Die jüdische Beteiligung am jüdisch-christlichen Dialog in Österreich (1960 bis 1985

In den sechziger Jahren begannen auch in Österreich erste zaghafte Versuche des christlich-jüdischen Dialogs. In diesem Aufsatz werden die Grundlinien sowie einige wenig bekannte Aspekte der jüdischen Beteiligung an diesem Dialog beschrieben.

Evelyn Adunka

Die jüdische Beteiligung am jüdisch-christlichen Dialog

in Österreich (1960 bis 1985)

In den sechziger Jahren begannen auch in Österreich erste zaghafte Versuche des christlich-jüdischen Dialogs. Im folgenden Aufsatz sollen lediglich die Grundlinien sowie einige wenig bekannte Aspekte der jüdischen Beteiligung an diesem Dialog beschrieben werden.

Rabbiner Meir Koffler

Bemerkenswert für den jüdisch-christlichen Dialog in jenen Jahren war, dass auf jüdischer Seite neben Otto Herz nicht so sehr Oberrabbiner Akiba Eisenberg, obwohl er sich nie ausdrücklich davon distanzierte, sondern der orthodoxe Rabbiner der Misrachi Meir Koffler daran teilnahm.

Koffler wurde 1918 in Hajduhadház in Ungarn geboren, besuchte dort die Volks- und Bürgerschule sowie die Talmud Tora und die Jeschiwa in Debreczyn, Mischkolz und Zelem/ Deutschkreuz in Ungarn bzw. im Burgenland. Von 1937 bis 1941 studierte er am Budapester Rabbinerseminar. 1942 bis 1945 überlebte er in einem Arbeitslager in der Sowjetunion. Bis 1949 lebte er wieder in Budapest, von 1950 bis 1956 studierte er in Wien Philosophie, Psychologie und Völkerkunde. 1956 promovierte er bei Leo Gabriel und Friedrich Kainz mit einer Dissertation über Das Verhältnis von Philosophie und Theologie im jüdischen Denken. Der Gegensatz der griechisch-jüdischen Philosophie Philos von Alexandria zu den Auffassungen der jüdischen Gelehrten und seine nachteiligen Wirkungen im jüdischen Volk heute.1

Danach reiste er in die USA studierte in Israel, wo ein Teil seiner Familie lebte und wo ihn sein Lehrer Ephraim Urbach, der berühmte Professor für Talmud und Midrasch der Hebräischen Universität, zu weiteren Forschungen ermutigte. Seit den sechziger Jahren lebte er in Wien, wo er die Jeschiwa Ketana der Misrachi leitete. In den siebziger Jahren wurde er auch der Rabbiner der Misrachi, die jedoch sein Engagement im jüdisch-christlichen Dialog niemals wirklich anerkannte. 1976 wurde ihm das Rabbinat von Frankfurt am Main angeboten, das er aber wegen eines sich verschlimmernden Augenleidens nicht annehmen konnte. 1977 übersiedelte er nach Israel; er starb 1990 in Wien.2

Koffler personifizierte auf beeindruckende Weise jene hochgebildete und innerjüdisch wie auch nach außen hin tolerante Orthodoxie, wie sie vor der Schoa in Europa existiert hat. Die Zeitschrift der Misrachi Tribüne schrieb über ihn 1962: „Sein profundes, universelles Wissen, seine Kunst, die Lehre unserer Väter auch der Sicht einer modernen Welt zugänglich zu machen, haben ihm die Bewunderung und Verehrung der immer zahlreicheren Besucher des Misrachi-Bethauses eingetragen.“3

Einer der Schüler Kofflers schilderte ihn gegenüber der Verfasserin als einen sowohl in der jüdischen Tradition als auch in der antiken Philosophie durchgehend gebildeten und scharfsinnigen, allerdings auch lebensuntüchtigen Menschen. Er wurde völlig unterschätzt, fand kein Gesprächsforum und orthodoxe Kreise begegneten ihm mit Misstrauen.

1964 explizierte Koffler in einem Artikel in der katholischen Zeitschrift die Furche unter der Überschrift „Stimme eines orthodoxen Juden“ die „Einstellung des orthodoxen Judentums zu anderen Völkern und Religionen.“ Der Beitrag war auch eine Antwort auf einen bemerkenswerten, einige Wochen vorher in der Furche veröffentlichten Artikels von Helmut Bertl (über den sonst nichts bekannt ist) über „Wiens Judenschaft 1964.“ Dieser beschrieb darin die Institutionen der IKG und berichtete, dass ihm bei einem Besuch der Jugendgruppe der Misrachi der Gruppenleiter sagte: „Sie haben hier einen Teil der geschlagenen Generation des Judentums kennen gelernt ... Bedenken Sie, dass diese Jugend voll Misstrauen gegenüber ihren Mitmenschen ist. Diese jungen Menschen müssen erst den Schock überwinden lernen, den ihre Eltern erlitten haben.“ Dementsprechend fiel auch das Resümee des Autors aus: „Das Judentum in Österreich, wie überhaupt, tritt uns in einer ungeahnten Vielschichtigkeit entgegen, die sich vom strenggläubigen Orthodoxen bis zum überzeugten Kommunisten erstreckt. In allen Juden, auch in denen, die nicht unmittelbar davon betroffen waren, lebt jüngste Vergangenheit in erschreckender Präsenz. Vor allem in der jüdischen Jugend ist ein Gettogefühl, das es von außen her zu überwinden gilt.“4

Die „gemäßigte Orthodoxie" als Partnerin des Dialogs

Bertl zitierte auch Professor Kurt Schubert, den er seltsamerweise einen „Judologen“ nannte, obwohl es das Wort Judaistik bereits gab, mit dem Satz: „Es gibt in Österreich keinen Juden, der bereit ist, vor einem größeren Forum eindeutig und klar seinen Standpunkt zu vertreten,“ worauf Koffler in seiner Antwort bezug nahm: „In der neuesten Zeit sind Stimmen laut geworden, die besagen, dass die Juden in Österreich keinen Willen, keinen Mut und noch mehr keine feste, sichere religiöse und moralische Richtlinie besitzen, um eine konkrete Stellungnahme zu den wichtigen und brennenden Problemen unserer Zeit zu äußern ... Ich will nicht der Äußerung des hochgeschätzten Prof. Schubert eine Zweideutigkeit unterschieben, nämlich dass er hier auf das Schwanken und auf die Unstabilität des gesamten österreichischen Judentums bezüglich seines religiösen und moralischen Charakters hindeuten will. Ich bin mir gewiss, dass er uns nur wegen der Mutlosigkeit und des fehlenden Willens bezichtigt; dennoch muss diese Meinung ... mit der Feststellung berichtigt werden, dass es in Wahrheit in Österreich eine ganze Gruppe von Juden gibt, die eine feste Richtlinie bezüglich ihres religiösen und moralischen Charakters besitzt.“

Diese Gruppe war für Koffler naturgemäß das orthodoxe Judentum. Es sei die „einzig authentische“ Gruppe, die „den wahren jüdischen Standpunkt“ äußere: „Dieses besitzt eine feste Richtlinie und damit die Fähigkeit, zu jedem Problem die richtige Stellungnahme zu finden. Denn im Wesen des orthodoxen Judentums ist schon seine richtige Stellungnahme zu jedem Problem implikativ enthalten. Und so, wenn man den Begriff des orthodoxen Judentums klar definiert und interpretiert, werden von sich selbst der richtige Weg, welchen man gehen muss, und die richtige Stellungnahme in jeder Situation offenkundig sein.“

Zugleich nahm Koffler mit äußerst scharfen Worten gegen die seinem Urteil nach extremen Richtungen des Judentums Stellung: „Aber dasselbe, was für die progressiven Juden gilt, gilt auch für die extrem orthodoxen Juden. Sie können auch nicht zu den Helfern der Menschheit gerechnet werden. Sie können auch nicht in das Buch des wahren Judentums eingetragen werden. Denn sie negieren den realen Teil des Daseins des Judentums. Sie verwerfen alles Nützliche und Brauchbare, sogar solches, was der Religion nicht widerspricht, sondern umgekehrt zur Ausübung derselben nötig und unerlässlich ist. Solche Menschen haben sich von dem jüdischen Bund losgelöst, und auch sie sind von der großen Familie der Menschheit abgerissen worden.“ Was den jüdisch-christlichen Dialog betrifft, kommt als jüdischer Partner daher laut Koffler nur die gemäßigte Orthodoxie in Betracht: „So sehen wir, wenn wir von einer wirklichen Zusammenarbeit von Seiten der Juden sprechen wollen, dass nur ein Teil, der als gemäßigtes orthodoxes Judentum bezeichnet wird, dafür in Betracht kommen kann. Deswegen ist seine Stellungnahme ausschlaggebend für das ganze Judentum.“

Danach antwortete Koffler auf den oft formulierten Vorwurf, die Juden seien grausam und könnten nicht vergessen und verzeihen: „Wir Juden, die wir von ewig her traditionsgemäß dem Ideal der Gerechtigkeit huldigten, waren und sind mit dem ganzen Herzen zu vergeben und zu verzeihen immer bereit. Aber weil das richtige Verzeihen in der Gerechtigkeit wurzelt, wird ein unrechtes Verzeihen, das das Gerechtigkeitsprinzip verletzt, streng untersagt. Das mindeste, das nach dem Begriff der Geschichte gefordert werden muss, ist aber, dass der Sünder seine Schuld bekennt und diese bereut. Deswegen gibt es für jene Leute, die unmittelbar am barbarischesten Geschehnis der Geschichte teilnahmen, kein Verzeihen!“ Abschließend formulierte er einige Forderungen an das Zweite Vatikanum, die in der Zwischenzeit von der katholischen Kirche auch erfüllt wurden.5

Anfang 1965 nahm Koffler an einer vom Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit (KCJZ) und dessen Vorsitzenden Kurt Schubert initiierten Tagung im Chorherrenstift Klosterneuburg über „Die Stellung des Judentums in der christlichen Katechese“ teil. Unter den rund 20 Teilnehmern befanden sich neben Kardinal Franz König von jüdischer Seite auch Otto Herz und Leon Slutzky. Die Beiträge wurden in dem Sammelband Judentum und christlicher Glaube. Zum Dialog zwischen Christen und Juden mit Beiträgen von Clemens Thoma, Norbert Lohfink, Willehad Paul Eckert, dem evangelischen Pfarrer Wolfgang Wirth, Georg Molin und Meir Koffler veröffentlicht. Im Vorwort formulierte Thoma – er ist katholischer Priester, war damals Student der Judaistik in Wien, von 1971 bis 2000 Professor für Judaistik und seit 1981 Leiter des Instituts für Jüdisch-Christliche Forschung in Luzern – einen wichtigen Grundsatz und eine damals noch keineswegs selbstverständliche Erkenntnis: „Es ist eine Simplifizierung und Unterschätzung der Schwierigkeiten dieses Dialogs, wenn immer wieder vorgebracht wird, das Judentum sei die Religion des Alten Testamentes, es sei stehen gebliebenes Altes Testament. Man müsse also nur auf der Grundlage des den Juden und Christen gemeinsamen Alten Testamentes mit dem heutigen Judentum ins Gespräch kommen. – Das Judentum ist eher die Religion des durch den Talmud gedeuteten Alten Testamentes. Es hat sich außerdem durch verschiedene Strömungen, die ihm im Verlaufe seiner langen Geschichte begegneten, hindurch- und weiterentwickelt.“6

Stolperstein Paulus

Koffler bezeichnete in seinem Beitrag als das größte Hindernis „eines integralen Zusammengehens und Zusammenarbeitens von Juden und Christen ... die paulinische Christus- und Gesetzesdeutung. Es scheint mir eine ungeheure Tragik darin zu liegen, dass Paulus Jesus nicht persönlich gekannt hatte, dass er mit dem Pharisäismus abrupt brach ... Die Juden scheinen weitgehend nur als solche auf, die nur dann eine Chance haben, ihren Bund nicht zu verlieren, wenn sie sich an die Heiden assimilieren ... Wir Juden können das schwerlich anders verstehen, als dass die sozusagen alltägliche Tendenz des Paulus dahinging, das Judentum und seinen Bund aufzulösen ... Paulus erklärt ja das Gesetz als zur Strafe und zur Sünde führend: "Das Gesetz führt ja nur Strafe herbei." (Röm. 4,15) ... Hier geht Paulus seinen eigenen Weg, der absolut unjüdisch ist! ... Die ethnische Kraft des Volkes Israel, welche den Monotheismus entwickelt und verteidigt hat, sucht Paulus durch den Begriff des Kosmopolitismus wegzuwischen ... Damit wird durch Paulus das Volkstum Israels aufgelöst. Es gibt kein auserwähltes Volk mehr! ... Dieser theologische Antijudaismus riss eine tiefe Kluft auf zwischen Juden und Christen, und scheint mitverantwortlich zu sein für verschiedene schaurige Tragödien zwischen Juden und Christen.“

