Das Buch Jona
Daniel Krochmalnik
Das Buch ist kurz und kommt gleich zur Sache. Jona hört den Befehl: „Steh auf, geh nach Ninive!“ um die Heiden zurechtzuweisen (1,2).Jona stand zwar auf, er ging aber zum Hafen hinab (WaJered) und schiffte sich in die Gegenrichtung ein. Und das ist nur der Beginn seines Abstiegs, der ihn vom Schiffsbauch in den Fischbauch führt, bis er ganz unten ankommt. Warum tat Jona das? Was hatte er sich dabei gedacht? Solche Fragen lässt die Bibel wie immer offen. Sie erzählt meistens nur was die Leute tun, nicht was sie denken. Somit wird das Wesentliche der Phantasie der Leser überlassen. Was könnte Jona zur Flucht bewegt haben? Vielleicht hat er sich gedacht: „Was geht mich Ninive an. Ich mische mich nicht in fremde Angelegenheiten ein, das ist nicht meine Sache!“ So zu denken hätte er gute Gründe gehabt. Was sollte er sich als Provinzprophet in den Fußgängerzonen der Großstadt lächerlich machen? Und hatte sein Volk nicht unendlich unter dieser Stadt gelitten? „Soll sie doch untergehen “ – hat er sich vielleicht gewünscht. Wenn nun Gott diesen Unmenschen verzeiht? Wäre das gegen deren Opfer nicht unfair. Und wie stünde sein verstocktes Volk da, wenn sich diese Heiden nun gar bekehrten. Eben solche Gedanken unterstellen ihm die jüdischen Weisen: „Ich will ins Ausland denn die Völker sind der Buße nahe, damit ich Israel nicht schuldig mache “ (Mechilta, Bo zu Ex 12,1). Und genau so ist es ja auch gekommen, die Christen beriefen sich auf die Umkehr der Heiden im Buch Jona um die hartnäckigen „Stockjuden“ bloßzustellen (Mat 12,41). Das wollte Jona seinem Volk womöglich ersparen. Vielleicht fühlte er zuerst als Israelit und dann erst als Mensch.
Aber wie ehrenhaft die Motive Jonas immer gewesen sein mögen, für einen „Lotsen des lebendigen Gottes“ wie ihn Vater Mapples bei seiner Predigt vor den Walfängern der Pequod im Roman Moby Dyck von Hermann Melville nennt, schicken sich solche Ausreden nicht. Vater Mapples malt den vor Gott fliehenden Jona so aus: „Den Hut in der Stirn und mit schuldbewussten Auge schleicht er davon (…). Hätte es damals eine Hafenpolizei gegeben, er wäre auf den bloßen Verdacht irgendeiner Untat hin festgenommen worden, bevor er den Fuß auf das Deck eines Schiffes gesetzt hätte.“ Heiden nahmen den Mann gegen Bares an Bord und stachen in See. Dem Weltlenker konnte der „Lotse Gottes“ jedoch nicht entkommen. Sein Schiff geriet in Seenot und drohte genauso wie jene Großstadt, die auf Gottes Wort wartete, unterzugehen. Was tat Jona? Jetzt zeigte sich, wie tief er schon gesunken war – nach dem Wort des Dichters: von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität. Jona stieg in den Schiffsbauch hinunter (WaJered), legte sich seelenruhig hin und versank in Tiefschlaf (WaJeradam). Obwohl er mit den Heiden buchstäblich im gleichen Boot saß und ihr Untergang auch sein Untergang gewesen wäre, ist ihm alles egal. Als die Mannschaft ihn weckte und befragte, nahm er alle Schuld auf sich und wählte den allerletzten Fluchtweg – den Selbstmord. „Jona ging nur, sagen die jüdischen Weisen, um sich im Meer selbst zu vernichten“ (Mechilta, Bo zu Ex 12,1).
