die Gelegenheit, die eigene Position und sogar das Urteil über den Anderen zu klären“. Aber wenn das so ist, warum hat sie dann Dabru Emet unterzeichnet? Was für ein „Urteil über den Anderen“ kann es geben, wenn ein Judentum ohne Gesetz, Gebote oder mündliche Tradition eine uneingeschränkte Billigung eines Christentums ohne Neues Testament, Trinität, Inkarnation oder - um ein letztes Beispiel zu sagen - Maria, die Gottesmutter ausspricht?

Aus demselben Grund kann ich Rabbi Ruth Langers „Grundprinzip des Dialogs“ nicht akzeptieren. „Das Selbstverständnis des Anderen“ zu erfassen, ist eine Sache. Etwas ganz anderes aber ist es, dieses Selbstverständnis für die eigene Einschätzung des Anderen normativ zu machen, so als ob die Selbsteinschätzung jeder Gemeinschaft unfehlbar und jenseits aller Kritik wäre. Unter dieser Voraussetzung könnte keine religiöse Tradition jemals irgendetwas Bedeutendes zu Anderen sagen und der Dialog würde zu Monologen wechselseitiger Bestätigung verkommen.

Der Brief des ausgezeichneten Theologen Michael Wyschogrod ist besonders wichtig, denn es war er, der dem Institute for Christian and Jewish Studies zuerst vorgeschlagen hat, ein Statement zum Christentum zu erarbeiten. Dass er sich geweigert hat, das Dokument, das am Ende herausgekommen ist, zu unterzeichnen und nun die Aufmerksamkeit auf die ausweichenden Antworten lenkt, sollte zureichend belegen, dass ein Widerspruch zu Dabru Emet nicht gleichbedeutend ist mit einer Verachtung des Jüdisch-Christlichen Dialogs, dem er sich seit einigen Jahrzehnten widmet.

Schließlich danke ich Walter L. Michel, dass er uns seine eigene Kritik an Dabru Emet gesandt hat. Pastor Michels Brief verstärkt die Zweifel daran, wie tief die Verurteilung der Ersetzungslehre das Christentum durchdrungen hat. Bis zu welchem Grad kann zum Beispiel die reflexartige anti-israelische Stimmung, die sich zunehmend in liberalen christlichen Kreisen ausbreitet, als Wiederauftauchen der klassischen anti-jüdischen Theologie verstanden werden, die das Exil als verdientes Schicksal für die verräterischen und mörderischen Juden ansieht? Auf einer eher abstrakten Ebene: Bis zu welchem Grad kann das Christentum seine wesentlichen Überzeugungen aufrecht erhalten ohne zu beanspruchen, das Judentum in gewisser Weise abgelöst zu haben?

Editorische Anmerkungen

QUELLE: Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum. Heft Nr. 4, 2002