Abschließend stellte er einige wohl etwas zu utopische und idealistische Forderungen an die christliche Gegenseite: „Ich weiß, es ist nicht zu verlangen, dass die Christen die paulinische Theologie aufgeben. Und doch rufen wir zur "teschuwa" – Umkehr! Von unserer jüdischen Sicht sind wird in dem Sinne zur "teschuwa" bereit, als wir zur Wahrheit der Bibel zurückkehren wollen, welche lehrt, dass jeder Mensch in G-es Ebenbild erschaffen wurde. Wenn wir in der Vergangenheit jemandes Würde verletzt haben, wollen wir uns vornehmen, von nun an jedem Menschen zu Hilfe zu eilen. Aber unsere "teschuwa" muss notwendigerweise versanden, wenn unser christlicher Partner nicht auch zur wirklichen Bibel zurückkehrt, in der die ewige Existenz des Volkes Israel bejaht wird. Darum soll jener Teil der paulinischen Lehre, in dem gegen den Bund Israels und gegen seine Lehre polemisiert wird, als ein Mysterium aufgefasst werden, welches man nicht in die Tat übersetzen und wonach man nicht handeln darf. Unsere gemeinsame Pflicht muss es sein, zu den schlichten Worten des Alten und des Neuen Testamentes, wo jeder Mensch als Bruder und Ebenbild G-es bezeichnet wird, zurückzukehren. Wir sollen einer den andern liebreich zur Hilfe die Hände reichen, so dass jeder seinen eigenen, von G- vorgezeichneten Weg zum Segen der Ganzheit gehen kann – dann werden Friede und Bruderschaft in der Welt herrschen.“7

Kontroverse um Ethelbert Stauffer

1966 publizierte Koffler in der Zeitschrift der Christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz aufgrund der Anregung von Otto Herz eine scharfe Stellungnahme gegen die Irrlehren des evangelischen Theologen und einstigen Anhängers der Deutschen Christen Ethelbert Stauffer. Dieser bespitzelte 1935 Karl Barth an der Bonner Universität im Auftrag der NS-Behörden und publizierte im gleichen Jahr den Artikel Theologisches Lehramt in Kirche und Reich, in dem er nicht nur offen für den Nationalsozialismus Stellung bezog, sondern auch für die Auflösung der theologischen Fakultäten und deren Ersetzung durch religionswissenschaftliche Lehrstühle eintrat. Koffler zitierte nicht nur ausführlich aus diesem Artikel, sondern er analysierte auch Stauffers nach 1945 publizierte populäre Schriften über Jesus, in denen dieser das rabbinische Judentum als ein „Sammelwerk der Unmoral“ diffamierte: „Stauffer verzeichnet und karikiert das Pharisäertum, dessen Äußerungen fast als verbrecherisches oder pornografisches Album vorgestellt werden.“ Dem entgegnete Koffler mit einer ausführlichen Analyse der rabbinischen Quellen über Jesus.8

Gegen Stauffer, der nach 1945 seinen Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft auf der Universität Bonn verlor und später in Erlangen lehrte, publizierte im gleichen Jahr auch die Gemeinde einen Artikel.9 Der Anlass dazu war ein von der Zeitschrift als „Antisemitismus in pseudowissenschaftlichem Gewand“ qualifizierter Artikel in der deutschen Illustrierten Kristall, in dem Stauffer auch nicht vor „Verleumdungen auf sexuellem Gebiet“, die „zum eisernen Bestandteil des Stürmers gehören, zurückschreckte.“ Der nicht gezeichnete Artikel schrieb weiter, „dass derlei Auslassungen mindestens so gefährlich sind wie offenkundige Produkte des Neonazismus ... Welchen Eindruck soll etwa ein junger Deutscher vom Judentum erhalten, wenn er Stauffers Phantasiegebilde liest ... Dagegen ist jede Erklärung des Weltkirchenrats von New Delhi und jedes Konzil machtlos.“ Abschließend zitierte die Gemeinde noch den Neutestamentler Hans-Werner Bartsch, der über Stauffers Antijudaismus schrieb, dass dieser sich in seinen „neueren Arbeiten zeigt und den theologischen Grund für einen Antisemitismus bildet, der die Theologie in ihrem Widerstand gegen die Unmenschlichkeiten der Vergangenheit geschwächt hat.“9 Eine Festschrift für Stauffer aus dem Jahr 1962 enthielt immerhin die Beiträge so bekannter Theologen wie David Daube, Hugh Montefiore, Josef Blinzler und Ernst Bammel. Koffler plante, wie Otto Herz überlieferte, über Stauffer sogar ein Buch zu schreiben, zu dem es nicht mehr kam.10

Herz war es auch, der 1966 in einem Brief an Friedrich Torberg Kofflers Persönlichkeit am besten charakterisierte: Er nannte ihn „einen orthodoxen Rabbiner, der das Neue Testament hebräisch auswendig kennt, der die Kirchenväter aus dem Stegreif zitieren kann, der Hegel, Nietzsche weidlich zitieren kann und im Innersten dem christlich-jüdischen Gespräch unbeeinflusst gegenübersteht.“ Er glaube, dass wir in Europa „keinen zweiten solchen Mann“ haben: „Nur eins, der Mann ist weltfremd, ist sich seiner geistigen Potenz gar nicht bewusst und müsste aufgebaut werden. Er steht allein da“ und laut Herz „wäre es eine Aufgabe und eine Mizwa den Mann richtig herauszustellen.“11

Diplomkaufmann Otto Herz

Neben Koffler war es von jüdischer Seite wie erwähnt vor allem Otto Herz, der sich mit seltener Intensität für den jüdisch-christlichen Dialog engagierte. Er veröffentlichte zu diesem Thema zahlreiche Aufsätze, hielt in ganz Österreich viele Vorträge vor Religionslehrern, in Schulen und Pfarren und sprach auch oft im Rundfunk. Als seine Lebensaufgabe bezeichnete er in einem Lebenslauf: „Arbeit an der Verständigung zwischen den Konfessionen.“

Herz wurde 1912 in Wien als Sohn einer aus dem Burgenland und der Slowakei zugewanderten Kaufmannsfamilie geboren, besuchte die Handelsakademie am Karlsplatz und übernahm das väterliche Geschäft Modellhaus Leopold Herz. Die Familie war traditionell religiös und hatte einen Sitz in dem beim Novemberpogrom 1938 zerstörten Pazmanitentempel. Als Jugendführer im Bund der legitimistischen jüdischen Frontsoldaten wurde er 1938 von den Nazis gefangengenommen und in die KZ Dachau und Buchenwald verschleppt. Nach seiner Freilassung im Februar 1939 floh er nach Frankreich, wo er interniert wurde, und 1942 weiter in die Schweiz. Da er an der Grenze nicht hereingelassen wurde, schnitt er sich die Pulsadern auf und überlebte nur, weil ihn ein Mönch fand, pflegte und in die sichere Schweiz brachte. 1945 ging er wieder nach Frankreich, wo er in Marseille Betriebswirtschaft studierte. 1950 kehrte er nach Wien zurück und baute die väterliche Firma wieder auf.12

Herz bezeugte selbst, wie sehr die Erfahrungen in der NS-Zeit sein späteres Leben und Handeln prägten: „Meine Erlebnisse im KZ brachten mich dazu, zum Wahrheitssucher zu werden und mein wieder geschenktes Leben in den Dienst des Friedens und der Bruderliebe zu stellen.“ In einer Rundfunksendung 1980 verdeutlichte er ebenfalls die autobiografischen Wurzeln seines späteren Engagements, indem er ein Erlebnis aus dem KZ schilderte: „Ich war zutiefst beeindruckt von den heimlichen Gottesdiensten am Sonntagmorgen, wo die hl. Messe mit einem Stückerl Brot gefeiert wurde. Und ich hab" mich zu fragen begonnen: Glauben wir zwölf Millionen Juden seit viertausend Jahren was Falsches, oder glauben die achthundert Millionen Christen seit zweitausend Jahren was Falsches? Und ich bin zur Überzeugung gekommen, dass es zwei Wege zu Gott geben muss, den jeder auf seine Weise gehen muss, sei er Jude oder Christ. Ich hab" damals mit vielen Österreichern gesprochen ... wir haben immer wieder gesagt: Falls uns Gott das Leben schenken sollte, wollen wir gemeinsam an einer neuen Heimat Österreich bauen helfen. Leider haben viele die Erfüllung dieser Sehnsucht nicht erlebt, und die, die wir darangegangen, die wenigen Juden, die das Lager überlebt haben, und die, die aus der Emigration nach Hause zurückgekommen sind, mit unseren christlichen Mitbürgern gemeinsam ein unabhängiges, selbständiges Österreich aufzubauen, so wie wir es uns im KZ geschworen hatten, und es war die Krönung unserer Sehnsucht, als im Jahre 1955 Österreich frei wurde ... Aus dieser KZ-Gemeinschaft, wo wir Christen und Juden uns menschlich näher gekommen sind, diese KZ-Gemeinschaft ist dann später im unabhängigen Österreich zum Tragen gekommen. Wir kennen uns jetzt näher, und die Christen wissen, dass die Juden nicht nach Schwefel riechen und Hörner haben, und wir wissen, dass jeder Christ nicht unbedingt derjenige ist, der die Juden verfolgt.“13

In Frankreich wurde Herz mit den Werken des französischen Historikers Jules Isaac bekannt, der fortan sein Vorbild und geistiger Lehrer wurde. Durch dessen 1947 veröffentlichtes Werk Jesus und Israel und später durch die Studie zur Geschichte des Antisemitismus sowie seine Begegnung mit Papst Johannes XXIII war Isaac, dessen Familie von den Nazis ermordet wurde, einer der bedeutendsten Pioniere des jüdisch-christlichen Dialogs. Herz veröffentlichte 1963 in der Heruth einen sehr schönen Nachruf auf ihn.14

In den ersten Nachkriegsjahren war Herz auch politisch aktiv als Vizepräsident der Zionistisch-Revisionistischen Union Österreichs, und veröffentlichte deshalb gelegentlich in deren Zeitschrift Heruth, darunter 1960 eine Festrede zum 100. Geburtstag von Theodor Herzl. Darin beschrieb er das Vermächtnis Zeev Jabotinskys, des Gründers der revisionistisch-zionistischen Bewegung, und die Transformation des Judentums durch den Staat Israel: „Jabotinsky kannte die tiefen unzerreißbaren Fesseln, die das jüdische Volk mit seiner alten Heimat verband. Er kannte die ungeheuren schöpferischen Kräfte der jüdischen Massen und ihre Sehnsucht nach Recht, Gerechtigkeit und sozialem Frieden. Was wir Überlebende der KZ-Lager ... erst durch die erlebte Erkenntnis sehen und wissen, hat Jabotinsky vorausgeahnt, vorausgesagt und vorausgeplant. Er hat das von Kot verschmierte Antlitz des Ghettojuden zum strahlenden, selbstbewussten Antlitz des Menschensohnes und damit Gottessohnes erweckt; die krummen Rücken der demütigen Parias aufgerichtet und den Dulderblick der Verfemten in den glänzenden Blick eines freien und aufrechten Menschen verwandelt. Er hat in blassen Judenjungen Makkabäersöhne gesehen und den Massen das Bewusstsein wiedergegeben, dass sie trotz allem Nachkommen König Davids und der Propheten sind. Er hat den jüdischen Soldaten gesehen und in die jüdische Seele der Galuth den neuen Begriff des wehrhaften Menschen gesenkt. Er hat den Typ des jüdischen Soldaten geformt, der seine Heimat Israel gegen die übermächtigen Angreifer im Befreiungskrieg und im Sinaifeldzug erfolgreich verteidigte. Jabotinskys Wirken ist es zu verdanken, wenn die drei Galuthbegriffe Tränen, Blut, Schweiß einen neuen Inhalt erhielten. Die Tränen der Angst wurden zu Freudentränen des Stolzes über den Aufbau des Staates Israel, das Blut der unsäglichen Opfer, das unnütz aus unserem Galuthwege vergossen wurde, verwandelte sich in das Blut, mit dem die Israelis ihre Heimat aufbauen und verteidigen. Und der Schweiß der Angst vor den Verfolgungen durch unsere Feinde wandelt sich in den Schweiß der Arbeit unserer Bauern und Arbeiter ... Nicht Vorsprachen, Bitten und Resolutionen haben den Staat Israel erbaut; die Seelen von 6 Millionen Märtyrern, dieses größte Massenopfer aller Zeiten haben das Judentum zu neuem Geist entfacht und ihm die Kraft verliehen, mit der Waffe in der Hand, den Tod im Kampf nicht scheuend, zur Entscheidungsschlacht anzutreten.“ Die Rede endet mit dem Appell: „Geloben wir uns hier am Grabe Herzls, dass wir das ewige Judentum weitertragen werden bis ans Ende aller Tage.“15

Ebenfalls 1960 veröffentlichte Herz in der Heruth einen Artikel, in dem er Aufklärung und Information sowohl „der nichtjüdischen Bevölkerung über das Wesen und den Weg des Judentums“ als auch der „Leiter der Geschicke des österreichischen Judentums“ über die antisemitische Propaganda und Kampagne forderte: „Wir Revisionisten sind die Avantgardisten des Judentums. So wie unser Lehrer und Führer Jabotinsky neue Ideen und Begriffe in das jüdische Volk hineingetragen hat, deren Verwirklichung Segen für das gesamte Judentum erbrachte, so sind auch wir, seine Schüler und Jünger, uns dieses großen Vermächtnisses bewusst. Wir waren die Ersten, die in unseren Versammlungen und in unserer Zeitung verkündet haben, dass in dem leider so klein gewordenen jüdischen Wien, nur dann eine Aktion fürs Judentum wirksam werden kann, wenn volle EINIGKEIT nach außen hin herrsche.“16

