Das gemeinsame Erbe. Miteinander zum Zeugnis berufen

Als bessere Juden und als bessere Christen der Herrschaft Gottes entgegen gehen.

Hedwig Wahle

Das gemeinsame Erbe

Miteinander zum Zeugnis berufen

Als bessere Juden und als bessere Christen der Herrschaft Gottes entgegen gehen

Besonders in Deutschland und England haben wahre Dialoge zwischen Christen, Juden und Muslimen begonnen. Heute weitet sich der Dialog immer mehr aus und schließt den Dialog mit den orthodoxen Kirchen und mit den Christen in Afrika mit ein. Das wurde nur möglich, weil der Dialog zwischen Christen und Juden ein gewisses Niveau gegenseitigen Verständnisses erreicht hat, der jetzt den Platz auch für andere Partner lässt.

Spannungen und Niederlagen

Trotzdem wurde bei bestimmten Gelegenheiten der Dialog durch Ereignisse getrübt, die jüdische Sensibilitäten verletzt haben, wie etwa die Heiligsprechung von Edith Stein. Von jüdischer Seite hatte man den Eindruck, als präsentierte der Papst Sr. Teresa Benedicta als katholische Märtyrerin und dass ihre Heiligsprechung ein Versuch wäre, die Schoa zu universalisieren und die Verantwortung der Kirche zu verdunkeln. Die päpstliche Audienz für Kurt Waldheim im Jahr 1986, dem Jahr der Seligsprechung von Edith Stein, nach dessen Wahl zum Präsidenten Österreichs, wurde von jüdischer Seite ebenfalls als Affront empfunden. Man meinte, der Papst hätte Position gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit Kurt Waldheims und dem Wiedererwachen des Antisemitismus seit seiner Wahlkampagne beziehen sollen. Das dritte Ereignis, das den Dialog in Gefahr brachte, war die Errichtung eines Konvents der Karmelitinnen in Auschwitz. Obwohl der Dialog vorübergehend ausgesetzt war, haben die Bemühungen diese Niederlage zu überwinden letztlich Früchte getragen und zur Errichtung eines Zentrums für Information, Begegnung, Gespräch, Bildung und Gebet in Auschwitz geführt.

Doch das alles zeigt, dass noch viel zu tun bleibt. Der Dialog war erschüttert worden, doch man muss ihn fortsetzen und dem jeweils anderen erlauben, sich in eigenen Begriffen selbst zu definieren, um so Liebe und Respekt füreinander zu vermehren, um dadurch dennoch zu entdecken, was wir gemeinsam haben und was uns eint, nämlich dass der Bund Gottes mit Israel niemals widerrufen worden ist. Man muss noch in Betracht ziehen, dass dieser Dialog unterschiedlich abläuft je nach Land und den Partnern aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Erfahrungen und ihrer theologischen Ziele. Eine neue Beziehung schließt heute die Reue und die Anerkennung christlicher Verantwortung an der Schuld der Vergangenheit gegenüber den Juden ein.

Das wahre kennen Lernen geschieht vor allem durch tief berührende persönliche Begegnungen, durch Freundschaften zwischen Juden und Christen. Wir sind gemeinsam unterwegs der Herrschaft Gottes entgegen und wir haben eine gemeinsame Aufgabe für den Frieden zu kämpfen, für Gerechtigkeit und Menschenrechte und die Bewahrung der Schöpfung. In einer immer mehr säkularisierten Welt müssen Juden und Christen gemeinsam Zeugnis für die religiösen Werte ablegen und dabei mit einem echten gegenseitigen Respekt beginnen.

Der Grundlagenvertrag zwischen Israel und dem Vatikan mit einem Austausch von Botschaftern hat gut die Bedeutung des Landes Israel und Jerusalems für Juden und Christen gezeigt. Diese Übereinkunft kann der Beginn gegenseitiger Zusammenarbeit im Kampf gegen jede Form religiöser Intoleranz in der Region sein.

Gegenseitigkeit des Dialogs

Für die Christen ist der Dialog mit dem Judentum aus theologischen Gründen notwendig, aufgrund des gemeinsamen Erbes; im Gegensatz dazu ist es für Juden eine Bedingung, um in einer Gesellschaft ohne Vorurteile leben zu können. Auch die Ursachen, diese zu entfernen sind für Juden und Christen unterschiedlich. Die Wurzeln des Antijudaismus sind in der Theologie zu suchen; die Zurückhaltung am Dialog seitens der Juden gründet im Gegensatz dazu in der Geschichte, in der Tatsache, dass es durch Jahrhunderte erzwungene Übertritte gab, Anklagen und Verfolgungen gegenüber Juden vonseiten der Christen, sozusagen aus religiösen Motiven.

Aus diesem Grund war in der Vergangenheit der Dialog vor allem einseitig; man kämpfte gegen Vorurteile und das Unwissen der Christen über die Juden, aber es gab wenig Bemühen in die andere Richtung, d.h. die Unkenntnis der Juden gegenüber den Christen und dem Christentum zu bekämpfen. Rabbiner Jack Bemporad, Direktor des Zentrums für den Dialog zwischen Christen und Juden an der Sacred Heart University von Fairfield, Connecticut, sieht genau dies als seine Mission. Das Zentrum besteht seit mehreren Jahren mit dem Ziel, dass Juden und Christen sich dem Studium theologischer Themen hingeben. Man behandelt Fragen wie: Was sind die Glaubenssätze, die wir gemeinsam haben? Wo sind die Unterschiede in unseren Glaubenswahrheiten? Was kann der eine vom anderen lernen? Man arbeitet gemeinsam, um das Kommen des Reiches Gottes zu beschleunigen.

