" . . . damit sie Jesus Christus erkennen"?

Zur Rationalität der erneuerten, lateinischen Karfreitagsliturgie

„ . . . damit sie Jesus Christus erkennen“

Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden

Im Wortlaut: Der umstrittene Text

Neufassung der Fürbitte für den „älteren Usus“ durch Benedikt XVI. vom 6. Februar 2008

Für die Juden


Lasst uns beten auch für die Juden, dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Heiland aller Menschen erkennen.


Lasset uns beten. Beuget die Knie. Erhebet euch.


Allmächtiger ewiger Gott, der Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass, indem die Heidenvölker in Deine Kirche eintreten, ganz Israel gerettet werde. Durch Christus unseren Herrn.


Amen

(Wortlaut in: Radio Vatican Newsletter 5. 2. 2008;

Übersetzung: Josef Wohlmuth)


Zur Rationalität der erneuerten, lateinischen Karfreitagsliturgie

Micha Brumlik

Mit dem Beitrag von Kardinal Kasper in der FAZ vom 20. März 2008, er ist in ganzer Länge im Beitrag von E. Füllerbach dokumentiert, hat sich die katholische Kirche in der Frage der erneuerten lateinischen Karfreitagsliturgie ehrlich gemacht. Jetzt ist offi ziell bestätigt, was zuvor hinter einem Wust halbherziger Dementis, relativierender Kommentare und nebulöser Hinweise verborgen war: jetzt ist amtlich, dass die von Benedikt XVI. verfügte Liturgie tatsächlich die Juden zur Menschengruppe mit verfinstertem Herzen erklärt.


Der Kardinal hat es zudem gewagt, die nicht einmal besonders harschen Reaktionen von Rabbinern, hohen jüdischen Laien und Intellektuellen gönnerhaft als „weithin nicht rational, sondern emotional begründet“ zu bezeichnen und gleichwohl angefügt, dass dabei nicht Überempfindlichkeiten, sondern eine berechtigte Reaktion angesichts der Geschichte des christlichen Antijudaismus bis hin zum Holocaust am Werk sei.


Wer anderen einen Mangel an Rationalität vorhält, verpflichtet sich seinerseits, rational zu handeln und das heißt zunächst, für das eigene Handeln (in diesem Fall des Handeln der katholischen Kirche) nachvollziehbare und in der Sache überzeugende Gründe anzugeben.


Welches waren also – nach den gewiß bevollmächtigten Aussagen des Kardinals – die Gründe für Benedikt XVI., folgenden Text zu autorisieren: „Laßt uns auch beten für die Juden. Daß unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland der Menschen.“


Kasper nennt folgende Argumente:


1. Sei diese Bitte im Ganzen des Neuen Testaments begründet und spreche nur aus, „was schon bisher als selbstverständlich vorausgesetzt, aber offensichtlich nicht hinreichend thematisiert wurde.“


2. Sei Die Bitte selbst kein Aufruf zur (aktiven) Judenmission, was aber noch keine Klärung in der theologischen Sache darstelle. Theologisch aber gelte mit dem Apostel Paulus:


3. „Gott hat aber den Großteil seines Volkes mit Ausnahme eines heiligen Rests wegen dessen Unglauben verstockt. Die Verstockung der Juden gereicht den Heiden zum Heil … Wenn die Fülle der Heiden in das Heil eingeht, wird ganz Israel gerettet werden.“


4. Das Eintreten aller Völker in die Kirche werde schlussendlich den Juden zum Heil gereichen und „für die Welt den eschatologischen Frieden“ heraufführen.


5. Israel bleibe also deswegen – nach Paulus – Träger der Verheißung des Heils und des Segens, weil die Kirche durch Gottes Wille die Heiden zum christlichen Glauben bekehrt.