Im gleichen Jahr publizierte er einen offenen Brief an Oberrabbiner Akiba Eisenberg über die immer zahlreicheren Austritte aus der IKG, in dem er vorschlug: „Wenn der Mensch nicht mehr zum Judentum kommen will, so muss eben das Judentum zu ihm kommen, und zwar in der persönlichen Gestalt des Rabbiners. Wenn Sie von der KG oder der Behörde hören, dass sich jemand aus dem Judentum entfernen will, so ist es Ihre Aufgabe, persönlich hinzugehen und die eventuellen Gründe dieses Austrittes zu erforschen. Gibt es denn heute überhaupt einen vertretbaren Grund, um aus dem Judentum auszutreten? Kann man damit sein Leben retten, sich finanzielle oder gesellschaftliche Vorteile erkaufen ... Sie, verehrter Herr Oberrabbiner, sind die einzige Person, die durch persönlichen Einsatz in Liebe und Verständnis dazu beitragen kann, dass dieser Aderlass am Wiener Judentum, diese Schande, die uns alle zutiefst bewegt, endlich zum Versiegen gebracht wird.“17

Herz war seit der Wiedergründung der Wiener B’nai B’rith 1960 Mitglied des Beamtenrates der Zwi-Perez-Chajes Loge und als solcher auch der erste ehrenamtliche Vertreter der Anti-Defamation League (ADL) in Österreich.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“

1961 hielt Oberrabbiner Eisenberg im Rahmen der B’nai B’rith aufgrund der Initiative von Otto Herz einen Vortrag zum Thema „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ vor hohen katholischen und protestantischen Persönlichkeiten. Einleitend beschrieb Herz, warum ihm die christlich-jüdische Verständigung ein so wichtiges und ernst zu nehmendes Anliegen war. Er wies darauf hin, „dass das christlich-jüdische Gespräch keinerlei theologischer Notwendigkeit auf jüdischer Seite entspräche, denn die jüdische Religion habe sich nie eine alleinseligmachende Mission zuerkannt und bedürfe deshalb keines Streitgespräches auf theologischem Gebiete. Jedoch hat die fast zweitausendjährige parallele Existenz beider Bibelreligionen, deren Urwurzel der Monotheismus ist, die Denker im Judentum dazu besonnen, einer Befragung aus der Existenz Rede und Antwort zu stehen. Es liege im Interesse aller gutwilligen Menschen, eine Vertiefung des Verständnisses der Christenheit zum Judentum auf der Grundlage des beiderseitigen biblischen Erbes herbeizuführen und zu fördern ... Es soll daher von beiden Teilen das bestehende Trennende in aller Offenheit und Klarheit zugegeben und akzeptiert werden und diese unleugbare Trennung weder verharmlost noch verniedlicht werden. Auf dieser Basis kann und muss ein näheres Kennenlernen zu brüderlichem Zusammenleben in Achtung und Verständnis führen. Dies sei der Weg, den mit Gottes Hilfe das Judentum bis ans Ende der Tage gehen will.“

Auch Eisenberg sprach in seinem Vortrag davon, „dass eine jüdisch-christliche Verständigung in der Frage der Moral und Ethik trotz der trennenden Unterschiede möglich, ja notwendig sei.“ Am Ende formulierte er ein eindrucksvolles Plädoyer für die Zukunft und Notwendigkeit des Dialogs zwischen den beiden Religionen: „Und das Fundament der beiden Religionen bleibt die Menschenliebe. Niemals kann die Tochter sich soweit von der Mutter entfernen, dass das Grundlegende nicht doch letzthin erhalten bliebe. Die ethisch humane Ausstrahlung, der Boden auf dem die Religionen stehen, dies entscheidet aber die Verständigungsmöglichkeit zwischen Juden und Christen. Allgemeine unterschiedslose Ethik ist die Plattform auf der wir uns treffen können, um uns als Kinder eines Vaters in brüderlicher Liebe wiederzuerkennen.“18

In den sechziger Jahren erwachte Herzs Interesse am jüdisch-christlichen Dialog, wohl auch durch das Zweite Vatikanische Konzil, das er in der Gemeinde kommentierte. Im Jänner 1967 initiierte er den Besuch einer hochrangigen Delegation der B’nai B’rith, bestehend aus William Wexler, Paul Jacob, Georges Jacob, Ernst Ludwig Ehrlich und ihm selbst, bei Bundeskanzler Josef Klaus und bei Kardinal König, wobei die damals gerade aktuelle Überprüfung der Religionslehrbücher, bei der auch Herz mitwirkte, zur Sprache kam. Dem Bundeskanzler übergab die Delegation ein Memorandum, das folgende Punkte enthielt: „Probleme der Erziehung zur Demokratie und Beseitigung von Vorurteilen, Austausch von Studenten, Lehrern und Professoren, Bekämpfung von Resten antisemitischen Gedankengutes auf allen Gebieten, staatliche Förderung von Studientagen sowie der Bestrebungen der christlich-jüdischen Zusammenarbeit ... und schließlich Kolloquien für Geschichtslehrer zur freien Aussprache über zeitgeschichtliche Probleme und deren Behandlung.“19

Aber trotz dieser Überprüfung der Lehrbücher kritisierte Ernst Ludwig Ehrlich noch 1974 in einem Brief an Kardinal König das mit kirchlicher Druckerlaubnis veröffentlichte Buch von Alois Beck Der Weg zu Christus, in dem das Judentum, wie er an vielen Beispielen aufzeigte, in einer Weise karikiert wurde, dass man ihm „den Vorwurf einer, wenn auch durchaus unbewussten Judenfeindschaft nicht ersparen kann“, und man „zweifellos lauter kleine Antisemiten“ erzeuge.20

In den sechziger Jahren wurde Herz auch als Nachfolger Rabbiner Kofflers der jüdische Vertreter des Koordinierungsauschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit. 1968 erhielt er mit der Arbeit Judaism and the Present Ecumenical Position am privaten Sacrorum Studiorum Collegium Academicum das Doktorat der Theologie. In dieser Schrift, die er an zahlreiche prominente Freunde und Bekannte, darunter Kardinal König, Otto von Habsburg, René Marcic, Albert Massiczek, Kurt Lüthi sowie die Schweizer Rabbiner Roland Gradwohl und Jacob Posen schickte, betonte Herz im Gegensatz zu seinem sonstigen Optimismus, dass die Resultate des Zweiten Vatikanums für die Juden enttäuschend waren.21

Dialog in Salzburg

1972 wurde vom späteren Präsidenten der IKG Salzburg, Marko Feingold, Roman Loos und Pfarrer Franz Wesenauer ein Salzburger Arbeitskreis für christlich-jüdische Begegnung gegründet, der im Juli jenes Jahres in Salzburg in der Aula der Universität eine von 400 Personen besuchte Tagung veranstaltete. Neben Kurt Schubert und Ivan Hacker, dem Präsidenten der Wiener B’nai B’rith, sprach Anton Pick, der damalige Präsident der IKG Wien. Das Schlusswort in Salzburg hielt Professor Erika Weinzierl, über die Pick in seinem Bericht in der Gemeinde schrieb, dass sie „uns schon lang als eine der großen Hoffnungen der österreichischen Geschichtsforschung rühmlichst bekannt“ ist.22

Herz würdigte in seiner Ansprache die Salzburger Begegnung als ein „solitäres Ereignis ... ja eine Sensation ... Sicher stehen wir erst am Anfang dieses zaghaften Versuches, dass der außerhalb der christlichen Sakralgemeinschaft stehende Jude nicht mehr als Unmensch gelten soll, sondern als gleichwertiger und gleichgewichtiger Partner und Bruder vor Gott, unserem Vater im Himmel ... Und hier sei gleich in aller Offenheit gesagt: Das Zentralthema eines Gespräches wird immer Jesus von Nazareth sein, nachdem man nach anfänglichem Beschnüffeln und Sichkennenlernen eine erste Vertrauensbasis erarbeitet hat. Im christlich-jüdischen Gespräch kann es sich aber nur um die Gestalt des Juden Jesus von Nazareth handeln, den sogenannten historischen Jesus. Der von der Kirche vorgestellte "erhöhte" Christus, der Sohn Gottes, kann nie Inhalt eines Gespräches zwischen uns sein. Nicht weil wir Juden verstockt sind oder nicht glauben wollen, sondern – in aller Klarheit muss es gesagt werden – weil unsere jüdische Gottesschau eine Sohnschaft Gottes nicht kennt, denn bei uns sind Gott und Mensch zwei Ebenen, die sich niemals miteinander vereinen können.“ Am Ende der Tagung wurde in der Salzburger Friedenskirche ein Relief über „Jüdische Passion“ enthüllt. Die deutsche Bildhauerin Ysra von Leistner schenkte es der IKG Salzburg, aber in der Stadt fand sich kein öffentlicher Ort, wo es hätte aufgestellt werden können, was von den zeitgenössischen Berichten allerdings verschwiegen wurde.23

Der Enthusiasmus von Herz wurde sichtbar in einem Brief, in dem er die Begegnung als einen rauschenden Erfolg, den größten, „den das christlich-jüdische Gespräch hatte“ schilderte: „Es war sehr weihevoll und wunderschön.“ Einen Brief an den gleichen Adressaten, Kurt Pordes, den Vizepräsidenten der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich (AGA), unterzeichnete er einmal mit den Worten: „In brüderlicher Verbundenheit mit Tora und Kreuz.“24

Päpstliche Auszeichnung

1975 wurde Herz in Anerkennung seiner Verdienste um den christlich-jüdischen Dialog durch Kardinal König das Komturkreuz des päpstlichen Sylvesterordens verliehen. Herz betonte in seiner Rede, dass seine Bemühungen vor allem wegen der vollen Unterstützung der B"nai B"rith und ihres kontinentaleuropäischen Präsidenten George Bloch nicht erfolglos blieben. Besonders aber bedankte er sich bei seinen jüdischen und christlichen Lehrern, Rabbiner Koffler, Ernst Ludwig Ehrlich, Oberin Cecile von Notre Dame des Sion, Kurt Schubert und Robert Prantner. Im Verlauf seiner Rede fasste Herz dann seine wichtigsten persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen, die keine Verwischung der grundlegenden Unterschiede der beiden Religionen kannten, gleichsam als sein Vermächtnis, zusammen: „Das jüdisch-christliche Verhältnis gehört zum Dornenvollsten, das uns in der Menschheitsgeschichte begegnet! ... Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit musste ich erkennen, dass die Orthodoxie im Christentum und Judentum ... wenig Neigung zeigt, einen Dialog über die eigenen Grenzen hinaus fruchtbar zu gestalten und miteinander zu reden! ... Es wäre unrealistisch, die tiefgreifenden Differenzen zwischen dem jüdischen Lebensweg und dem christlichen Glauben zu verniedlichen oder gar weglassen zu wollen! Aus der Realität der Erfahrungen habe ich gelernt, dass eine erfolgreiche Begegnung nicht von Judentum und Christentum ausgehen kann, von Dogma zu Dogma, sondern vorerst nur aus der Existenz, von Mensch zu Mensch ... dieses gegenseitige Gespräch darf nicht in Synkretismus oder gar Bekehrung ausarten ... Dass es auf jüdischer Seite nur wenige waren, die Muße fanden, sich dem Gespräch zu widmen, ist darauf zurückzuführen, dass nur wenige Juden die Katastrofe überlebten. Sie waren vollauf damit beschäftigt zu versuchen, die Scherben ihres zerstörten Lebens neu zusammenzufügen. Ich glaube fest daran, dass eine Versöhnung von Christen und Juden (Reconciliation) das wichtigste Ereignis der Menschengeschichte wäre und einen gewaltigen Schritt zum Frieden, zum Gottesreich bedeuten könnte! ... An das Gespräch kann man nur mit Demut und in dienender Haltung herangehen, damit es kein Misserfolg werde. Es darf keine Überheblichkeit und kein Frohlocken geben ... Das Hauptanliegen eines Gesprächs muss das Gemeinsame sein, wobei das Trennende nicht verwischt werden soll ... Nun ... sollten wir Juden der Kirche geradezu dankbar sein, dass sie die biblische Botschaft vom Einen Gott zu allen Völkern getragen hat ... So wollen wir denn von Angesicht zu Angesicht als Partner,in Freundschaft und Liebe die biblische Botschaft von der Menschenliebe, vom Reich und von Gerechtigkeit verheißungsvoll in die Zukunft tragen, um an einer besseren Welt bauen zu helfen, an die wir gemeinsam – Juden und Christen – glauben.... Und so sehen Juden und Christen gemeinsam das Ende der Geschichte im Messianischen Reich.“25

Kardinal König betonte in seiner Ansprache, dass es ein historischer Augenblick sei, dass der Papst „nicht namens der Kirche, sondern als Ausdruck seiner persönlichen Wertschätzung einem Angehörigen der Wiener Kultusgemeinde für seine ökumenische Tätigkeit“ eine Auszeichnung überreichte. Er beschrieb weiters, wie Herz aus den KZ „ohne Hass- und Rachegedanken“ zurückkam und „sein künftiges Leben in den Dienst der Versöhnung von Juden und Christen“ stellte: „In zahlreichen Vorträgen hat er ... in Pfarrgemeinden vor Studenten und Akademikern über das "Unbekannte Judentum" gesprochen, und in emsiger, oft unbemerkter Kleinarbeit dabei mitgeholfen, Vorurteile und Missdeutungen abbauen zu helfen.“26

Obwohl es eines der Prinzipien von Herz war, „eine strikte Neutralität gegenüber allen Parteibildungen innerhalb des Judentums und auch außerhalb“ einzuhalten, waren seine politischen Kontakte mit Ausnahme seines Briefwechsels mit Innenminister Otto Rösch viel einseitiger auf die beiden rechten politischen österreichischen Parteien ÖVP und FPÖ gerichtet, was seine im ersten Fall auch privaten und sehr herzlichen Briefwechsel mit Bundeskanzler Josef Klaus, dem Grazer Bürgermeister und späteren Parteiobmann der FPÖ Alexander Götz sowie sogar mit dem rechtsradikalen, ehemaligen Nationalsozialisten und zeitweiligen FPÖ Rechtsaußen Otto Scrinzi beweisen. Er schickte ihnen allen seine Veröffentlichungen und diskutierte auch mit ihnen darüber. Darüber hinaus blieb Herz auch immer ein Sympathisant des Legitimismus, wobei ihn eine intensive Beziehung mit Otto von Habsburg verband.27

Ernst Ludwig Ehrlich, für Herz als der langjährige europäische Direktor der B’nai B’rith ein „Chef und Vorbild, der heute DER Mann des christlich-jüdischen Gesprächs in Europa ist“, würdigte in einer Gedenkrede anlässlich des ersten Jahrestages seines Todes, gehalten in der Zwi-Perez-Chajes Loge in Wien, Herzs Verdienste und Bemühungen um das christlich-jüdische Gespräch: Es ging Herz laut Ehrlich darum, „Juden mit Christen in ein neues Verhältnis zu bringen“ und diese seine Aufgabe machte ihm kein anderer Jude in Wien streitig: „Er ging auf seine christlichen Mitbürger zu und fragte sie, ob sie nicht auf dem Boden eines gemeinsamen religiösen Erbes etwas mit ihm unternehmen wollten. Und diese ausgestreckte Hand wurde nicht zurückgewiesen. Im Laufe der Jahre zeigte es sich, dass Otto Herz auf diesem Wege langsam – gelegentlich nicht ohne Rückschläge – weiterkam ... Otto Herz war ein religiöser Mensch, kein orthodoxer Jude, aber doch fromm auf seine eigene Art. Dass er bei seiner Arbeit mit Christen wirklich Erfolg hatte, und man ihn dort akzeptierte, rührt daher, dass man die Echtheit seiner eigenen Religiosität spürte ... Mehr als 20 Jahre hat Otto Herz gearbeitet, auf mancherlei Gebieten die Beziehung jüdischer Menschen mit ihrer Umwelt zu verbessern, Vertrauen herzustellen, Vorurteile und Hemmnisse der verschiedenen Art zu überwinden. Er hat dabei mit Recht behauptet, man brauche dafür ein bestimmtes Gespür, man müsse sich auch in den andern hineinversetzen können, versuchen, nicht nur seine Sprache zu sprechen, sondern auch zu erfühlen, was ihn geistig bewegt, und was meist unausgesprochen bleibt. Wie wenigen österreichischen Juden ist Otto Herz dieses Gespür zueigen gewesen; seine nichtjüdische Umwelt hat dies anerkannt. Und wenn er ein gewisses, manchmal eigensinniges Selbstbewusstsein besaß, so deshalb. weil er meinte, er könnte manches besser als andere tun, stiller, hinter den Kulissen, aber deshalb wirksamer und dauerhafter ... Ihm lag daran, aus dem Getto auszubrechen, aus dem freiwilligen, das sich manche ängstliche Juden selbst auferlegen, und auch aus dem unsichtbaren, das durch Vorurteile hier und dort auch für die besteht, die die Weite suchen und sich in der Enge nicht mehr wohlfühlen ... Otto Herz war kein Wissenschaftler, er wusste dies selbst am besten. Aber er war von einer tiefen Sehnsucht durchdrungen. Dies könnte man mit dem Begriff der "Einheit" umschreiben. Er wollte, dass Menschen eins würden, zunächst und vor allem, Juden und Christen. Er hat nach Begriffen gesucht, dass Juden und Christen in einer Art von höherer Einheit sich verbinden könnten, ohne die wesentlichen Unterschiede zu überdecken. Hier ist Otto Herz bis in seine allerletzten Tage hinein ein Suchender geblieben.“28

Anlässlich des zweiten Todestages von Herz sprach Ehrlich erneut vor der B’nai B’rith, wobei er über den Verstorbenen sagte: „Sein Platz im christlich-jüdischen Gespräch in diesem Land ist weitgehend leergeblieben.“29

Artikelserie in der „Gemeinde“

1960 begann die Gemeinde mit der Publikation einer monatlichen, mit „Christen und Juden“überschriebenen Seite zum christlich-jüdischen Dialog, die auf Einladung ihres Chefredakteurs Wilhelm Krell, des Amtsdirektors der IKG, vom damals noch jungen katholischen Autor Robert Prantner gestaltet und zum größten Teil auch geschrieben wurde. Krell wurde von Fritz Lothar Brassloff vom World Jewish Congress in London auf Prantner verwiesen, der mit diesem bereits seit 1959 korrespondierte. Prantner, früherer Sekretär von Bundeskanzler Julius Raab und Pressereferent des ÖVP-Wirtschaftsbundes und seit 1972 Dozent für Ethik und Gesellschaftslehre der Ordenshochschule Klosterneuburg, wurde 1963 zusammen mit Heinz Nittel einer der beiden Sekretäre der damals unter dem Präsidenten und damaligen SPÖ Verkehrsminister Otto Probst neugegründeten Österreichisch-Israelischen Gesellschaft.30

Diese Funktion legte er jedoch zurück, als er 1969 Legationssekretär an der Gesandtschaft des Souveränen Malteserordens wurde, da diese kirchliche diplomatische Tätigkeit grundsätzlich eine Tätigkeit für eine Freundschaftsgesellschaft eines Drittstaates verbot.31

In der redaktionellen Einführung dieser Seite, die das damalige Selbstverständnis der IKG sehr gut illustriert, hieß es: „Die Gemeinde eröffnet heute eine neue, eine bedeutsame Rubrik; sie soll der Verständigung zwischen uns Juden und unseren Mitbürgern, den Christen, dienen. Es ist dies ein großes Unterfangen. Denken wir einmal nach: Wir sind 10.000 oder 11.000 Juden in Österreich und leben inmitten einer christlichen Bevölkerung von etwa 6,8 Millionen. Wir sind ein kleines Häufchen in Österreich. Die meisten von uns werden weiter in Österreich leben, unsere Kinder werden hier zur Schule gehen, hier werden wir arbeiten. Müssen wir da nicht den Weg zu unseren Mitbürgern suchen? Sollten wir nicht die Brücke bauen, damit unsere Mitbürger den Weg zu uns finden? Gewiss, unsere Herzen sind noch übervoll, die Wunden der schrecklichen Zeit der Verfolgung sind noch nicht vernarbt und werden auch nie vernarben. Wie könnte es auch anders sein? Wenn wir uns aber aus der Gemeinschaft nicht ausschließen wollen, à la longue nicht ausschließen wollen, müssen wir Ressentiments überwinden und mithelfen, zueinander zu finden.“ Der erstrangige katholische Publizist Robert Prantner – wie er vorgestellt wurde – hatte vollkommene redaktionelle Freiheit, wodurch die Leser „die Ideen und Gedanken aus dem christlichen, aus dem katholischen Lager unvermittelt und unbeeinflusst hören“ werden, denn: „Viele von uns, ja die meisten von uns, kennen die Lehren und die Einrichtungen der christlichen Bekenntnisse viel zu wenig oder nur ganz oberflächlich.“32

In seinem Eröffnungsartikel beschrieb Prantner die österreichische Heuchelei, die es zu überwinden galt: „Wer mit wirklichen, gebildeten Freunden Österreichs spricht, erfährt betroffen immer wieder den Vorwurf: Österreich sei kein ganz glaubwürdiger Partner. "Was wollen Sie denn, lieber Freund? Im Ausland machen Sie Propaganda mit der großen österreichischen Dichtung, verweisen auf Werfel, Hofmannsthal, Kafka, Roth, Broch, auf österreichische Forscher und Wissenschaftler, wie Freud, Lise Meitner und manche andere weltberühmte Nobelpreisträger – im Inneren wollen Sie aber von diesen großen österreichischen Juden nichts wissen: Sie drucken nicht ihre Werke und im Bildungs- und Lehrplan Ihrer schulischen Institute kommt ihnen keine Bedeutung zu ... Darum ist Verständigung am Platz. Ein dringendes Gebot der Stunde, ein Dienst an den Christen und Juden Österreichs. Möge es gegeben sein, dass kleine Fünkchen des Lichtes Gutes stiften in den Herzen jüdischer Freunde. Dass es dem Verfasser gegeben sei, beizutragen zur Heilung und zum Heile einer heillosen, kleinen Welt.“33 Die Serie brachte auch viele internationale aktuelle Nachrichten, Berichte und Rezensionen aus der katholischen Welt.

Einer der ersten und zustimmendsten Leserbriefe kam von Otto Herz, der unter der Überschrift „Wir Juden sind bereit“ feststellte, wie dankbar die jüdische Öffentlichkeit für diese Initiative sein müsse: „Da es seit Jahren mein Herzenswunsch ist, die nicht jüdische Bevölkerung über das neue Antlitz des Judentums aufzuklären, erachte ich mich als legitimiert genug, um jüdischerseits einiges Grundsätzliches zu sagen. Wir Juden sind gern bereit, mit unseren christlichen Brüdern das Gespräch zu führen, und auf die christliche Frage an Israel zu antworten. Was den Antisemitismus betrifft, so ist nicht nur die Verfolgung der Juden im Dritten Reich das Erschütternde, sondern die Tatsache, dass 2000 Jahre lang Ähnliches von der Kirche praktiziert wurde. Eine neue Einstellung der Kirche zu Israel ist notwendig ... Das Christentum muss erkennen, dass in jedem im KZ ermordeten Juden auch Christus als Jude getötet wurde.“34

Ein Jahr später war es wiederum Otto Herz, der eine erste Bilanz über die Serie zog, wobei er diese „ein gewagtes Experiment“ nannte: „Die Pessimisten unter den Lesern der Gemeinde dachten, der Versuch würde die orthodoxen Juden verärgern, außerdem könnte er die Lauen unter den Juden in ihrem Glauben schwankend machen. Der Versuch hat sowohl Zustimmung wie Ablehnung erfahren, aber nach einem Jahr kann gesagt werden, dass weder die Pessimisten noch die Optimisten recht hatten. Das christlich-jüdische Gespräch in seiner heutigen Form ist etwas ganz Neues, Zartes, Zerbrechliches, im Grunde genommen: eine Titanenarbeit von Optimisten auf beiden Seiten, wenn man sich darüber klar wird, dass heute die Gegensätze von Christentum und Judentum grundlegend sind.“35

1961 formulierte Prantner anlässlich des Eichmann-Prozesses in Jerusalem in überaus klaren Worten die christliche Mitschuld an der Schoa: „Mit Adolf Eichmann sollten alle bangen, alle Christen zittern, die den sterbenden, gepeinigten Bruder jenseits des elektrischen Drahtes nicht sehen wollten, weil die Tambourschalmei der schmetternden, hellen Fanfaren zu mächtig den deutschen Heldenohren schmeichelte. Angeklagt ist vor dem heilsgeschichtlich interessanten Staatsgebilde Israel das Volk der Christenheit, das den König der Juden als seinen Heiland verehrt. Ein Modellprozess geistesgeschichtlicher Sinnenhaftigkeit rollt vor unseren Ohren nunmehr ab, der weitaus die kriminaljustizhafte Sfäre überragt. 2000 Jahre lang haben die Christen die Hebräer mit allen Raffinessen der Lieblosigkeit in diesem unseligen Europa ohne christliche Substanz geplagt, geschunden und gequält ... wir werden transparent an jedem Abend ... als stumme geklagte, ungesagt und ungenannte Schuldige im Verhandlungssaal bleiben: wir Christen, erlöst durch das Blut des Jesus von Nazareth.“36

Der Fall Prantner

Die Serie wurde nach einem Jahr ohne Erklärung eingestellt. Aber auch später veröffentlichte Prantner in der Gemeinde noch gelegentliche Kommentare zum jüdisch-christlichen Dialog. 1988 publizierte er den grundlegenden Aufsatz „Quellen jüdischer Weisheit“, in dem er noch korrekt schrieb: „Die Eigenart der jüdischen Weisheit kristallisiert sich vor allem anderen in der Eigenart des jüdischen Optimismus. Judentum ist die Religion der sittlichen Bejahung der Welt, die Religion des ethischen Optimismus.“ Über seine eigene intellektuelle Biografie schrieb er darin: „Seit meiner Jugend hat mich die Heilsgeschichte des auserwählten Volkes Gottes so sehr bewegt, dass sie mein Leben als katholischer Theologe, Ethiker und Gesellschaftswissenschaftler zutiefst geprägt hat ... Ich kann nur als Engagierter in tiefer Ehrfurcht vor dem Volke Israel sprechen, eher nachdenklich als kristallklar definierend, eher hinweisend als erfassend.“37

1997 zeigte sich allerdings, wie sehr sich die jüdischen Kreise in Prantner geirrt haben. Denn Prantner veröffentlichte in der von Andreas Mölzer, dem früheren Grundsatzreferenten der FPÖ unter Jörg Haider, seit 1997 herausgegebenen Wochenzeitung Zur Zeit, für die auch in der Presse und von den Wiener Verkehrsbetrieben geworben wurde, einen Artikel zur „Bilanz einer 30jährigen Geschichte einer christlich-jüdischen Neubesinnung“, den Otto Friedrich in der Furche ein „Beispiel von purem und unverblümtem Antijudaismus“ nannte.

