Der Israelische Autor Asaph Goor schrieb 1977 in einer Publikation der Gesellschaft für Geschichte des Weins: „Die Rebe, die Traube und der Wein werden Hunderte von Malen in praktisch allen im Büchern der Bibel erwähnt. Die Weinrebe war im alten Israel sehr verbreitet und nahm einen Ehrenplatz in der Wirtschaft des Landes ein. Wein war ein Volksgetränk und wurde alltags wie an Festtagen getrunken. Frische und getrocknete Trauben wurden damals in allen Volksschichten verbraucht.“
Anders als von den Ägyptern, sind uns von den Juden nur wenige bildhafte Zeugnisse hinterlassen, da die Juden die Vorschrift des Religionsgesetzes „du sollst dir kein Bildnis machen“ streng beachtet haben. Dafür sind aber wunderbare literarische Zeugnisse von den Juden überliefert, die alle Welt zu recht ja auch als das „Volk des Buches“ nennt. Diese Zeugnisse zählen zu den schönsten und innigsten der Weinliteratur.
Zunächst wird der Wein, der praktisch überall im Lande gedieh, als Gottesgabe verstanden. Der biblische Stammvater Isaak lässt sich, bevor ein seinen Sohn Jakob segnet, mit Wein bewirten und in seinem Segenswunsch wird der Wein auch ausdrücklich erwähnt. „Gott gebe der vom Tau des Himmels und von der Fettigkeit der Erde und Korn und Wein die Fülle“ (1. Mose 27, Vers 28).
In diesem Segensspruch sind bereits die wichtigsten Lebensmittel der damaligen Zeit genannt: Der Tau für das Wasser, das der Mensch zum Trinken und die Bewässerung der Felder braucht, die Fettigkeit der Erde als Sinnbild für das Öl des Olivenbaums sowie Korn und Wein.
Die Liebe Israels zum Wein ist in einer unglaublichen Vielfalt dokumentiert. Diese Liebe geht soweit, dass sich Israel selbst mit einem Weinstock vergleicht bzw. identifiziert: „Du hast einen Weinstock aus Ägypten geholt und hast vertrieben die Heiden und hast denselben gepflanzt" (Psalm 80 Vers 9). Für Gleichnisse wird ja immer das Naheliegende, Allgemeine und Allbekannte herangezogen. Erst dadurch gewinnt das Gleichnis seine Kraft. Und so mag auch diese Stelle aus Psalm 80 ein Indiz dafür sein, wie allgegenwärtig der Wein in Israel war.
Aber eben nicht nur allgegenwärtig, sondern geschätzt und geliebt. Auf alten israelischen Münzen und auf modernen Briefmarken und Weinetiketten findet man heute die Riesentraube, die die beiden Kundschafter aus dem Tal Eshkol zu Moses brachten. Diese Begebenheit wird in 4. Mose 13 berichtet. Eshkol heißt danach „Traubental“ und diese Riesentraube wurde zu einem Sinnbild des Landes der Verheißung, das nicht allein von Milch und Honig , sondern auch vom Wein triefte.
Schließlich schenkt das 1. Buch Mose in den Kapiteln fünf und neun den ersten Weinbau-Patron. Es heißt da in Kapitel 5 Vers 28: "Lamech war 182 Jahre alt und zeugte einen Sohn und hieß ihn Noah und sprach: Der wird uns trösten in unserer Mühe und Arbeit auf der Erde, die der Herr verflucht hat.“ Als Noah, wie später berichtet wird, sich seiner Arbeit zuwendet, heißt es in Kapitel 9 Vers 20: „Noah aber fing an und war ein Ackermann und pflanzte Weinberge.“
Der Wein ist also das Mittel, die Seelenarznei, die Noah zur Tröstung der Menschen erzeugt. Auch andere Stellen in der Bibel belegen die tröstliche Funktion des Weines: „Der Wein erquickt den Menschen das Leben. Und was ist Leben, da kein Wein ist? Der Wein ist geschaffen, damit er den Menschen fröhlich machen soll“ (Sirach 31, Vers 32). Noch eindringlicher wirken die Sprüche Salomos in 31, Vers 6: „Gebt starkes Getränk denen, die am umkommen sind und Wein den betrübten Seelen.“
Dass Noah, ungeübt im Umgang mit Wein, nach Mose 9, Vers 21 sogleich auch dem Weinrausch erliegt – „Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag in der Hütte aufgedeckt“ – muss nicht verwundern. Bemerkenswert ist, dass Noah an dieser Stelle kein Tadel oder Vorwurf trifft. Ein Zeichen dafür, dass einem echten Weinvolk der unfreiwillige Weinrausch nicht nachgetragen wird.