Diesen Argumenten lässt sich folgendes entgegnen:

Ad 1. Tatsächlich wurde durch das Zweite Vaticanum sowie die von Paul VI. neu formulierte, Juden nicht mehr als defizitär bezeichnende Karfreitagsbitte im normalen Ritus sowie vor allem durch die Aktivitäten vor Johannes Paul II. der begründete Anschein erweckt, als sei die Kirche auch von sublimierten Formen des Antijudaismus abgerückt. Dieses so wahrgenommen und verstanden zu haben, lag durchaus nahe, weshalb eine deutliche Reaktion auf eine enttäuschte, durch das Handeln von Kirche und Päpsten über Jahrzehnte anders gehandhabte Praxis keineswegs „irrational“ ist. Irrational wäre es vielmehr gewesen, hätten Juden die Änderung umstandslos und achselzuckend akzeptiert: „So sind sie eben!“ Schließlich kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass ohne die wesentlichen Änderungen seit dem Zweiten Vaticanum der Dialog niemals so weit gediehen wäre, wie geschehen und z. B. in der Erklärung „Dabru Emet“ dokumentiert. Kaspers Bewertung jüdischer Reaktionen ist daher selbst irrational, weil sie den sachlichen Kern einer getäuschten Erwartung nicht wahr- und schon gar nicht ernst nimmt. Zudem dementiert die kürzlich erfolgte Erklärung des Vatikans, die erneuerte Fürbitte sei nicht gegen die Juden gerichtet und stelle keinen Rückfall hinter „Nostra aetate“ dar, eben diesen Vorwurf des Irrationalismus – um den Preis, dass die Haltung des Vatikans nunmehr regelrecht schizophren wirkt.


Ad 2. Hier ist dem Kardinal zunächst zuzustimmen – jedenfalls dann, wenn man sich unter „Mission“ das Verteilen von Wohltaten, das unfaire und aggressive Zugehen auf religiös ungebildete jüdische Immigranten etwa aus den GUS Staaten sowie das Drucken und Verteilen von Traktätchen vorstellt. Tatsächlich missioniert die katholische Kirche nicht in dieser Weise, will jedoch mit der erneuerten lateinischen Karfreitagsliturgie missionieren lassen: nämlich Gott selbst. Entgegen dem Vertrauen auf Gottes Allmacht am Ende der Tage, an dem er sich den Menschen so zeigen wird, wie er es will, bittet ihn die katholische Kirche schon heute darum, zum wenn geistig-geistlichen Judenmissionar zu werden. Das ist jedoch – wenn auch mit etwas taktvolleren Mitteln – nichts anderes als ein Aufruf zur Mission.


Ad 3. Tatsächlich ist im neutestamentlichen Text – anders als Kasper das unterstellt – nichts davon zu lesen, dass Gott einen „Großteil seines Volkes“ verstockt habe. („Gott hat aber den Großteil seines Volkes mit Ausnahme eines heiligen Rests wegen dessen Unglauben verstockt“ so Kasper. Vielmehr schreibt Paulus in Rö 11,25 von einem „Teil Israels“ – eine Größe, die er keineswegs beziffert oder gar prozentuiert hat. Im griechischen Text des NT lesen wir „apo merous“. Und dabei ist noch nicht einmal klar, ob für Paulus die Verstockung in der Weigerung der meisten damaligen Juden bestand, den nach seinem Glauben auferweckten Kyrios als Moschiach – denn nur darum geht es – anzuerkennen, oder ob es um etwas geht etwa mangelnde Treue zur Tora.


Ad 4. Gewiss schreibt Paulus in Röm 11,31, dass ein Teil der Juden Gottes Erbarmung der paganen Jesusanhänger wegen ungehorsam geworden sei, indes: Paulus war bekanntlich ein okkasionaler Autor und es ist durchaus denkbar, dass sich dieses Sendschreiben lediglich auf eine jesusgläubige Gemeinde in Rom und deren interne Streitigkeiten zwischen Juden und Jesusanhängern aus den Völkern bezieht, nicht aber auf die grundsätzliche Beziehung zwischen Juden und paganen Jesusgläubigen.


Mit Sicht auf die Juden insgesamt jedoch konstatiert Paulus (Röm 11,28) unmissverständlich: „Im Hinblick auf das Evangelium sind sie allerdings Feinde um euretwillen, im Hinblick auf die Erwählung aber sind sie Lieblinge um der Väter willen. Denn unbereubar sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes.“ Damit können nun allerdings nur alle Juden gemeint sein, da nur sie alle und ausnahmslos in der Folge der Väter stehen.


Dies ist theologisch entscheidend und die jetzt von katholischer Kirche, Papst und Kardinal vorgenommene Umdeutung, dass Gottes unbereubare Gnade von einer Kondition, nämlich von der Missionierung der Heiden abhängt, findet im Text schlicht keine Basis. Dort steht lediglich, dass zu dem Zeitpunkt, da die Vollzahl der Heiden über den Glauben an den Kyrios Jesus zum Gott Israels gekommen sein wird, Israel gerettet werden wird: einfach deshalb, weil dann, wenn alle zu Juden geworden sind, es auch keine Judenfeindschaft mehr geben wird.


Noch immer wird übrigens in diesem Zusammenhang fälschlich davon ausgegangen, dass Paulus zum Christentum oder gar zum Katholizismus missionieren wollte – tatsächlich wollte er lediglich ein universales Judentum mit einer eigenen, sehr speziellen Messiaslehre verbreiten. Was jedoch im Unterschied dazu das spezielle Verhältnis zwischen Gott und Israel betrifft, reicht es voll und ganz, so darf man den Apostel verstehen, Gott zu vertrauen – nichts anderes war der Sinn der Karfreitagsformulierung von Paul VI.


Aber sogar in dieser Frage bleibt Paulus, durch die hellenistische Popularphilosophie gewitzt, vorsichtig und skeptisch: In Röm 11, 33 folgende beschwört er nicht umsonst die Unerforschlichkeit von Gottes Wegen : „Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat ihm zuerst gegeben, dass er es ihm vergelten müsste…? Mit diesen Aussagen relativiert Paulus sein eigenes eschatologisches Hoffen: als dogmatischen, fest gefügten Besitz jedenfalls können seiner Meinung nach derartige Spekulationen nicht gelten. Im Anspruch, über fest gefügtes Wissen zum Eschaton zu verfügen, geht die katholische Kirche weit über Paulus hinaus und kann sich also nicht mit guten Gründen – rational – auf ihn berufen.


Ad 5. Aus alledem folgt, dass es, wie schon Kasper selbst bestätigt hat, für die Kirche als Institution keinen göttlichen Missionsauftrag hinsichtlich der Juden gibt. Nicht rational und schlicht unlogisch ist daher Kaspers Einlassung, dass die Verwirklichung dieser Hoffnung nicht in der Vollmacht der Kirche, sondern ganz in Gottes Händen liege, die Christen aber die Hände gleichwohl nicht in den Schoß legen sollen: „Selbstverständlich müssen Christen ihren „älteren Brüdern und Schwestern im Glauben Abrahams (Johannes Paul II.) dort, wo es angebracht ist, Zeugnis geben von ihrem Glauben und von dem Reichtum und der Schönheit ihres Glaubens an Jesus Christus“.


Eine rationale Argumentation erfordert wiederum eine begründete Antwort auf die Frage, warum Christen das nicht etwa nur tun sollen, sondern – so Kasper – „müssen“, das heißt einem wie auch immer begründeten Zwang folgen. Hier bricht ein weiterer Widerspruch auf: wenn es nach Paulus so ist, dass die Rettung der Juden ohnehin bei Gott und nur bei Gott liegt, ist es schlicht überflüssig, sinnlos und ein weiteres Mal nicht rational, den Juden von dem Zeugnis abzulegen, was sie entweder – weil verstockt – nicht fassen können oder – nach Maßgabe von Gottes Treue – auch gar nicht fassen müssen.


Für dies irrationale Verhalten der katholischen Kirche lässt sich immerhin eine psychologische Erklärung geben, derart, dass einem (hier der Kirche), des das Herz voll ist, der Mund übergeht, womit wir es bei dieser Karfreitagsliturgie – wüssten wir nichts von der grausamen Geschichte katholischer Judenfeindschaft und ihrer nachwirkend antisemitischen Kraft – mit einer Form harm- und belanglosen theologischen Geplappers zu tun hätten.