Mit diesem Artikel, einer völligen Umkehr von Prantners Aussagen zumindest bis in die achtziger Jahre, erreichte der in einem kleinen Teil der Presse akzeptierte theologische österreichische Antisemitismus einen qualitativen Höhepunkt. Prantner erwähnte zuerst die „tiefe Enttäuschung und persönliche Betroffenheit“, ja den „Schmerz“ über seine jüdischen und israelischen Gesprächspartner, darunter den damals bereits verstorbenen Publizisten Pinchas Lapide: „Denn niemals schienen diese jüdischen Persönlichkeiten die Demut in ihrem eigenen Sinne und Gewissen zu mobilisieren, auch ein Wort, eine Geste, ein Zeichen des Bedauerns, der Reue, der Entschuldigung zu setzen: Angesichts der sogar blutigen Verbrechen jüdischer Vertreter (nicht ‘des Judentums’ an sich) an katholischen Christen. Es wäre eine Verfälschung der Geschichte, etwa bestimmte Ritualmorde zu mittelalterlicher Zeit dem fantasiebestimmten ‘Hass des Nationalsozialismus’ zuzuschreiben. Auch Verbrechen von jüdischen Menschen an Christen sind beklagenswerte Geschichte, an Kindern, wie etwa dem seligen Märtyrerkind Anderl von Rinn wie an erwachsenen Menschen zu vorösterlicher Zeit.“ Prantner erinnerte sich dann auch an einen Vortrag, den er auf Einladung seines Freundes Otto Herz in der B’nai B’rith hielt: „Die freundliche und überaus höfliche Kälte, die dem Christentum dabei entgegengebracht wurde, erinnert ihn später an den Zynismus Pinchas Lapides gegenüber den zentralen Wahrheiten der christlichen Offenbarung ... Ökumene, auch zwischen Juden und Christen, kann niemals eine Einbahnstrasse sein. Auch das Blut gemordeter Christen, vergossen durch jüdische Hand, schreit zum Himmel! So erwartet man einen Kongress der Weltjudenheit auf religiöser Grundlage, in dessen Verlauf das ‘Neue Gottesvolk’ ... um Verzeihung gebeten wird.“ Prantner erklärte nicht, wen er mit „man“ meinte und bat am Ende um die himmlische Fürsprache des seligen Anderl von Rinn.38

Nach diesem Artikel entzog die katholisch-theologische Fakultät der Universität Wien Prantner zwar die Prüfungsbefugnis, da ihm die „wissenschaftlich-theologische Qualifikation“ fehle, nicht aber die Lehrbefugnis an der philosophisch-theologischen Hochschule Heiligenkreuz, an der er seit 1984 unterrichtet, da er ja sowieso bald in Pension ging, was inzwischen geschah.39 Prantner war vorher schon jahrelang bekannt als ultrakonservativer Anhänger von Bischof Kurt Krenn. Der Standard bezeichnete ihn 1997 auch als Freund des früheren FPÖ Klubobmanns Ewald Stadler.40

Präsident Ernst Feldsberg

Von Seiten der IKG nahm in den sechziger Jahren weiters vor allem deren Präsident Ernst Feldsberg zum jüdisch-christlichen Dialog Stellung. Er bekannte immer wieder, dass ihn seit dem KZ Theresienstadt eine tiefe Ehrfurcht vor dem Christentum erfüllte und hielt zahlreiche Vorträge über das Judentum in Pfarrheimen und vor katholischen Jugendgruppen, die er auch zu Führungen in den Stadttempel einlud. Einer seiner damaligen Zuhörer, der Religionslehrer Josef Lettl, schrieb über ihn: „Sein gewinnendes Wesen, seine Frömmigkeit und humorvolle Menschlichkeit kamen seinem Anliegen, der jüdisch-christlichen Verständigung und Versöhnung sehr zugute.“41

Aber Feldsberg gab sich, in manchem wohl im Gegensatz zu Herz, keinen Illusionen hin. 1965 nahm er neben Rabbiner Manfred Papo, Wilhelm Dantine, Kurt Skalnik, Kurt Schubert und Friedrich Torberg an einer vom Brith Ivrith Olamit organisierten Podiumsdiskussion zum jüdisch-christlichen Dialog teil. Dabei kam es zu folgender Diskussion zwischen Feldsberg und Torberg: „Torberg war der Ansicht, dass der Konzilsbeschluss eine interne Angelegenheit der Christen sei und dass wir weder darum werben noch uns darum kümmern sollten. Dr. Feldsberg war dagegen der Ansicht, dass die Angelegenheit uns zu sehr angeht, als dass wir ihr gleichgültig gegenüberstehen könnten. Er kritisierte scharf die Veränderungen, die man im ursprünglichen Text des Konzils vorgenommen hat.“42

1966 nannte er die Konzilserklärung Nostra Aetate offen „eine betont religiöse Erklärung, welche in ihrer Abänderung im Gegensatz zur ursprünglichen Erklärung des Kardinal Bea eine Verneigung vor den Feinden Israels bedeutet. Und der Antisemitismus wird bedauert, doch er wird nicht verurteilt.“43

1967 beschrieb Feldsberg in einem ausführlichen Bericht mit der Überschrift „Aufforderung zum religiösen Antisemitismus“ eine Rundfunksendung von Josef Eichinger mit dem Titel „Sie haben Christus ermordet“, in der nicht nur den Juden, sondern allen Nichtchristen die Schuld am Tod Jesu zugesprochen wurde.44

In seiner Rede zur Eröffnung des neuen Logenheims der B’nai B’rith 1970 sagte Feldsberg allerdings: „Die Bibel, deren Gesetz uns den Weg weist, das auserwählte Volk zu sein und zu bleiben, kann und wird niemals novelliert werden und schließt daher auch jeden Gedanken und Versuch einer christlich-jüdischen Verständigung auf dogmatischem Gebiete, das heißt, jede Ökumene aus.“45

Pfarrer Felix Propper

Von evangelischer Seite war es zuerst der Pfarrer und Rechtsanwalt Felix Propper, der aus einer traditionellen jüdischen Familie stammte, sich gemeinsam mit seiner Mutter mit 16 Jahren taufen ließ und nach 1945 als Judenchrist sein Judentum nie verleugnete.46

Propper, der in Wien als Rechtsanwalt arbeitete, überlebte die Schoa in Frankreich sowie in der Schweiz und kehrte kurz nach dem Krieg nach Wien zurück, wo er 1948 als Pfarrer ordiniert wurde und eine judenchristliche Gemeinde leitete, die heute nicht mehr existiert. Trotz seiner persönlichen Geschichte fühlte er sich, vor allem nach der Schoa und der Errichtung des Staates Israel, stets mit dem jüdischen Volk verbunden, über das er in einem autobiografisch zu lesenden Text schrieb: „Die Wiederbelebung des jüdischen Volkes kann nur von dem Geist her geschehen, dem es sein Dasein verdankt ... Aus der Schar der Getauften wird so mancher durch das Erlebnis der Massenvernichtung und durch den gewaltigen Eindruck der Staatsgründung mit dem Gefühl der wiedererwachten Freude an seinem Volkstum erfüllt, den Weg vom Evangelium und den Schriften des Neuen Testamentes zum Alten Testament und von ihm aus zu seinem Volk gehen. Auch den völlig Verweltlichten steht dieser Weg offen.“47

Propper gab die Zeitschriften der Messiasbote (1951-1956) und der Judenchrist (1953 -1962), das österreichische Organ der von Heinz David Leuner in London als Europasekretär geleiteten Internationalen Judenchristlichen Allianz, heraus. Leuner, der auch manchmal Vorträge in Wien hielt, aus Deutschland stammte und in der Tschechoslowakei zum Christentum übertrat, publizierte 1969 das beeindruckend sensible, korrekte und allen religiösen Strömungen und Facetten des Judentums gerecht werdende Buch Religiöses Denken im Judentum des 20.Jahrhunderts und 1979 die Dokumentation, Als Mitleid ein Verbrechen war, über Menschen, die in der Schoa Juden halfen.48

1952 initiierte Propper den „Evangelischen Dienst an Israel“, dessen im Messiasboten veröffentlichter Aufruf u. a. von Wilhelm Dantine, Professor für evangelische Theologie an der Universität Wien, unterzeichnet wurde. Diese Vereinigung, der in den ersten zwei Jahren 200 Personen beitraten, setzte sich zwar anfangs noch die Judenmission zum Ziel, nahm aber vor allem für die Wiedergutmachung und gegen den Antisemitismus Stellung.49

Ende der Judenmission

Propper wurde 1951 mit der Aufgabe der Judenmission innerhalb der Wiener Diözese betreut, die er damals noch vorbehaltlos unterstützte. Aber 1954 veröffentlichte er als Präsident der Judenchristlichen Allianz in Österreich eine „Wiener Deklaration“, in der er sich von den bisherigen Grundsätzen der Judenmission distanzierte und in der es u. a. hieß, „dass 1. das jüdische Volk nach dem Willen Gottes sowohl in seinem christgläubigen als auch in seinem noch von Christus abgewendeten Teil zur Erhaltung seiner Existenz als Volk berufen ist und bleibt, dass 2. die Evangelisation der Juden, die den Weg zu Christus noch nicht gefunden haben, nicht zur Gefährdung oder Beeinträchtigung ihrer Existenz als Volk führen darf.“ Die Internationale Judenchristliche Allianz schloss sich mit Ausnahme der holländischen Zweigstelle nicht dieser Deklaration an. Propper trennte sich daher 1956 von der Allianz und gründete die Allianz der Christen jüdischer Abstammung, auch Weltbund der christlichen Juden genannt.50 Seine Grundsätze lauteten: „1. Die Besinnung der Christen jüdischer Herkunft auf die Tatsache der Zugehörigkeit zu ihrem jüdischen Volke und auf die Verbundenheit mit seiner heiligen Geschichte. 2. Die Verwirklichung einer Weltorganisation, die nicht nur die Judenchristen aller Länder, sondern auch aller christlichen Konfessionen umfasst und die systematische Pflege ihres geselligen Lebens ermöglicht. 3. Die Verteidigung der Rechte und Interessen aller christlichen Juden, insbesondere die Abwehr des Judenhasses in aller Welt.“51

1959/60, als es in Deutschland und Österreich zu einem Wiederaufflammen des Antisemitismus kam, erarbeitete eine vor allem aus Propper, Dantine und Wilhelm Kühnert bestehende Arbeitsgruppe die sogenannten „Wiener Thesen“, die die Judenmission klar ablehnten: „Der Begriff "Mission" für den Auftrag der Kirche an Israel ist auf alle Fälle schief. Es ist folgendes zu beachten: 1. Mission ist erfüllt von dem Pathos: eure Götter sind "Nichtse". 2. Im Gespräch mit Israel hat die Kirche zu bezeugen: dein Gott ist lebendiger als du weißt. – Er ist in der Inkarnation erst ganz als Gott erkennbar geworden. Daher ist der Begriff "Gespräch" vorzuziehen, nur muss klar werden: es ist Gespräch im Namen Jesu!“52 Die Thesen wurden auch in einer Pressekonferenz, von der die jüdischen Zeitungen ausführlich und positiv berichteten, vorgestellt und der Weltkirchenversammlung in New Delhi vorgelegt, aber von dieser nicht angenommen.53

Diese Bemühungen einzelner Kreise der Evangelischen Kirche Österreichs bewirkten leider keine Änderung der Gesamtkirche und ihrer offiziellen Gremien. Die „Wiener Thesen“ wurden 1962 zusammen mit weiteren Arbeitsmaterialien der Generalsynode der Evangelischen Kirche Österreichs vorgelegt. Trotz einer Empfehlung von Bischof Gerhard May konnte sich jedoch diese damals noch zu keiner Stellungnahme aufraffen. Dem „Stuttgarter Bekenntnis“ ihrer deutschen Schwesterkirche hat sich die österreichische Kirche bis heute nicht angeschlossen, obwohl die nächste Synode 1965 ein Wort über „Christen und Juden“, in dem auf die christliche Schuld verwiesen und der Antisemitismus verurteilt wurde, veröffentlichte.54

Um diese Abwehr zu verstehen muss man sich die Geschichte der evangelischen Minderheit in Österreich, ihre großdeutsche Vergangenheit und ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus vergegenwärtigen. Der Theologe Gerhard Kittel, Mitarbeiter des „Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschland. Forschungsabteilung Judenfrage“ und der Zeitschrift Forschungen zur Judenfrage war während des Krieges Professor an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien und hielt dort 1943 eine berüchtigte Vorlesung, in der er das Christentum als hervorragenden Träger des Antisemitismus rühmte.55

„Antisemitismus – ein christliches Gewächs“

1961 publizierte Propper einen grundlegenden und noch heute beeindruckenden Vortrag zum Thema „Der Antisemitismus – ein christliches Gewächs aus christlicher Wurzel“, in dem er über das Judentum schrieb: „Die große Idee, von der Israel sich leiten lässt, ist die Herstellung einer die ganze Völkerwelt umfassenden Liebes- und Friedensordnung.“ Der Ursprung des Antisemitismus ist nach Propper in jener „Epoche zu suchen, deren Geschehen ... ihren Niederschlag im Neuen Testament gefunden hat. Nur die so allein erklärliche stete Erneuerung der antijüdischen Hassgefühle lässt die Unausrottbarkeit der in jeder Generation schon in die Kinderseele eingegossenen Abneigung verstehen. Furchtbar waren und sind die Folgen der Verwurzelung des antisemitischen Hasskomplexes im Urgrund des christlichen Glaubens ... Wir sehen, von dem Urgrund des Judenhasses in dem später umgedeuteten Quell der christlichen Lehre führt ein direkter Weg über durch Jahrhunderte andauernde an den Juden verübte Greueltaten bis zu dem nationalsozialistischen Massenmord, die fünf oder mehr Millionen Juden, darunter 1,800.000 unschuldigen Kindern das Leben kostete und den Überlebenden entsetzliche Qualen, Demütigungen und Leid aller Art brachten. Sollten diese Feststellungen nicht das christliche Gewissen wachrufen? Kann der Christ sich damit begnügen, den Antisemitismus als dem Liebesgebot Gottes widersprechend zu verurteilen? Ist es ihm nicht vielmehr eine schwere Gewissenslast zu wissen, dass der antisemitische Hassgeist durch die Berufung auf das Neue Testament immer wieder die Herzen des Volkes gegen die Juden verhärtet und gleichzeitig mit der Liebespredigt grundsätzlicher Hass Eingang in die Seelen der Hörer findet?“56

Seine Zeitschrift der Judenchrist druckte 1961 auch den Vortrag von Oberrabbiner Eisenberg „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ab, da nach der Einführung der Rubrik „Christen und Juden“in der Gemeinde „keines der christlichen Blätter diesem Beispiel folgend Beiträge jüdischer Theologen oder Historiker gebracht hat.“57

1962 erklärte Propper sein früheres Eintreten für die Judenmission, indem er erklärte: „Unser Ja zur Judenmission im Frühjahr galt nicht dem, was man gemeinhin Judenmission nennt, sondern dem Dienst, der mit Zustimmung der hierfür zuständigen Stellen in dem Gespräch mit Israel und mit den christlichen Gemeinden zu bestehen hatte, welch letztere zur Liebe und Zuneigung den Juden gegenüber ermuntert werden sollten.“58

Der Judenchrist veröffentlichte auch zahlreiche Artikel des Theologen und Judaisten Kurt Hruby, so über Martin Buber und Papst Pius XII. und Anfang der sechziger Jahre zwei Serien über Was die Kirche dem Alten Testament verdankt und Der Ritualmord von Rinn – Zusammenhänge und Hintergründe. Hruby wurde 1921 als Sohn einer jüdischen Familie in der niederösterreichischen Stadt Krems geboren. Nach dem deutschen Einmarsch floh er nach Palästina, wo er im Kibbuz Sde Elijahu lebte, Mitarbeiter der Agence France Press wurde und später an einer Jeschiwa und an der Hebräischen Universität studierte. Nach 1945 kehrte Hruby nach Österreich zurück, studierte katholische Theologie in Belgien und wurde 1953 zum Priester geweiht. Seit 1960 bzw. 1965 lehrte er an der katholischen Universität und am Institut Oecuménique in Paris. Von 1971 bis zu seinem Tod 1992 redigierte er auch die von Robert Brunner seit 1945 im Auftrag der Stiftung für Kirche und Judentum in Basel herausgegebene Zeitschrift Judaica.59 Er veröffentlichte zahlreiche Studien zur jüdischen Geschichte, darunter die Bücher Die Synagoge. Geschichtliche Entwicklung einer Institution und Juden und Judentum bei den Kirchenvätern. Hruby hielt auch oft Vorträge in Wien und gehörte wie der schwäbische Pfarrer Rudolf Pfisterer, der 1971 das Buch Von A bis Z. Quellen zu Fragen um Juden und Christen veröffentlichte, zum internationalen Freundeskreis des Weltbundes der christlichen Juden mit seinem Sitz in Wien.

Proppers Eintreten für die Wiedergutmachung und seine persönliche Integrität wurden von der IKG immer voll anerkannt. Als er 1962 starb, ließ er sich mit Tallit und Kipa begraben.60 Die Gemeinde schrieb in ihrem Nachruf über ihn, dass er, „der, aus dem Judentum hervorgegangen, seine religiöse Befriedigung in der evangelischen Kirche zu finden glaubte. Und doch – in den letzten Jahren zog es ihn immer mehr zum Judentum hin. Ja er bekannte sich als Jude, war einer der treuesten Anhänger Israels und benützte jede Gelegenheit, um für jüdische Rechte einzutreten“, insbesondere, was den Kampf um die Wiedergutmachung betraf.61

Gründung des Koordinierungsausschusses

Auf der katholischen Seite plante Kurt Schubert bereits 1947 die Gründung einer Christlich-Jüdischen Gesellschaft zur Bekämpfung des Antisemitismus, für die er u. a. Ernst Israel, den damaligen Rabbiner des DP-Lagers im Rothschildspital, einlud.62 Aber erst 1956 gelang ihm die organisatorische Verankerung des christlich-jüdischen Dialogs im Rahmen eines besonderen Referats der katholischen Friedensbewegung Pax Christi. Aufgrund des besonderen Wunsches von Kardinal König wurde dann 1962 ein Koordinierungskomitee gebildet, dem der katholische Prälat Karl Rudolf vorstand. Ihm gehörten u. a. Leopold Ungar, Kurt Schubert, Robert Prantner, Nikolaus Vielmetti, Wilhelm Dantine und Rabbiner Meir Koffler an.63

1965 wurde der KCJZ auch vereinsrechtlich konstituiert. Zum ersten langjährigen Präsidenten wurden Kurt Schubert und zu dessen Stellvertreter Meir Koffler – der bereits kurz danach durch Otto Herz ersetzt wurde – und Wilhelm Dantine gewählt.64 1962 schlug Herz bei einer Sitzung vor, nach Art der in Deutschland veranstalteten Woche der Brüderlichkeit auch in Österreich eine solche Woche zu organisieren, wobei er als ersten möglichen Referenten Rabbiner Robert Rafael Geis nannte – ein Vorschlag, der jedoch weder damals noch später realisiert wurde.65

Bereits 1962 lud Karl Rudolf als Leiter des Seelsorge-Instituts österreichische Priester zu einem theologischen Tag zum Thema „Das Mysterium Israel“ ein, bei dem Josef Sint, Kurt Schubert, Georg Molin und Oberrabbiner Eisenberg referierten.66 Kurt Pordes übermittelte Rudolf in einem Brief die vergebliche Bitte, „es möchte von diesem theologischen Tag aus ein Aufruf ergehen, alle die Juden diskriminierenden Darstellungen in Wort und Bild ... allerorts zu eliminieren.“67

Eine der tragendsten Personen hinter diesen Initiativen war, wie Kurt Schubert sich später erinnerte, der Wiener Domprediger und Kunstsammler Monsignore Otto Mauer. Obwohl er dem KCJZ nie offiziell angehörte „war er die graue Eminenz dahinter. Er hat sehr viel, was dort geschehen ist, mit seiner Person beeinflusst, und wenn es zu einer Erklärung zur Darstellung des Judentums in der christlichen Katechese kam, so war fast jeder Satz ein Satz, der mit Mauer auch durchgedacht und durchgesprochen wurde.“68

Revision der katholischen Religionsbücher

Eine der wichtigsten Aufgaben des KCJZ war die Revision der katholischen Religionsbücher, die von einer Arbeitsgruppe mit Kurt Schubert, Clemens Thoma, Hedwig Wahle, Otto Herz und Meir Koffler durchgeführt wurde. Diese Initiative wurde auch vom Vizepräsidenten des American Jewish Committee John Slawson unterstützt, der 1966 Wien besuchte und auch mit Kardinal König zusammentraf. Das Ergebnis der Bemühungen war ein 1967 veröffentlichtes und von Kurt Schubert und Clemens Thoma erarbeitetes Memorandum über die Darstellung des Judentums in der christlichen Katechese. In diesem Zusammenhang arbeitete der KCJZ auch mit der Religionspädagogischen Akademie der Wiener Erzdiözese und dessen Leiter Edgar Josef Korherr zusammen und 1973 veranstaltete er darüber eine Tagung. Auch Wahle arbeitete 1975 an der Erstellung eines neuen Lehrplans und neuer Lehrbücher für den Religionsunterricht. Der u.a. von Korherr erarbeitete Lehrplan für die Unterstufe wurde allerdings erst 1983 etwas revidiert approbiert. Die Bücher der Oberstufe enthielten damals noch immer fragwürdige Formulierungen.69

In diesem Zusammenhang kam es jedoch 1966 zu einer kleinen Kontroverse. Herz bat Präsident Feldsberg in einem Brief darum, ihm geeignete Personen zu nennen, die ihm bei dieser Aufgabe helfen könnten. Feldsberg aber antwortete ihm: „Da die Kultusgemeinde eine Körperschaft öffentlichen Rechtes ist, kann dieser Angelegenheit unsererseits nur dann nähergetreten werden, wenn ein direktes Ersuchen an uns ergeht.“ Die Heruth veröffentlichte diesen Brief unter der Überschrift „Kaum zu glauben“, worauf Feldsberg in der Gemeinde scharf reagierte: „Herr Dfkm. Herz hat keine wie immer geartete Vorschulung als jüdischer Wissenschaftler, als Forscher oder als Talmudgelehrter und kann sich daher einer solchen für das ganze Judentum so wichtigen qualifizierten Aufgabe der Überprüfung von Lehrbüchern ebenso wenig unterziehen, wie er, um ein Beispiel anzuführen, eine Kommission zur Neuredigierung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches leiten könnte. ... Da der Koordinierungsausschuss ... eng mit dem ‘Schulamt’ der Erzdiözese Wien zusammenarbeitet, hätte Herr Herz die moralische Pflicht als Jude gehabt, vorerst zu verlangen, dass der Koordinierungsausschuss in gleicher Weise in engem Kontakt mit der Kultusgemeinde als oberstem Organ des Religionsunterrichtes zusammenarbeite. Bisher hat sich weder der Koordinierungsausschuss noch irgendeine katholische Institution diesbezüglich an die Kultusgemeinde gewendet. Herr Dkfm. Herz gehört dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit nicht als ernannter oder gewählter Beauftragter der Juden in Österreich an, sondern, soviel ich weiß, als Vertreter der Anti-Defamation-League ... Wäre ich dem Wunsch des Herrn Herz nachgekommen, dann hätte die Kultusgemeinde dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie durch die Beistellung von Beratern sich damit einverstanden erklärte, dass der Herr Diplomkaufmann in einer so zukunftswichtigen Sache für das Judentum federführend sei.“ Feldsberg stellte aber zugleich fest: „Ich werde selbstverständlich als Präsident der Kultusgemeinde die nötigen Schritte unternehmen, damit in dieser alle Juden angehenden Angelegenheit die Kultusgemeinde in maßgeblicher Weise zu Wort kommt, wobei besonders darauf hingewiesen werden wird, dass die Kultusgemeinden allein legitimiert sind, zu religiösen Problemen, und zu denen gehört der Religionsunterricht, Stellung zu nehmen.“70

Der Hintergrund von Feldsbergs Distanz zu Herz war aber noch ein anderer. 1964 verteilte Herz das Manuskript eines Vortrages über Möglichkeiten und Grenzen des christlich-jüdischen Gesprächs, den er vor katholischen und evangelischen Religionslehrern hielt und den Feldsberg in einem Brief an Oberrabbiner Eisenberg überaus kritisch als „dem Geist unserer Lehre“ widersprechend und dazu geeignet, „den Missionsgedanken ins Judentum zu tragen“ wertete, denn: „Dieser Vortrag ist geeignet, Juden, denen das Judentum nicht innerstes Bekenntnis, Erlebnis und Tradition, sondern nur Lippenbekenntnis ist, den Weg zur Taufe zu weisen.“71

Unter den Stellen, die Feldsbergs Widerspruch hervorriefen, befanden sich die Sätze: „Der alte Bund besteht und der neue Bund besteht ... Jesus hat die Psalmen gebetet, die wir, Erzbischof und Priester ja jeden Tag in unserem Brevier lesen“ sowie, dass der christlich-jüdische Dialog „uns oft zur Revision dessen zwingt, was nicht mehr mit lebendigem Glauben erfüllt ist“ und das berühmte Zitat von Rabbiner Leo Baeck über das Evangelium als ein Zeugnis der jüdischen Glaubensgeschiche.72

Die Kontroverse endete versöhnlich. Wenige Wochen nach dem zitierten Brief schrieb Otto Herz an Feldsberg, dass er ihm Abbitte leisten müsse, denn dieser hatte recht: „Der Inhalt war zu konziliant“ und er habe nun aufgrund des Echos unter seinen Freunden und in orthodoxen Kreisen „eine Neusicht des Themas vorgenommen“. Der Vortrag war stark von Schalom Ben-Chorin beeinflusst, „was der ‘Mitte’ des jüdischen Gedankenguts geschadet hat.“73

Die Distanz der IKG zum jüdisch-christlichen Dialog zeigte sich in mehrfacher Hinsicht auch 1969, als Oberrabbiner Eisenberg anlässlich des Auslandsösterreichertreffens an einem Ökumenischen Gottesdienst teilnahm, ohne den Kultusvorstand vorher um Erlaubnis zu fragen. Bei einer Aussprache mit Mitgliedern des Kultusvorstands verteidigte Eisenberg sein Handeln damit, dass der Gottesdienst in einem Saal abgehalten wurde, dass er dort nur eine Rede gehalten und dass er gerade in seiner letzten Predigt zu Jom Kippur „das Verhältnis der Kirche zum Judentum kritisiert“ habe. Er halte nichts von jüdisch-christlicher Zusammenarbeit, er habe aber nichts daran gefunden, bei dem ökumenischen Gottesdienst eine Ansprache zu halten, da sich auch Juden unter den Auslandsösterreichern befunden haben. Er habe auch verlangt, dass der Gottesdienst „nicht in einer Kirche stattfinden dürfe, sondern nur in einem Saale, und dass das in dem Saal befindliche Kruzifix vorher zu entfernen sei.“ Am Schluss der Debatte gab Eisenberg die Erklärung ab: „Wenn künftighin an ihn herangetreten werden sollte, an einem Gottesdienst mitzuwirken, an dem auch Vertreter anderer Glaubensbekenntnisse mitwirken, wird Oberrabbiner Dr. Eisenberg vorher in jedem Falle den Präsidenten in Kenntnis setzen, um gemeinsam über die Teilnahme an dem Gottesdienst zu beraten.“74