Bei genauerer Untersuchung der einschlägigen biblischen Texte zum Weinanbau und zur Weinzubereitung, dann lesen sich diese fast wie Passagen aus einem önologischen Handbuch oder einem Lehrbuch für den Winzer. Insgesamt wird der Wein in der Bibel an mehr als 650 Stellen erwähnt und kaum eines der ewigen Bücher der Menschheit hat des Weines so oft und so freundlich gedacht.
Die Orte des Weinbaus
Richter 15, Vers 5 berichtet über Weinbau im „Land der Philister“; die „Ebene Jesreel“, in der auch heute noch Weinbau stattfindet, wird in 1. Könige 21, Vers 1 erwähnt. Weiter werden genannt die „Oase von Engedi“ am Toten Meer im Hohen Lied 1, Vers 14, die Hügelgebiete bei „Hebron“ und im „Tal Eshkol“ in 4. Mose 13, Vers 23, „Silo“ in Richter 21, 20, „Sichem“ in Richter 21, Vers 20 und „Samaria“ – ebenfalls heute eine Weinbauregion – in Jeremia 31 Vers 5.
Reberziehung
Verschiedene Arten der Rebhaltung bzw. –erziehung werden genannt und waren daher im antiken Israel bekannt: die „Bodenhaltung“, die „Stockhaltung“ sowie das „Hochranken“ der Reben an Bäumen, Mauer, Hauswänden und Gerüsten. Die Bodenhaltung wird in Hesekiel 17 Vers 6 erwähnt. Über das Emporranken an Bäumen berichtet 1. Könige, 5, Vers 5, wo es heißt, dass „Israel und Juda sicher wohnten, ein jeglicher unter seinem Weinstock“.
Über das Ranken des Weinstocks an Bäumen gibt die sogenannte Fabel Jothams Auskunft, die in Richter 9 erzählt wird, einer Polemik auf die Wahl König Abimelechs. Auf den Antrag der Bäume, der Weinstock möge ihr König sein – ein erneuter Hinweis auf dessen Wertschätzung –, antwortet der Weinstock: „…soll ich meinen Most lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, dass ich über den Bäumen schwebe?“
Weinbergsarbeiten
Auch über die Arbeit im Weinberg berichtet die Bibel an vielen Stellen. So umgab man den Weingarten mit einer Mauer oder einem Zaun, damit nicht der böse Nachbar oder wilde Tiere sich an den Trauben vergehen konnten. Auch baute man zuweilen einen Wachturm im Weinberg, um die wertvolle Ernte zu schützen. Natürlich werden auch die typischen Weinbergsarbeiten genannt: das Säubern des Bodens, das Aufhacken zum Lockern des Erdreichs, das Säubern von Steinen und Unkraut und das Beschneiden der Reben (Jesaja 5, Vers 1 - 7.
Eine Vorschrift aus 5. Mose 22, Vers 9, verdeutlicht, dass den Weinbauern im alten Israel bereits das „Menge-Güte-Gesetz“ bekannt war, denn dort heißt es: „Der Weinberg soll nicht anderweitig besät werden.“ Eine bemerkenswerte Vorschrift, denn aus dem griechischen und römischen Weinbau der Antike ist bekannt, dass Gemüseanpflanzungen in Weinbergen keine Seltenheit waren. Erst in moderner Zeit haben qualitätsbewusste Winzer auf die Anpflanzungen von weiteren landwirtschaftlichen Erzeugnissen inmitten von Reben verzichtet.
Soziale Vorschriften
Das Delikt des „Mundraubs“ wurde im Rahmen einer Strafrechtsreform 1975 aus dem deutschen Gesetzbuch entfernt. Bis dahin galt eine Strafmilderung von unerlaubt entwendeten Verzehrgegenständen. Schon das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches folgte der biblischen Regelung nach 5. Mose 23, Vers 24, nicht mehr: „Wenn du in deines Nächsten Weinberg gehst, so magst du Trauben essen nach deinem Willen, bis du satt habest, aber du sollst nichts in das Gefäß tun“. Die Vorschrift galt auch für Korn und wirft damit ein Schlaglicht auf den Weinreichtum des biblischen Landes.
Die von Mose hinterlassenen Vorschriften – eine so wichtige Sache wie den Wein konnte er nicht sich selbst überlassen – könnte man durchaus als ein „Weingesetz“ bezeichnen. So bestimmt 5. Mose, 20, Vers 6, dass „wer einen Weinberg gepflanzt hat und noch nicht von ihm geerntet“ hat, noch nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden darf. Auch in Israel trugen die Reben erst ab dem dritten oder vierten Jahr nennenswerte Traubenmengen.
In jedem siebten Jahr (Schemitta) sollte der Weinberg nach 2. Mose 23, Vers 11, nicht gelesen werden. Im Schemitta-Jahr sollte der Ertrag den Armen gehören. Auch im Anschluss an die allgemeine Lese sollte nicht nachgelesen werden; was danach noch an den Stöcken hing, sollte nach 5. Mose 24, Vers 21, Fremden, Witwen und Waisen gehören.
Wer einen Weinberg beschädigte, sollte nach 2. Mose 22,Vers 5, von dem besten Weinberg Ersatz leisten.
Lese und Keltern
Die Weinlese in den Monaten August bis Oktober war eine Zeit der Freude, besonders wenn bereits mit dem Keltern oder Traubentreten begonnen wurde. Wie bis in die heutige Zeit hinein wurden damals in Israel die reifen Trauben in Körben gesammelt und in die Kelter geschüttet. Die Kelter bestand aus einer flachen Vertiefung, aus der kleine Abflussöffnungen in einen zweiten, tiefer gelegenen Behälter führten. Beide waren zumeist auf dem gewachsenen Felsen ausgehauen. Die Männer traten und stampften die Trauben und sangen dabei, um im Takt zu bleiben. Beim Keltern roter Trauben blieb es nicht aus, dass Spritzer des Traubenmost die Kleidung einfärbten, daher die Wendung in Jesaja 63 Vers 2: "Warum ist dein Kleid wie eines Keltertreters?“
Der in der Kelter ausgepresste Saft lief durch die Kelteröffnungen ab und wurde dann in lederne Schläuche oder in irdene Krüge gefüllt. Das bei der Vergärung entstehende Kohlendioxyd haben die Weinbauern der Antike noch nicht so benannt, aber der unruhige und druckvolle Vorgang führte zu einer gewissen Vorsicht, um Mostverluste zu vermeiden. So das Gleichnis Jesu in Matthäus 9, Vers 7: „Man fasst auch nicht Most in alte Schläuche, sonst zerreißen die Schläuche, und der Most wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man fasst Most in neue Schläuche, so werden sie beide miteinander erhalten.“ Nach Abschluss des Gärvorgangs wurde der Wein in andere Gefäße umgefüllt.
Trinkkultur
Wenn der Wein – hebräisch: Jajin – fertig ist, dann muss er getrunken werden. Wie Brot und Öl gehörte er zu den drei Hauptnahrungsmitteln und war daher ein alltägliches Getränk. Gleichwohl wurde ja bereits nach diversen Weinsorten unterschieden – sowohl nach Gebieten als auch nach Sorten –, so dass angenommen werden darf, dass an besonderen Fest- und Feiertagen auch ein besonders kostbarer Wein getrunken wurde. In diesem Zusammenhang ist eine Textstelle in 1. Chronik 27, Vers 27 aufschlussreich, in der über König David berichtet wird: „Über die Weinberge war Simei, der Ramathiter; über die Weinkeller und Schätze des Weins war Sabdi, der Sephamiter“ gesetzt. Ebenso verdeutlicht dies der Tadel anlässlich des Weinwunders bei der Hochzeit zu Kana in Johannes 2 Vers 10: „Jedermann gibt zum ersten guten Wein und wenn sie trunken worden sind, den geringeren.“
Öfter wird auch von gewürztem Wein gesprochen (Hohes Lied 8 Vers 2) oder von gemischtem Wein. Gewürzt wurde der Wein, nach allem was man darüber weiß, mit Honig oder Kräutern. Das Mischen mit Wasser – bei den Griechen ein Zeichen von Kultur – galt als Weinfrevel, daher auch der Tadel in Jesaja 1, Vers 22: „Dein Silber ist Schaum geworden und dein Wein mit Wasser vermischt.“ Aufschlussreich in Sachen Trinkkultur ist auch Psalm 75 Vers 9: „Denn der Herr hat einen Becher in der Hand mit starkem Wein voll eingeschenkt und schenkt aus demselben; aber die Gottlosen müssen alle trinken und die Hefen aussaufen.“ Es wird deutlich, dass es sehr alkoholschwere Weine gab, dass auf die ausgeschenkten Portionen geachtet wurde und dass Hefetöne im Wein nicht beliebt waren – und es wird deutlich, dass kräftigen Weinen der Vorzug eingeräumt wurde, während Weine die einen Hefeton aufwiesen, gerade noch als Getränk für die Gottlosen galten. Wenn die Übersetzung nicht trügt, gab es auch einen abschätzigen Begriff für das Trinken solcherart Weins.
Bei solchen Vorlieben war natürlich Vorsicht im Umgang mit Wein geboten und so riet Salomo in seinen Sprüchen, 23, Vers 31: "Siehe den Wein nicht an, dass er so rot ist und im Glase so schön steht. Er geht glatt ein; aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter.“ Auch diese Stelle liefert Belege für eine sehr hohe Weinkultur im alten Israel. Während die Germanen noch aus irdenen Bechern oder Tierhörnern tranken, waren jüdische Gläser noch im antiken Rom bei Hofe sehr gefragt.
Auf hohen technischen Kenntnisstand weist eine Passage in Psalm 119, Vers 83 hin. Es heißt da: „ich bin wie ein Weinschlauch im Rauch.“ Also waren Verfahren zur Verlängerung der Haltbarkeit des Weins bekannt. Es mag damit auch das im Talmud angesprochene „Kochen“ des Weins beschrieben sein. Durch das Erhitzen im geschlossenen Behälter ging kaum Alkohol, als einer wesentlichen, auch für den Geschmack bedeutenden, Eigenschaft des Weins verloren. Das Erhitzen des Weins spielt im Zusammenhang mit dem Kaschern des Weins auch im modernen Weinbau Israels noch immer eine Rolle.
Gut und Böse liegen beim Wein dicht zusammen oder doch nahe beieinander. Während der Autor im Psalm 104, Vers 15 noch ausruft: „dass der Wein erfreue des Menschen Herz“, warnt Salomo in seinen Sprüchen in Kapitel 20, Vers 1: "Der Wein macht lose Leute.“ Vor allem vor dem Missbrauch wird immer wieder gewarnt, wie die Textstelle in Jesaja 5, Vers 11, belegt: „die sitzen bis in die Nacht, dass sie der Wein erhitzt.“ Und noch einmal Salomo in seinen Sprüchen 3, Vers 30: „Wo ist Weh? – Wo man beim Wein liegt.“ Gewarnt wird also vor dem Exzess – nicht vor dem maßvollen Gebrauch.
Frauen
Anders als in manchen Kulturen, wird der Wein auch den Frauen gegönnt und nur während der Schwangerschaft von Weinkonsum abgeraten, wie es in Richter 13, Vers 14 heißt: „Sie soll nicht essen, was aus dem Weinstock kommt, und soll keinen Wein noch starkes Getränk trinken und nichts Unreines essen.“ Nach dem jüdischen Volksglauben befürchteten werdende Mütter, dass der Verzehr saurer Trauben, der künftigen Wohlgestalt und Schönheit ihres Kindes schaden könnte. Mit dem erwähnten starken Getränk könnte ein Gebräu aus Rosinen gemeint sein – etwas, das wir heut als sogenannte Trockenbeerenauslese kennen –, oder ein Gebräu aus Feigen oder Datteln, dass dann einen höheren Alkoholgehalt aufwies, als der zur normalen Lesezeit geerntete Wein. Destillierte Alkoholika waren den antiken Völkern noch unbekannt.
Freilich galt der Rausch bei Frauen als unschicklich. So schreibt Jesus Sirach in Kapitel 26 Vers 11: „Ein trunken Weib ist eine große Plage.“
Temporäre Weinabstinenz
Ausnahmebestimmungen über den Weingenuss galten darüber hinaus auch für Priester, die sich vor dem Gottesdienst des Weines enthalten sollten. 3. Mose 10, Vers 9: „Du und deine Söhne mit sollte keinen Wein noch starkes Getränk trinken, wenn ihr in die Hütte des Stifts geht, auf dass ihr nicht sterbet. Das sei ein ewiges Recht allen euren Nachkommen, auf dass ihr könnt unterscheiden, was heilig und unheilig, was unrein und rein ist.“
Dass der Wein die gewöhnliche Anschauung verändert, war den Israeliten vollkommen eingängig. Eine Sentenz, wie von dem deutschen Dichterfürsten Goethe – „Wenn man getrunken hat, weiß man das rechte“ – wäre ihren nie eingefallen. Vielleicht haben Künstler und Musiker den Wein zur Steigerung ihrer Produktivität eingesetzt, wie Goethe, aber in Regierungs- und Gerichtssachen, hatte man sehr wahrscheinlich bereits negative Erfahrungen gemacht, so ist wenigstens die Wendung in den Sprüchen Salomons, 31, Vers 4, zu verstehen: „Gib den Königen nicht Wein zu trinken, noch den Fürsten starke Getränke. Sie möchten trinken und der Rechte vergessen und verdrehen die Sache der elenden Leute.“
Die Bibel nennt zwei weitere Gruppen, die der temporären Enthaltsamkeit verpflichtet waren, die Nasiräer und die Rechabiter.
Über die Nasiräer oder „Geweihten“ berichtet 4. Mose in Kapitel 6. Hier geht es darum, wie man sich verhalten soll, wenn man sich durch ein Gelübde verpflichtet hat, in besonderer Weise Gott zu dienen. Als Mindestzeit für die Verpflichtung galten 30 Tage, während derer auf den Genuß von Wein und Essig, frischen Weinbeeren und Rosinen verzichtet werden musste. Auch durften die Haare nicht geschnitten werden. Nach Ablauf des Gelübdes war ein Opfer zu erbringen und danach die Verpflichtung zur Enthaltsamkeit aufgehoben.
Dauerhaft, lebenslang, auf Wein aber auch auf feste Häuser und Ackerbau mussten die Rechabiter verzichten. Sie waren die Nachfahren des Stammvaters Rechab, eines Nomaden. Jeremia weist auf diese Gruppe in Kapitel 35 hin, um dem jüdischen Volk ein Beispiel von Gehorsam zu geben. Der Prophet Jeremia hatte die Rechabiter in den Tempel eingeladen und ihnen Wein zu trinken angeboten, doch die Rechabiter lehnten das ehrenvolle Angebot ab.
Solche Kreise mochten versucht haben, Jesus, der als Mann des Volkes „dem Weine gab, was des Weines ist“, den Ruf eines Trinkers anzuhängen. So ist jedenfalls die Äußerung Jesu in Matthäus 11, Verse 18 und 19 zu verstehen: „Johannes ist kommen, aß und trank nicht, so sagen sie: er hat den Teufel. Des Menschen Sohn ist gekommen, isset und trinket, so sagen sie: siehe wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und Sünder Geselle.“
Die Volksschichten, die Jesus damals ansprach, stellten sich das „Reich der Fülle“, wenn es dermal einst als göttliche Herrschaft herabkommen sollte, durchaus als so etwas wie ein Leben der Seligen vor, mit der ständigen Einladung: Iss und trink und lass dir wohl sein, oder wie es der weise Salomo in seinem Sprüchen formulierte: „So gehe hin, iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dein Werk gefällt Gott.“
Gesundheit
Schließlich erfüllte der Wein auch noch eine Funktion als Heilmittel und wurde alten und kranken Menschen sehr empfohlen. So Salomo in seinen Weisheitssprüchen, 31, Verse 6 und 7: „Gebt starkes Getränk denen, die am umkommen sind, und den Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken.“
Weitere einschlägige Bibelstellen tauchen in den sogenannten neutestamentlichen Schriften auf und belegen so eine gewisse Entwicklung in der israelischen Weinkultur. Bei Lukas 10, Vers 34, im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, heißt es: „… verband seine Wunden und goss Öl und Wein darein‘“ und 1. Timotheus 5, Vers 23: „…brauche ein wenig Wein um deines Magens willen.“
Flavius Josephus, der jüdisch-römische Geschichtsschreiber, berichtet schließlich, dass die jüdischen Frauen aus unreifen Trauben einen Brei mengten, mit dem sie die Kopfhaut der Säuglinge bestrichen, um sie vor Ungeziefer zu schützen.
Trunkenheit
Dass Alkoholabhängigkeit, der Alkoholismus, Krankheitswert besitzt, ist eine relativ moderne Erkenntnis. Etwa erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird diese Diagnose gestellt. Häufiges oder regelmäßiges Berauschtsein hielt man in früheren Zeiten für eine Charakterschwäche, nicht aber für eine Krankheit. Die Bibel kennt daher Missbrauch, aber noch nicht einmal Trunk“sucht“ wird namhaft gemacht, lediglich die Trunkenheit mit ihren bekannten Anzeichen und Folgen. 5. Mose 21, Vers 20 nennt drakonische Strafen für Fehlverhalten: „Dieser unser Sohn ist eigenwillig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Schlemmer und Trunkenbold.“ 1. Samuel 25, Verse 36 ff. berichtet sogar vom Tod infolge übermäßigen Weingenusses bei Nabal, dem Ehemann der Abigail, einer Ehefrau König Davids. Dass das Nüchternheitsgebot von verschiedenen Gruppen nicht eingehalten wird, bemängelt Jesaja 28, Vers 7: „Aber auch diese sind vom Wein toll geworden und taumeln von starkem Getränk. Beide, Priester und Propheten, sind toll von starkem Getränk, sind in Wein ersoffen und taumeln von starkem Getränk; sie sind toll beim Weissagen und wanken beim Rechtssprechen.“ Hosea 7, Vers 5 weiß: „Heute ist unseres Königs Fest (sprechen sie), da fangen die Fürsten an, vom Wein toll zu werden; so zieht er die Spötter zu sich.“ Bei allen Warnungen vor Mißbrauch wird der Wein doch nicht diskreditiert, sondern das Problem erklärt und Verhaltensmaßregeln gegeben, so etwa in Sirach 31, Verse 35 ff.: „Der Wein, zu rechter Zeit und in rechtem Maß getrunken, erfreut Herz und Seele. Aber wenn man zu viel davon trinkt, bringt er Herzeleid, weil man sich gegenseitig reizt und miteinander streitet. Die Trunkenheit macht einen Narren noch toller, bis er strauchelt und kraftlos hinfällt und sich verletzt. – Schilt deinen Nächsten nicht beim Wein und verachte ihn nicht wenn er lustig wird.“
Aphrodisiakum
War der Wein auch ein Aphrodisiakum? Einschlägige Ratschläge und Tipps wird man von den biblischen Autoren nicht erwarten dürfen. Jedoch ist die Warnung Salomos in seinen Sprüchen, 23 Vers 33, ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Wein natürlich auch die Sicht auf das andere Geschlecht veränderte und Begehren weckte: „So werden deine Augen nach anderen Weibern sehen und dein Herz wird verkehrte Dinge reden.“
Esther 5 Vers 6 liefert ein Beispiel dafür. Ganz bewusst wird die Funktion der gesteigerten Weinlust durch Königin Esther eingesetzt, die ihren König Ahasverus über die Bedrohung ihres Volkes durch den geplanten Anschlag Hamans informieren möchte. Sie lädt Ahasverus zu einem Gastmahl ein, bei dem reichlich Wein floss. Ahasverus reagierte wie gewünscht: „sprach der König zu Ester, da er Wein getrunken hatte: Was bittest du Ester? Es soll dir gegeben werden. Und was forderst du? Auch die Hälfte des Königreichs, es soll dir geschehen.“
Opferkultus
All die Mahnungen und Warnungen, so ernst und wichtig sie auch sind, dürfen gleichwohl als Zeichen für die übergroße Wertschätzung des Weins im alten Israel dienen, dem Brot und Öl gleichwertig waren. Nicht umsonst heißt deshalb auch das jüdische Gastmahl „mischte“, was soviel bedeutet wie „Trinkgelage“. Nicht zuletzt drückt sich die Wertschätzung des Weins auch darin aus, dass der Wein sehr stark zum Opferkultus herangezogen wurde.