Die Bibel stellt dem verstockten Israeliten die edlen Heiden gegenüber. Sie warfen ihn nicht einfach über Bord, sondern versuchten, ihn ans Land zu rudern. Die jüdischen Weisen unterstreichen den Kontrast noch. Sie erzählen, dass die Matrosen Jona erst bis zu den Knien ins Wasser tauchten. Da beruhigte sich das Meer, und sie zogen ihn wieder heraus. Doch da brach der Sturm noch heftiger los. Sie tauchten Jona bis zum Hals ins Wasser, prompt legt sich der Sturm wieder und sie versuchten, ihn noch einmal zu retten. Doch als die Flut, wie man so sagt, das Boot mit Mann und Maus zu verschlucken drohte, ließen sie Jona los (Pirke de Rabbi Elieser, 10; Tanchuma, Leviticus 8). Man kann nicht sagen, dass diese Heiden nicht alles menschenmögliche getan hätten, um den Israeliten vor dem Untergang zu retten. Die Bibel ist keine Nationalliteratur! Nun kommt der große Auftritt des Fischs. Vater Mapples schildert von seiner Kanzel, die selbst das Aussehen eines Mastkorbes hatte, in lebhaften Seemannsfarben, „wie Jona emporgehoben wird wie ein Anker und hinuntergeworfen ins Meer (…) das Unwetter mit sich hinabzieht“, wie „Gott im Leviathan über ihn kam und ihn einschlürfte in lebendige Abgründe der Verdammnis und ihn mit schwindelndem jähen Ruck in die Tiefe mitten ins Meer riss.“ Jetzt erst, so erzählt die Bibel weiter, als Jona ganz unten angekommen war, richtete er sich zu Gott in der Höhe und betete Psalmen, die zu seiner Lage passten. Den 120.Psalm: „Ich rief zu dem Herren in meiner Angst, und er antwortete mir; ich schrie aus dem Bauch der Hölle und du hörtest meine Stimme“; den 42. Psalm: „Du warfest mich in die Tiefe mitten im Meer, dass die Fluten mich umgaben; alle deine Wogen und Wellen gingen über mich“. Gott hörte und erhörte diese Gebete aus den engsten Verließen des Walfisches. Das Tier spie ihn aus und, „seine Ohren noch voll vom unendlichen Rauschen des Ozeans“ (Moby Dyck) vernahm er wieder den Befehl: „Nach Ninive!“
Jona kam in dieser riesigen Weltstadt an. Der sittenstrenge Provinzprophet sah sich in der verdorbenen Großstadt wohl um und predigte dann öffentlich den drohenden Untergang. Kaum zu glauben – aber die ganze Stadt tat Buße. Vom König bis zum letzten Rindvieh hielten alle einen Fasttag, und Gott vergab ihnen. Jona allerdings nahm ihnen die Reue nicht ab und dachte wohl, dass Gott so viel Schuld gar nicht vergeben könne. Deshalb suchte er sich einen bequemen Platz außerhalb der Stadt und wartete auf die großartige Apokalypse. Zu seiner Freude wuchs auch noch ein schattenspendender Strauch. Unter seinem Sonnenschirm konnte er in sicherem Abstand die Freude der Guten am Untergang des Reichs des Bösen genießen. Außer dass der Strauch verdorrte, passierte aber gar nichts. Jona war schwer enttäuscht und dachte sofort wieder an Selbstmord. An diesem Beispiel belehrt ihn Gott: sowenig er es erträgt, dass sein Strauch verdorrt, sowenig kann es Gott vertragen, wenn seine Geschöpfe grundlos vernichtet werden.
Der Schöpfer will sich dem Wunsch des Fanatikers nicht fügen und eine ganze Stadt mit Menschen und Tieren in Schutt und Asche legen. Die Bibel ist hier, wie so oft, weniger ein religiöses, als ein religionskritisches Buch. Sie ruft in der Geschichte vom Schiff und Fisch zum religiösen Einsatz, sie verweigert sich in der Geschichte des Strauches und der Stadt aber den selbstgerechten Weltuntergangsphantasien. Dieses Buch enthält für eine Zeit, in der alle möglichen Parteien Gottes niemals davor zurückschrecken, Städte in Schutt und Asche zu legen, eine überlebenswichtige Botschaft. In der christlichen Tradition heißt Jona: Jonas und in der islamischen: Yunus.