Der KCJZ veranstaltete in den sechziger Jahren mehrere Tagungen, über deren erste „Judentum und christlicher Glaube“ im Zusammenhang mit Rabbiner Koffler bereits berichtet wurde. Auch die Referate der zweiten Tagung wurden unter dem Titel Auf den Trümmern des Tempels. Land und Bund Israel im Dialog zwischen Christen und Juden mit Beiträgen von Kurt Lüthi, Wolfgang Wirth, Leon Slutzky, Kurt Schubert und Clemens Thoma in Buchform herausgegeben. Thoma erklärte in seinem Vorwort, dass in dem Buch „weder offen noch versteckt irgendwelche politische Propaganda gemacht“ werde, „auch nicht für die Politik des Staates Israel.“ Hingegen ging es um eine „Abschirmung vor dem Antisemitismus“ und „um den längst fälligen Aufbau eines lebendigen christlichen Israelbewusstseins.“75

1965, nach dem Schock der Borodajkewycz Affäre, zu der Zeit, als auch das Wiener Burgtheater Hochhuths Der Stellvertreter aufführte, organisierte der KCJZ in Zusammenarbeit mit mehreren katholischen und evangelischen Institutionen unter dem Ehrenschutz aller Wiener Rektoren mit Ausnahme jenes der Tierärztlichen Hochschule, der ihn ohne Begründung ablehnte, eine Vortragsreihe auf der Universität mit dem Titel „Judenhass – Schuld der Christen?! Ein theologisches Problem und seine aktuellen Konsequenzen.“ Die Referenten waren Willehad Paul Eckert, der in Wien lehrende evangelische Theologe Kurt Lüthi, Kurt Schubert, Erika Weinzierl, die deutsche Staatsanwältin Barbara Just-Dahlmann und Prälat Johannes Österreicher.76

Bei einer Podiumsdiskussion diskutierten Otto Schulmeister und Friedrich Torberg unter der Leitung von Wilhelm Dantine. Wie Ulrich Trinks, einer der Organisatoren, schrieb, war diese Veranstaltung „eine Art Paukenschlag und löste heftige Polemik aus.“77 Unter dem Titel der Veranstaltung war bereits 1964 ein von Willehad Paul Eckert und Ernst Ludwig Ehrlich herausgegebener Sammelband, in dem auch Kurt Schubert, Clemens Thoma, Kurt Hruby und Nikolaus Vielmetti mit Beiträgen vertreten waren, erschienen.78

1970 bereitete der KCJZ, namentlich Kurt Schubert, Otto Mauer, Erika Weinzierl und Hedwig Wahle eine Erklärung vor, die von der Wiener Diözesansynode ohne Gegenstimme angenommen wurde und die eine der für die damalige Zeit deutlichsten Verurteilungen des Antisemitismus enthielt. In ihr hieß es u. a.: „Existenz und Geschichte des Judentums sind (nach Röm. 9-11) für die Christen ein Heilsmysterium, daher müssen die Christen die Existenz auch des heutigen Judentums heilsgeschichtlich verstehen. Mit sicherem Glauben halten wir fest, dass der Neue Bund in Christus die Verheißungen des Alten Bundes nicht außer Kraft gesetzt hat.“ Die Erklärung empfahl auch eine verstärkte Beschäftigung mit dem Alten Testament und mit dem Judentum.79

1972 rief der KCJZ seine Mitglieder dazu auf, die zu einem der damaligen Prozesse gegen die Kriegsverbrecher Franz Novak bzw. Josef Ertl und Walter Dejaco nach Wien kommenden Zeugen während ihres Aufenthaltes in Wien zu betreuen.80

Sr. Hewig Wahle

1967 wurde das „Informationszentrum im Dienste der christlich-jüdischen Verständigung“ (IDCIV) in den Räumen des zentral gelegenen Klosters der seit 1889 in Wien ansässigen Schwestern der 1843 von Theodor Ratisbonne in Paris gegründeten Kongregation „Unsere Liebe Frau von Sion“ in der Wiener Burggasse eingerichtet. Die Anregung dazu ging von der Generalleitung des Ordens aus, die 1965 bereits ein Dokumentationszentrum mit ähnlichen Zielen (SIDIC genannt) in Rom gründete. Bereits 1952 hatten die Schwestern das Pauluswerk wieder errichtet. (Das 1934 in Wien u.a. von Georg Bichlmair und Johannes Österreicher gegründete Pauluswerk gab die Zeitschrift Erfüllung heraus und unterstützte Juden, die sich taufen lassen wollten.)81 Das IDCIV kam nach einer kurzen Zeit in der Praterstrasse wieder in die Burggasse und gab in unregelmäßigen Abschnitten ein Informationsblatt namens Begegnung heraus.82

Von Anfang an wurde das IDCIV von Schwester Hedwig Wahle geleitet. Sie wurde als Anna Wahle 1931 in Wien als Tochter des damaligen Oberlandesgerichtsrates und Richters Karl Wahle und der Versicherungsmathematikerin Hedwig Wahle geboren. Da ihre Familie jüdischer Abstammung, aber bereits getauft war, wurde sie von ihren Eltern 1939 nach England geschickt, wo sie bis 1950 in mehreren Klöstern und Schulen der Zionsschwestern blieb. Nach ihrer Rückkehr nach Wien studierte sie Mathematik und Physik, legte 1954 die Lehramtsprüfung ab und unterrichtete an mehreren Wiener Schulen. 1955 trat sie in die Wiener Niederlassung der Sionsschwestern ein und nahm den Namen Hedwig an. 1962 bis 1964 verbrachte sie zwei Jahre in Paris, wo sie Hebräisch zu lernen und sich mit der Judaistik zu beschäftigten begann. 1964 inskribierte sie Judaistik an der Wiener Universität und promovierte 1971 mit einer Dissertation über Probleme der rabbinischen Anthropologie. Neben der Leitung des IDCIV studierte sie auch noch katholische Theologie und sponsierte 1982 mit der Diplomarbeit Die Bedeutung der Methode des alttestamentarischen Unterrichts für die Darstellung des Judentums. Seither war sie auch als Religionslehrerin an höheren Schulen tätig. Ihre Eltern überlebten unter abenteuerlichen Umständen als sogenannte U-Boote in Wien. Ihr Vater baute nach 1945 das Handelsgericht wieder auf, lehrte an der Universität und wurde erster Präsident des Obersten Gerichtshofs. Da beide nicht mehr dazu kamen, Memoiren zu schreiben, publizierte Wahle die Geschichte ihrer Familie, darunter die ihres Bruders, der in London katholischer Priester wurde, 1991 in der Zeitschrift Entschluss in einem ausführlichen und sehr persönlichen Aufsatz, in dem sie auch aus den Familienbriefen zitierte.83

1980 veröffentlichte sie das Buch Das gemeinsame Erbe. Judentum und Christentum in heilsgeschichtlichem Zusammenhang, das einen Überblick über die Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum, über die Geschichte des christlichen Antisemitismus, über den jüdisch-christlichen Dialog und über die neuere Geschichte des Judentums enthielt. 1986 publizierte sie zusammen mit dem aus Ungarn stammenden Wiener und jüdischen Kaufmann Alexander Ronai, der vor der Schoa an der von Jakob Hoffmann in Frankfurt am Main geleiteten Jeschiwa studierte und seit 1956 in Wien lebt, das Buch Das Evangelium – ein jüdisches Buch? Eine Einführung in die jüdischen Wurzeln des Neuen Testaments. (Im Buch steht allerdings missverständlich, dass Ronai in Frankfurt Judaistik studierte). Die Autoren wollten „einfach einige ausgewählte Stellen der Evangelien miteinander lesen und bei den einzelnen relevanten Versen nur über jene Einzelaspekte des Judentums informieren, die für das Verständnis einer bestimmten Stelle unbedingt notwendig ist. Am Ende wird freilich ein Gesamtbild sowohl über das "jüdische" Evangelium, als auch über das antike und moderne Judentum entstehen.“84 Bemerkenswert ist Ronais Beschreibung des jüdischen Pluralismus am Beginn des Kapitels „Die jüdischen Parteien zur Zeit Jesu“: „Das Judentum bestand zu allen Zeiten – wie auch heute noch – aus verschiedenen Gruppierungen, Parteien, Sekten und Religionsrichtungen.“85

Das IDCIV enthielt ein Archiv von rund 5.000 Zeitungsausschnitten, zahlreichen laufenden Zeitschriften, es umfasst Tonträger und eine Bibliothek von 3.500 Bänden. Das Informationszentrum organisierte Reisen und monatliche Vorträge, die seit 1985 auch als Broschüren veröffentlicht wurden. Zu den Vortragenden gehörten u.a. Norbert Lohfink, Fritz Lothar und Miriam Brassloff, Hans-Hermann Henrix, Paul Chaim Eisenberg, Kurt Bergmann, Edi Gross, Patricia Steines, Herbert Rosenkranz, Harald Leupold-Löwenthal, Johann Maier, Johannes Österreicher, Klaus Lohrmann, Nechemja Gang, Wladyslaw Bartoszewski, Alexander Friedmann, Pierre Genée, Kurt Schubert, Hedwig Wahle und Ulrich Trinks. 1983 veranstaltete es anlässlich des Österreich-Besuches von Papst Johannes Paul II. eine Ausstellung zum Thema „Unterwegs zum Reich Gottes. Hoffnung für Juden und Christen.“86

Der KCJZ organisierte u.a. Vorträge von Rabbiner Jacob Posen, Pinchas Lapide, David Flusser, Zwi Werblowsky und Ernst Simon – über „Heine, der Jude“ – sowie Jonathan Magonet vom Leo Baeck College in London, der auch an einem ökumenischen Gottesdienst teilnahm und Gastvorlesungen an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien hielt. 1978 organisierte der KCJZ zusammen mit der AGA, der Katholischen und der Evangelischen Studentengemeinde und der Vereinigung Jüdischer Hochschüler in Österreich eine Festveranstaltung zum 100. Geburtstag Martin Bubers an der Universität Wien in Anwesenheit von Bundespräsident Kirchschläger, bei der Franz von Hammerstein vom Weltkirchenrat in Genf sprach und Alisa Stadler las. Seit 1982 organisierte der KCJZ nach dem Vorbild der Rheinischen Woche in Bendorf auch alle zwei Jahre die Christlich-jüdische Bibelwoche in Graz.87

1971 wurden die Adressenkarteien des IDCIV und des KCJZ vereinigt; 1997 enthielt die Datei 550 Adressen.88 1974 wurde durch eine Statutenänderung die Stelle eines geschäftsführenden Präsidenten des KCJZ geschaffen, zu dem Hedwig Wahle gewählt wurde. Die Präsidentschaft wurde weiterhin von Vertretern der beiden Religionsgemeinschaften ausgeübt; 1984 waren dies Kurt Schubert, der evangelische Kirchenhistoriker Alfred Raddatz und der Judaist Jacob Allerhand als Nachfolger von Otto Herz.89

1991 wurden Norbert Höslinger, der Leiter des österreichischen katholischen Bibelwerkes, und seit 1993 der Salzburger Theologe und Judaist Gerhard Bodendorfer Schuberts Nachfolger. Die jüdischen Vizepräsidenten bzw. Vorstandsmitglieder waren Paul Grosz, Mario Müller, der Präsident der Salzburger Kultusgemeinde, Marko M. Feingold und seit 1998 der Grazer Kantor Richard Ames.

1992 wurde das Kloster in der Burggasse wegen des fehlenden Nachwuchses geschlossen. Das IDCIV übersiedelte 1993 in ein Lokal in Wien-Währing im Besitz der Erzdiözese Wien. Schwester Wahle wanderte nach Brüssel bzw. Rom ab; das Informationszentrum wurde bis 1995 von Astrid Ingruber-Voggeneder und seit 1996 von Markus Himmelbauer betreut. Das Zeitungsarchiv wurde im Laufe der Erneuerungsarbeiten des Jahres 2000 dem Jüdischen Museum der Stadt Wien übergeben. Die Bibliothek der Sionsschwestern aus der Burggasse wurde mit dem Nachlass von Alisa Stadler und der Judaica-Sammlung von Ulrich Trinks ergänzt. Seit 1990 publiziert der KCJZ eine eigene Vierteljahresschrift namens Dialog-Du Siach  / christlich-jüdische Informationen, die von Gerhard Bodendorfer und Markus Himmelbauer redigiert wird.90

Regionale Initiativen

Seit 1984 in Salzburg, seit 1989 in Innsbruck und seit 1990 in Graz konstituierten sich Bundesländerkomitees, die eigene Veranstaltungen organisierten. Bereits vorher zelebrierte 1975 der bekannte Jerusalemer Schriftsteller, Journalist und liberale jüdische Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin in der 1968 neu eingeweihten Linzer Synagoge zusammen mit dem Kapuziner, Orientalisten und Religionspädagogen Karl Jaros einen Gottesdienst. Reinhold Tauber berichtete in den Oberösterreichichen Nachrichten sehr gut und ein wenig ironisch über die psychologischen Schwierigkeiten dieses Unterfangens: „Die Christen waren gekommen, um zu sehen, wie die Juden beten. Den Sinn der Vorgänge haben sie nicht verstanden. Das einzige ihnen auch geläufige Wort war "Amen" ("So sei es") am Schluss der Liturgie. Im Gastpublikum sind auch hohe Geistliche der katholischen Kirche auszumachen, die mit betonter Lockerheit auftreten, in die sich etwas Unbehagen mischt – als wären sie Vertreter eines Staats, der bisher als feindlich galt, auf einem Empfang nach der Aussöhnung von zwei Ländern. Sie versuchten mit einer Geste die Peinlichkeit der Vergangenheit wegzuwischen und stoßen dabei auf die peinliche Tatsache, dass sie im eigenen Inneren noch Barrieren abzubauen haben.“91