Der frisch gepresste Traubensaft wurde schon unvergoren als Most (hebr. Tirosch) getrunken und als Erstlingsopfer (hebr. Bikkurim) in das Heiligtum, den Tempel, gebracht, wie es 4. Mose 18, Vers 12, beschreibt: „Alles beste Öl und alles Beste vom Most, nämlich ihre Erstlinge, die sie dem Herrn geben, habe ich dir gegeben.“
egründet wird das Erstlingsopfer in 5. Mose 14, Verse 22 und 23: „Du sollst alle Jahre den Zehnten absondern alles Ertrages deiner Saat, der aus deinem Acker kommt, und sollst davon essen vor dem Herrn deinem Gott, an dem Ort, der er erwählt, dass sein Name daselbst wohne, nämlich von Zehnten deines Getreides, deines Mosts, deines Öls und von der Erstgeburt deiner Rinder und Schafe, auf dass du lernest fürchten den Herrn, deinen Gott, dein Leben lang.“
Auch zum rabbinischen Ritus, wie er nach der Zerstörung des Tempels gepflegt wurde, gehörte und gehört noch heute der Wein dazu. So wird noch heute bei der Begrüßung (hebr. Kiddusch) und zum Ausgang (hebr. Hawdala) des Schabbats ein Weinsegen gesprochen, sowohl bei der häuslichen als auch zur Feier in der Synagoge.
Kulturideal
In neun (4, 23, 75, 78, 80, 104, 105, 107, 128) der 150 Psalmen werden Wein oder Weinreben genannt, darunter der 104. Psalm, der als besonderer Höhepunkt der jüdischen Naturpoesie gilt. Die Psalmdichtungen, von Königen, Priestern, Schriftgelehrten, aber auch von Armen aus dem Volk verfasst, sind „manchmal künstlerisch nicht ganz einwandfrei in Gedankenführung und Dichtform, oft aber auch den höchsten Anforderungen der Kunst genügend, immer jedoch in originellen Ausdrücken und Bildern, anschaulich und einfach, ergriffen und ergreifend“, wie das Jüdische Lexikon dazu ausführt: „Äußerungen einer ihrer Kulturideale sicheren Gemeinschaft“.
Heutiger Weinbau
Nach der Zerstörung des Tempels und einem Ansiedlungsverbot für Juden in römischen Provinz „Judäa“ wurden die Wein-Terrains an Interessenten verkauft, altgediente Legionäre wurden mit Landgeschenken bedacht – so mag noch eine Weile die frühere Weinherrlichkeit bestanden haben. Damit vorbei allerdings war es, als am Platz des früheren Tempels Kalif Ab del Malik im Jahre 650 den Felsendom erbauen ließ. Die weinfeindlichen Moslems sorgten für eine jahrhundertelange Unterbrechung des Weinbaus in Israel; nur den Anbau von Speisetrauben ließen sie offiziell zu.
Der Neubeginn des Weinbaus in Israel datiert ab Ende des 19. Jahrhunderts, als Baron Edmond de Rothschild 1886 bei Richon le Zion Rebstöcke anpflanzen und südöstlich von Tel Aviv eine Kellerei errichten ließ.
Zur Zeit werden 5000 ha bestockte Rebfläche für Israel angegeben, auf denen 60000 Hektoliter Wein erzeugt werden sollen. Die israelisch-schweizerische Gesellschaft gibt eine Zahl von 50 bis 60 Millionen Flaschen als aktuelle Jahresproduktion an. Diese Zahlenangabe dürfte überhöht sein. Trotzdem wäre damit Israel immer noch eines der kleinsten Weinerzeugungsländer.
Der durchschnittliche Weinverbrauch pro Kopf und Jahr wird in dieser Quelle für Israel mit unter fünf Litern angegeben, und ist damit weit entfernt von 60 Litern in Frankreich, auch von ca. 24 Litern in Deutschland.
Aber Israel macht von sich reden als Standort für Qualitätsweine besonderer Art. Besonders koschere Weine aus Israel weisen höchste Qualitätsstandards auf, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und räumen Jahr für Jahr Preise und Auszeichnungen ab - etwa bei der Weinmesse in Bordeaux, der International Wine and Spirit Competition in London, der Vinitaly oder Les Citadelles du Vin etc..[1]
Die israelisch-schweizerische Gesellschaft formuliert einen hoffnungsvollen Ausblick auf Zeiten, in denen der Wein annähernd der biblischen Zeit geschätzt werden wird: „Gemessen an europäischen Maßstäben steckt das Weinland Israel noch mitten in den Lehrjahren. Doch die Unternehmungslust der Israeli fördert spannende Resultate. Die ersten Merlots aus der Negev-Wüste sind gekeltert. Durch die hohen Temperaturen reifen die Trauben schneller als in Europa, was je nach Rebe zu ganz anderen Resultaten führt. Die Winzer experimentieren mit Reben und Cuvées - der Mischung verschiedener Traubensorten – auf der Suche nach noch besserer Qualität. Und auf der Suche nach der israelischen Identität der Weine.“ Denn leider gibt es keine autochthonen Rebsorten im Weinbau Israels, die Sorten stammen aus Frankreich und den Vereinigten Staaten.
Ausblick
Die Probleme in Israel sind die gleichen wie in anderen Ländern auch. Trotz aller Erfolge von Winzer, Züchtern und Vermarktern hält der Eindruck dennoch stand, dass die Weinkultur trotz raschen Anwachsens der Weltbevölkerung weltweit auf dem Rückzug befindet. Immer mehr Menschen können sich die „Gottesgabe“ Wein nicht mehr leisten. Für allzu viele ist die Frage nach sauberem Trinkwasser absolut vorrangig. Hintergrund ist die krass asymmetrische Wohlstandverteilung auf dem Planeten.
Billigproduktionen bieten ebenfalls keinen Ausweg aus dem Dilemma. Sie sind gebunden an große Produktionskomplexe mit totalem Maschineneinsatz und Verwendung von Herbiziden, Pestiziden und Kunstdünger. Es ist bezeichnend, dass sich ein US-amerikanischer Erzeuger – „Gallo“ auf seiner Homepage - ausdrücklich als Betrieb der „Weinindustrie“ versteht. Dazu kommt eine Verarmung des Rebsorten-Sortiments, da nur noch wenige international angesehene Rebsorten angebaut werden. So gelangt z. B. der bekannte Chianti mit 35 bis 40 % Anteil an Cabernet-Sauvignon in den Handel. Mit Ausnahme des französischen Weinrechts fördern die meisten nationalen Weinvorschriften den gewinnorientierten Handel, statt auf die traditionelle gebietstypische Rebsortenauswahl und Eigenheiten der Weinbereitung Rücksicht zu nehmen.
Die Hunderte von Millionen-Hektar mit denen heute noch Terrains bestockt sind werden auf Dauer nicht benötigt werden, wenn nur noch einige Wenige sich über Duft und Geschmack austauschen können. Die Weinkultur – wie sie sich seit biblischen Zeiten entwickelt hat - wird dann leider verschwinden, denn über die Unzahl der Billigprodukte, die in den Regalen der Supermärkte und Discounter heute angeboten werden, wird kein Gespräch über die Eigenart oder Besonderheit eines Weins geführt werden können.
Eine Weinkultur kann sich nur entwickeln bzw. behaupten, wenn, wie es in 1. Könige, 5, Vers 5, heißt, dass „Israel und Juda sicher wohnten, ein jeglicher unter seinem Weinstock“, also alle Anteil daran nehmen. Auch wenn die Textstelle zuweilen von Theologen für eschatologische Auslegungen genutzt wird, im Buch der Könige – hier zur Regierungszeit Salomons – ist von einer realen Zustandsbeschreibung die Rede. Die Textstelle kann auch als Beleg dafür genommen werden, dass anders als in der römischen Kultur, die nur von einem gebildeten Bürger erwartete, dass er sich beim Wein auskenne, im biblischen Israel Weinkenntnis bei jedermann ausgebildet war.