Am Ende stellt der Kardinal fest, dass er auch von jüdischen Freunden redlicherweise erwartet, dass sie von ihrem Glauben Zeugnis und damit von ihren Gründen, Jesus von Nazareth weder als Messias noch als Sohn Gottes (und damit als Gott) anzuerkennen, Zeugnis ablegen. Das kann der Kardinal gerne haben – ein Blick in die Tageszeitung reicht im Allgemeinen durchaus zu, um die Unerlöstheit der Welt zu dokumentieren. Über die inneren Widersprüchlichkeiten der Trinitätstheologie wissen die Kirchen selbst gut genug Bescheid.


Im Hinblick auf die katholische Kirche im Speziellen jedoch, die als Institution mit ihrem Glauben doch so identisch war und ist, dass die schlichte, apologetische Unterscheidung zwischen Bekenntnissen hier und Herrschaftsapparat dort noch überzeugen würde, reicht ein Blick in die mindestens strittige und auf keinen Fall glaubensfeste Haltung der Kirche in den Jahren zwischen dem Ende des Ersten und des Zweiten Weltkriegs durchaus zu. Man muss gar nicht erst eine aktive Beteiligung am Holocaust (die es in Kroatien und der Slowakei durchaus gab) unterstellen, um wahrzunehmen, dass sich die katholische Kirche einschließlich des Vatikans in der Zeit des Zeit des Zweiten Weltkriegs gegenüber den Juden genau so verhalten hat wie Petrus nach der Verhaftung Jesu: Dreimal krähte der Hahn!


Sogar in Kardinal Kaspers Beitrag zeichnet sich noch der kirchliche Triumphalismus mit samt seinen Enteignungstendenzen im Hinblick auf das Judentum ab, wenn er etwa behauptet, dass die neue Karfreitagsliturgie lediglich die im „Vater unser“ artikulierte Bitte „Dein Reich komme“ wiederhole. Das „Vater unser“ war das Gebet eines gläubigen jüdischen Mannes, Jesus aus Nazareth, der den Gott Israels mit Sicherheit nicht darum gebeten hat, seine jüdischen Mitschwestern und -brüder dazu zu bringen, ihn, Jesus von Nazareth, als Heiland anzuerkennen. Wohl aber wusste Jesus, warum er betete: „Und führe uns nicht in Versuchung“! Wozu? Mit Paulus könnte man sagen, mehr Wissen zu beanspruchen, als Menschen haben können: nämlich wie es im Eschaton sein wird. Spekulationen sind gleichwohl erlaubt, etwa so:


Es war Franz Rosenzweig, der auf den Spuren des Kirchenvaters Marcell von Ankyra die Spekulation gewagt hat, dass am Ende der Tage Jesus aufhören wird, der Christus und Israel, erwählt zu sein. Am 1. 11. 1913 schrieb er seinem Cousin Rudolf Ehernberg: „Das Volk Israel, erwählt von seinem Vater, blickt starr über Welt und Geschichte hinüber auf jenen letzten, fernsten Punkt, wo dieser sein Vater, dieser selbe, der Eine und Einzige – „Alles in Allem“!- sein wird. An diesem Punkt, wo Christus aufhört, der Herr zu sein, hört Israel auf, erwählt zu sein; an diesem Tage verliert Gott den Namen, mit dem ihn allein Israel anruft; Gott ist dann nicht mehr sein Gott.“


Und Marcell hat im vierten Jahrhundert spekuliert, dass im Eschaton der fleischgewordene Logos die Königsherrschaft dem Gott und Vater übergeben und damit seine Fleischlichkeit abstreifen wird. Kurz: Auch am Ende der Zeiten gibt es für Juden nichts zu erkennen, was sie nicht heute schon wüssten.

Editorische Anmerkungen

Dieser jüdische Beitrag ist dem Band entnommen: Walter Homolka, Erich Zenger, Hg., "... damit sie Jesus Christus erkennen"?
 - Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden. Verlag Herder, Freiburg 2008, 192 S.- 9,95 Euro. ISBN 978-3-451-29964-3.
Micha Brumlik, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universität. Langjähriger jüdischer Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. © 2008 Copyright bei Autoren und Verlag

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