Bereits 1962 hielt Ben-Chorin, organisiert von Anton Pick und Wilhelm Krell von der IKG, einen Vortrag zum Thema „Der unbekannte Gott – eine jüdische Antwort auf den Atheismus der Zeit“ vor „hervorragenden Persönlichkeiten der katholischen, evangelischen und altkatholischen Kirche“, unter ihnen Wilhelm Dantine, Ferdinand Klostermann, Severin Grill, Friedrich Heer, Kurt Schubert sowie Franz Theodor Csokor und Viktor E. Frankl. 1975 war Ben-Chorin auch Gast des KCJZ in Wien; er hielt einen Vortrag über „Jesus und Paulus in jüdischer Sicht“ und einen ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Kirche in der Dorotheergasse zusammen mit Kurt Lüthi und Friedrich Debray.92

Von katholischer Seite war es weiters auch besonders die Zeitschrift der Jesuiten, Entschluss, die sich mit jüdischen Themen befasste und z. B. 1978 ein sehr bemerkenswertes Heft zum Thema Jesus der Jude veröffentlichte.93 Zu den jüdischen Autoren, deren Texte die Zeitschrift abdruckte, gehörten David Flusser, Leo Prijs, David Hartmann und Paul Chaim Eisenberg. 1973/74 gab auch die vom österreichischen Cartellverband herausgegebene Zeitschrift Academia ein von Peter Hofbauer und Ernst Wolfram Marboe redigiertes bemerkenswertes Sonderheft über „Die jüdische Frage“ mit Beiträgen von Kurt Schubert, Hedwig Wahle, Willehad Paul Eckert, Hans Magenschab, Hellmut Andics und Maurice Feldmann heraus, das von Friedrich Torberg und Otto Herz gelobt wurde.94

Es ist wichtig, an diese ersten und frühen Versuche einer christlich-jüdischen Begegnung und Zusammenarbeit in Österreich zu erinnern. Die späteren Bemühungen, die hier nicht mehr das Thema sind, darunter Veranstaltungen und Publikationen der Katholischen Aktion und der Pastoralkommission, konnten auf diesen frühen Arbeiten aufbauen. Die beiden großen Begegnungsfeiern 1986 und 1987 in der Österreichischen Nationalbibliothek und im Redoutensaal der Hofburg waren die ersten offiziellen Begegnungen der Spitzenvertreter der beiden Religionen nicht nur seit 1945; deren Reden wurden auch in zwei Broschüren veröffentlicht.95

Anmerkungen
  1. Lebenslauf in der Dissertation von Meir Koffler, Wien 1956.
  2. Interview mit seiner Witwe Chana Koffler, Bnei Brak 1997.
  3. Tribüne, Nr.30, Juni/ Juli 1962.
  4. Die Furche, 1.2.1964.
  5. Die Furche, 25.4.1964.
  6. Clemens Thoma, Judentum und christlicher Glaube. Zum Dialog zwischen Christen und Juden. Klosterneuburg 1965, S.15.
  7. Ebd., S.186.
  8. Christlich-jüdisches Forum, Nr.37, März 1966; Die Gemeinde, 27.1.1966; Otto Herz an Wilhelm Krell, 18.3.1966, Ordner 109, XXX, B/c, Archiv der IKG, Wien.
  9. Die Gemeinde, 27.1.1966.
  10. Otto Herz an Friedrich Torberg, 22.2.1966; Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Nachlass Torberg
  11. Ebd.
  12. Ernst Ludwig Ehrlich an d.Verf., 1.3.1993; Interview mit Irene Herz, Wien 1993; Schalom, April 1968. Lebenslauf, Ordner 121, XXX, C/c, Archiv der IKG.
  13. Ökumenische Morgenfeier, 15.5.1980, Manuskript, S.3, Nachlass Lucie Begov, Yad Vashem, Jerusalem.
  14. Heruth, 29.10.1963.
  15. Heruth, Juni 1960.
  16. Heruth, Mai 1960 und Mai 1981.
  17. Heruth, August 1960.
  18. Heruth, 3.9.1961.
  19. Neue Welt, Jänner 1967.
  20. Ernst Ludwig Ehrlich an Kardinal König, 26.11.1974, 3 S., Archiv der AGA, Wien.
  21. Otto Herz, Judaism and the Present Ecumenical Position 1968, S.30; Korrespondenz aus dem Nachlass von Otto Herz bei seiner Witwe Gerda Herz-Schoeps (mit Dank an Gerda Herz-Schoeps).
  22. Die Gemeinde, 9.10.1972.
  23. Ebd.; Dietmar Seiler, Im Labyrinth der Geschichtspolitik. Die Erinnerung der Schoa im öffentlichen österreichischen Gedächtnis, Zeitgeschichte, Nr.9-10, 1997, S.286.
  24. Otto Herz an Kurt Pordes, 2.8.1972, Nachlass Lucie Begov, Yad Vashem; Otto Herz an Kurt Pordes, 10.6.1961, Archiv der AGA.
  25. Otto Herz, Versöhnung von Judentum und Christentum 1974, o.O., 4 S., ÖNB, Wien.
  26. Ebd.
  27. Korrespondenz im Nachlass von Otto Herz bei Gerda Herz-Schoeps.
  28. Ernst Ludwig Ehrlich, Gedenkrede für Otto Herz am 15.Februar 1982 in der Zwi Perez Chajes Loge in Wien. In: E.L.Ehrlich, Möglichkeiten und Grenzen des christlich-jüdischen Gespräches. Schriftenreihe der Europäischen A.D.L.Kommission der B’nai B’rith, Wien o.J., S.3-9 (mit Dank an E.L.Ehrlich).
  29. Die Furche, 9.3.1983.
  30. Die Gemeinde, 18.9.1963, 20.12.1963. Korrespondenz zwischen Wilhelm Krell und Fritz Lothar Brassloff in Ordner 4, XXX, A/a, und Ordner 27, XXX, C/a, Archiv der IKG.
  31. Robert Prantner an Otto Herz, 26.10.1969, Archiv der AGA.
  32. Die Gemeinde, 31.5.1960.
  33. Ebd.
  34. Die Gemeinde, 25.8.1960.
  35. Die Gemeinde, 30.6.1961.
  36. Die Gemeinde, 4.3.1961.
  37. Robert Prantner, in: Christliche Demokratie. Sonderheft über Jüdisches Denken und Wirken als Teil österreichischer Identität. Nr.2, Juni 1989, S.130/ 131, 136.
  38. Zur Zeit, Nr.7, Dezember 1997, Die Furche, 18.12.1997.
  39. Mitteilungsblatt der AGA, Nr.152, Januar 1998, Nr.153, Mai 1998.
  40. Der Standard, 19.12.1997; vgl. Hubert Wachter, Kurt Krenn, München 1994, S.35/ 36.
  41. Josef Lettl, Kirche und Judentum in Wien: der Wandel des Verhältnisses seit 1982. Dissertation, Wien 1997, S.179.
  42. Die Gemeinde, 10.11.1965.
  43. Heruth, 17.1.1966; vgl. Neue Welt, Dezember 1964.
  44. Die Gemeinde, 27.4.1967.
  45. Manuskript im Nachlass, S.4.
  46. Monika Nüchtern, Vergangenheitsbewältigung der EKIÖ. Eine Untersuchung zum Problem Juden und Christen in der Zeit von 1945 bis 1965. Proseminararbeit, Wien 1985, S.57.
  47. Neue Welt, September 1956.
  48. Information aus Heinz David Leuner, Gerettet vor dem Holocaust, Frankfurt am Main 1989
  49. Monika Nüchtern, ebd., S.60.
  50. Der Judenchrist, Nr.1, Oktober 1961.
  51. Monika Nüchtern ebd., S.67/ 68.
  52. Die Gemeinde, 30.11.1961; Neue Welt, November 1961.
  53. Monika Nüchtern ebd., S.77.
  54. Hedwig Wahle, Das gemeinsame Erbe. Judentum und Christentum. Innsbruck, Wien, München 1980, S.189; Die Gemeinde, 27.1.1966.
  55. Monika Nüchtern ebd., S.59.
  56. Der Judenchrist, Nr.1, Oktober 1961
  57. Ebd.
  58. Der Judenchrist, Nr.2, Jänner 1962.
  59. Robert Streibel, Plötzlich waren sie alle weg: die Juden der "Gauhauptstadt" Krems und ihre Mitbürger. Wien 1991, S.118-120.
  60. Monika Nüchtern ebd., S.59.
  61. Die Gemeinde, 27.12.1962.
  62. Kurt Schubert an Rabbiner Ernst Israel, 8.7.1947, Reel 6, Bestand über DP-Camps in Österreichs, YIVO, New York.
  63. Protokoll der Generalversammlung des KCJZ, 12.2.1965, 20.4.1967, Archiv des IDCIV; Otto Herz an Friedrich Torberg, 25.6.1962 (Nachlass F.Torberg in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek)
  64. Sitzungsprotokoll des KCJZ, 29.11.1962, Archiv des IDCIV, Wien.
  65. Ebd.
  66. Einladung, Archiv des IDCIV.
  67. Kurt Pordes an Karl Rudolf, 28.9.1962, Nachlass Lucie Begov, Yad Vashem.
  68. Kurt Schubert in Otto Mauer 1907-1973, Symposion der Hochschule für angewandte Kunst, Wien 1993, S.65.
  69. Hedwig Wahle, Die christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich seit 1945, unveröffentlichtes Manuskript, S.16; christlich-pädagogische Blätter 81, 1968.
  70. Heruth, 29.6.1966; Die Gemeinde, 7.9.1966; vgl. Heruth, 15.11.1966.
  71. Ernst Feldsberg an Oberrabbiner Akiba Eisenberg, 13.11.1964, Box 20, XXVII, C/d, Archiv der IKG.
  72. Manuskript, S.1, 3, wie Anm. 69.
  73. Otto Herz an Ernst Feldsberg, 22.1.1965, Box 20, XXVII, C/d, Archiv der IKG.
  74. Aktennotiz, 2.12.1969, 5 S., von Karl Lazar, Ernst Feldsberg und Anton Pick, Ordner 146, XXX, A/d, Archiv der IKG.
  75. Clemens Thoma, Auf den Trümmern des Tempels. Leben und Bund Israels zwischen Christen und Juden. Wien 1968, S.8.
  76. vgl. Die Presse, 22.11.1965, 15.12.1965.
  77. Ulrich Trinks in Albert Brandstätter (Hg), Konflikte leben. 40 Jahre Evangelische Akademie 1952-1992, Wien 1992, S.99; AZ, 12.11.1965.
  78. Judenhass – Schuld der Christen?! Hg. von Willehad Paul Eckert und Ernst Ludwig Ehrlich, Essen 1964.
  79. Kurt Schubert in Annemarie Fenzl (Hg), Kardinal König, Wien, München 1985, S.41; Christlich-jüdisches Forum, Nr.43, Februar 1971 Vgl. auch Hedwig Wahle, Die christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich seit 1945, unveröffentlichtes Manuskript, 25 S. (mit Dank an H. Wahle).
  80. Rundbrief vom 2.2.1972, Archiv des IDCIV.
  81. Lebenslauf in der Diplomarbeit von Hedwig Wahle 1982; Mitteilungsblatt der AGA, Nr.97, März 1985; Nr.95, September 1984.
  82. Wiener Zeitung, 24.10.1967, 27.10.1967; Dialog, Nr.28, Dezember 1997; Hedwig Wahle, Das IDCIV. Entstehen und Wirken des Informationszentrums im Dienste der christlich-jüdischen Verständigung, IDCIV Vortrag Nr.9, Wien 1987, S.23. Das Mitteilungsblatt hat sich nicht erhalten.
  83. Entschluss, Nr.5, 1991; Lebenslauf wie Anm.78; Lebenslauf in der Dissertation von Hedwig Wahle, 1971.
  84. Hedwig Wahle, Alexander Ronai, Das Evangelium – ein jüdisches Buch? Eine Einführung in die jüdische Wurzeln des Neuen Testaments. Freiburg im Breisgau 1986, S.10/ 11.
  85. Ebd, S.15; vgl. auch die sehr negative Kritik von Thomas Dombrowski, in David, September 1986.
  86. Protokoll 22.3.1984, Archiv des IDCIV.
  87. Die Gemeinde, 7.9.1984; Mitteilungsblatt der AGA, Nr.72, Juni 1979.
  88. Josef Lettl ebd.,, S.211.
  89. Mitteilungsblatt der AGA, Nr.94, Juni 1984
  90. Die Gemeinde, 15.3.1993.
  91. Jedioth Chadaschoth, 9.5.1968; Oberösterreichische Nachrichten, 9.6.1975.
  92. Die Gemeinde, 30.11.1962, 9.7.1975; Mitteilungsblatt der AGA, Nr.55/ 56, Juli 1975; Illustrierte Neue Welt, August/ September 1975.
  93. Entschluss, Nr.1, 1978, Die Gemeinde, 7.3.1979 (Herbert Schiff).
  94. Academia, Dezember 1973/ Januar 1974.
  95. Schalom für Österreich. Christlich-jüdische Begegnungen in Wien, Wien 1986. Schalom für Österreich II. 1988 – Wege in die Zukunft, Wien 1988