Chanukka und Advent

Ansprache bei der Chanukka- und Adventsfeier der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Düsseldorf im Nelly-Sachs-Haus, Düsseldorf, 20.12.2011


Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde!

Lassen sie mich mit einer persönlichen Bemerkung beginnen: In diesem Jahr begeht unsere Düsseldorfer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammen-arbeit ihr 60jähriges Bestehen. Was wäre so ein Jubiläum ohne gemeinsames Feiern – das Jubiläum eines Vereins, einer Gesellschaft, die sich das Miteinander, den freundschaftlichen Dialog unserer beiden Religionen, eben die christlich-jüdische Zusammenarbeit auf die Fahnen geschrieben hat? Gerne denke ich an unsere Jubiläumsfeier im Leo-Baeck-Saal in der jüdischen Gemeinde zurück, aber ich freue mich sehr, dass wir nun dieses Jubiläumsjahr, das christliche Jahr 2011 nicht mit irgendeiner ernsten Vortragsveranstaltung abschließen, sondern dass wir jetzt hier ebenfalls gemeinsam feiern, dass diese schöne Tradition endlich wieder aufgegriffen wurde und wir hier im Nelly-Sachs-Haus gemeinsam Chanukka und Advent begehen. Mir bedeutet das sehr viel, nicht nur weil ich hier schon einmal vor einigen Jahren stehen durfte, um einige Gedanken vorzutragen, sondern weil es für mich bei dieser Feier um das geht, was uns trotz aller Unterschiede im Glauben miteinander verbindet, was die Christen unter uns an die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens erinnert.

Denn die Lesungen in der Adventszeit, die biblischen Kindheitsgeschichten Jesu, die wir an Weihnachten im Gottesdienst hören, machen diese jüdischen Bezüge des christlichen Glaubens besonders gut deutlich. Man denke nur daran, wie Jesus als Säugling von Maria und Josef in den Jerusalemer Tempel gebracht wird. Früher hat man am 1. Januar sogar das Fest der Beschneidung Jesu gefeiert, und bis heute erinnert eines unserer schönsten Weihnachtslieder von der blühenden Rose „aus einer Wurzel zart“ an die jüdischen Stammväter und -mütter Jesu – angefangen bei Isai (Jesse) über König David bis zur Jüdin Maria.

Natürlich gibt es da auch das Trennende. Wenn wir Christen an Weihnachten in unseren Gottesdiensten wieder diese wunderbare Vision des Propheten Jesaja hören: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“, und es dann weitergeht: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Friedensfürst, denn seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende“, dann denken wir Christen unweigerlich an die Geburt Jesu – und dieser Glaube an Jesus als den Sohn Gottes trennt Juden und Christen; das läßt sich nicht einfach ausblenden oder nivellieren. Und doch – die frühen Christen mussten schon bald die bittere Erfahrung machen, dass auch nach der Geburt Jesu die Welt weiterhin im Argen, gleichsam „in Geburtswehen“ liegt, wie es Paulus formuliert hat, daß Schmerz und Angst und Tod auch weiterhin bestehen. Die Adventszeit ist für Christen daher nicht nur einfach ein Warten auf das Kind im Stall von Bethlehem, sie bedeutet auch das Warten und Hoffen auf eine friedvollere und gerechtere Welt, dass endlich überall auf der Erde Friede herrsche, in Israel, wo auch immer.

In alten Kirchenliedern kommt diese Sehnsucht, dieses Warten und Hoffen noch deutlich zum Vorschein, beispielsweise in einem Lied von Friedrich Spee, der nicht weit von hier im nahen Kaiserswerth geboren wurde: „O Heiland, reiß die Himmel auf! ... Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus. ... O Sonn, geh auf, ohn deinen Schein / in Finsternis wir alle sein. … Wo bleibt der Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm tröst uns hier im Jammertal!“ Sicherlich sind das nicht mehr die Worte und Begriffe unserer heutigen Zeit; das Sprechen vom „Jammertal“ wirkt antiquiert. Aber es drückt – teils in einer nahezu aktuell anmutenden Drastik – dieses Warten, diese Sehnsucht nach einer friedvollen und gerechten Welt aus. Und dieses Warten ist verbindender, als wir vielleicht annehmen. Schließlich warten Juden und Christen auf die Vollendung der Welt, auf das Kommen des Messias. Daran möchte die Adventszeit ebenfalls erinnern. Denn auch wir Christen warten auf das Wiederkommen des Messias, auf den „Trost der ganzen Welt“.

Doch Warten bedeutet nicht einfach, die Hände in den Schoß zu legen, sondern dass wir etwas tun, dass wir die Erde nicht einfach sich selbst überlassen. Deswegen sind wir als Juden und Christen, um mit Franz Rosenzweig zu sprechen, auch „Arbeiter am gleichen Werk“. Denn haben Christen wie Juden nicht die gleiche Aufgabe, diese ersehnte heilige Zeit näherzubringen? Sind wir als Juden und Christen nicht in ganz ähnlicher Weise dazu aufgerufen, unser Licht in die Welt zu tragen, Licht zu schenken – wie der Chanukka-Leuchter, der Adventskranz und der Weihnachtsbaum in unseren Wohnungen? Und eben nicht nur dort, sondern auch hier, auf öffentlichen Plätzen, im Landtag, in der Öffentlichkeit! Unser Auftrag als Juden und Christen lautet, Licht für die Völker zu sein, Licht in diese leider bis heute so kalte und dunkle Welt zu bringen. Unsere beiden Feste machen das so wunderbar deutlich, wenn da nach und nach immer mehr Kerzen brennen, erst eine, dann zwei, dann drei usw. Immer mehr Licht in der Dunkelheit, damit Jesajas Vision Wirklichkeit werde: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“, damit „der Friede kein Ende“ hat. In diesem Sinne: Chag Sameach – und in einigen Tagen frohe Weihnachten!