Der Blick auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen Juden und Christen seit 1945 und besonders seit Nostra Aetate zeigt uns den ganzen Fortschritt, der auf diesem Gebiet erreicht wurde, aber auch die Arbeit, die noch geleistet werden muss. Jeder und jede, Christin und Christ, Jüdin und Jude ist aufgerufen, kleine Schritte je nach den eigenen Möglichkeiten zu setzen; denn der Fortschritt geschieht nicht durch spektakuläre Veranstaltungen, sondern durch tägliche Fortschritte der Annäherung.

Der Welt zum Heil

Juden und Christen haben also viel gemeinsam. Trotzdem, in seinem Bemühen sich unabhängig vom Judentum zu entwickeln, hat das Christentum – der jüngere Bruder – sich oft auf eine sehr radikale Weise von seinem älteren Bruder entfernt. Diese anti-jüdische Abwendung aus religiösen Gründen hatte – aufgrund von unterschiedlichen sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren – Hass und Verfolgung gegen Juden zur Folge. Auf dieser Grundlage konnte sich ein radikaler Antisemitismus entwickeln der bis zum Versuch ging, das Judentum gänzlich auszulöschen.

Der übergroße Ausbruch des Hasses hat genau eine Kehrtwendung in der Haltung des Christentums zum Judentum gebracht. Nach 1945 waren die Beziehungen durch die Schoa gezeichnet, ein Eingriff ins Bewusstsein der Christen über ihre Schuld gegenüber den Juden. Mit der Errichtung des Staates Israel und vor allem mit der Einigung Jerusalems 1967 stand man in der Bewunderung und Begeisterung der Israelis. Aber seit der Intifada hat sich bisweilen berechtigte Kritik an der Armee und Politik Israels erhoben. Heute beginnen sich die Beziehungen zu normalisieren, aber es muss noch ein langer Weg beschritten werden.

Die Erklärung Nostra Aetate des II. Vatikanischen Konzils hat sicherlich eine Kehrtwendung auf theologischem Gebiet in den Beziehungen zwischen Kirche und Israel gebracht. Auf der Grundlage der Anerkennung einer heilsgeschichtlichen Rolle des Judentums müssen die Christen auch heute noch einen wahren Dialog begründen, der auf gegenseitiger Wertschätzung beruht und jede Art von missionarischen Aktivitäten ausschließt und – auf Seiten jedes Gesprächspartners – sich bemüht, den anderen zu verstehen und zu respektieren, so wie er sich selbst versteht um von ihm zu lernen. Das Ziel dieses Dialogs ist aus Juden bessere Juden zu machen und aus Christen bessere Christen, denn beide sind dazu aufgerufen darüber nachzudenken, was das wertvollste in ihrer Tradition ist und alle werden sich befragen lassen müssen, wie sie dies leben. Dieser Dialog lässt gemeinsame Schwierigkeiten entdecken und führt zu Themen, die Juden und Christen gemeinsam versuchen können zu verwirklichen. In beiden Traditionen findet sich dasselbe Bewusstsein über den Wert der menschlichen Person und der ganzen Schöpfung. Von dort leiten sich die Menschenrechte her und der Schutz und die Pflege der Schöpfung Gottes, die zu vielen gemeinsamen Aktivitäten führen kann. Christen und Juden müssen im Betreiben des Schalom zusammen arbeiten, diesem universellen Frieden der gegenseitigen Anerkennung aller Menschen als Brüder.

Das gemeinsame Studium der Bibel, der jüdischen und der christlichen Traditionen, ist äußerst wichtig, damit es gelingt, einander besser zu verstehen und zu bereichern. Auf dem Gebiet des Glaubens könnte man an gemeinsame Gebete denken, dort wo die Umstände es erlauben, dort wo Juden und Christen genügend offen füreinander sind.

Der Apostel Paulus hat das Endziel der Geschichte und auch der Heilsgeschichte mit folgenden Worten beschrieben: „Gott alles in allem“ (1 Kor 15,28). Diese Formulierung, die Juden wie Christen annehmen können, will sagen, dass am Ende der Zeiten „das Land erfüllt ist von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser erfüllt ist.“ (Jes 11,9) Jener Gott wird offenbar werden, der die Toten erweckt und der seine Herrschaft aufrichtet: Das ist die gemeinsame Berufung von Christen und Juden, dies öffentlich auf der ganzen Welt zu bezeugen.

 

Editorische Anmerkungen

Aus.: Hedwig Wahle, Juifs et Chrétiens en Dialogue, Vivre d’ un Héritage Commun, Préface du Rabin Albert Guigui, Edtion Lumen Vitae, Brüssel 1997.
Übersetzung: Markus Himmelbauer

Koordinierungsausschuss für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit