Anmerkungen zur Revision der Einheitsübersetzung der Bibel aus der Perspektive des christlich-jüdischen Dialogs

Im vergangenen Jahrzehnt sind drei weit verbreitete kirchliche Gebrauchsübersetzungen der Bibel einer gründlichen Revision unterzogen worden:

2017 erschienen die Revisionen der katholischen 'Einheitsübersetzung' [EÜ 2017 = Revision der EÜ 1980] und der 'Lutherbibel' [Luther 2017]; bereits 2007 war eine Revision der sogenannten 'Zürcher Bibel' erschienen. In diesem kleinen Beitrag soll die Revision der EÜ 2017 exemplarisch dahingehend genauer untersucht werden, ob in ihr die beträchtlichen theologischen Fortschritte im christlich-jüdischen Dialog der letzten Jahrzehnte zum Ausdruck kommen.

In der Spuren jüdischer Schriftauslegung

Die EÜ 2017 gibt sich ausdrücklich als Prinzip vor, möglichst dem hebräischen Masoretischen Text zu folgen und keine vermuteten Verbesserungen eines vermeintlich schwierigen hebräischen Textes, sogenannte Konjekturen, vorzunehmen oder der antiken griechischen Übersetzung, der sogenannten Septuaginta zu folgen, die allzu oft bei für sie schwierigen Textvorlagen glättet. Für diese neue Treue zum hebräischen Text sind die Verse Jesaja 63,8-9 ein schönes Beispiel. Die EÜ 1980 übersetzte Jesaja 63,8c.9 noch so: "Er [sc. YHWH] wurde ihr Retter in jeder Not. Nicht ein Bote oder ein Engel, sondern sein Angesicht hat sie gerettet. In seiner Liebe und in seinem Mitleid hat er selbst sie erlöst. Er hat sie emporgehoben und sie getragen in all den Tagen der Vorzeit." Sie folgte dabei der Septuaginta. Die EÜ 2017 kehrt zum hebräischen Text zurück, der klar und verständlich ist: "So wurde er [sc. YHWH] ihnen zum Retter. In all ihrer Bedrängnis war auch er [sc. YHWH] bedrängt und der Engel seines Angesichts hat sie gerettet. [...]." Schien der hebräische Text der EÜ 1980 etwa aus dogmatischen Gründen zu problematisch zu sein, weil er davon spricht, dass YHWH mit seinem Volk in Not und Bedrängnis geraten sei? Die Revision von 2017 ist theologisch mutig genug, den hebräischen Text zu übersetzen und stellt sich damit in die rabbinische Auslegungstradition (vgl. etwa bTaanith 16a; bSota 31a). Diese versteht den Vers so, dass YHWH mit seinem Volk in Not und Bedrängnis ist und mit ihm leidet; Vers 9 spricht von der compassio Gottes (vgl. auch Jes 57,15).

Selbst versteckte christologische 'Ostereier'

An theologisch nicht unwichtigen Stellen jedoch wird das Kriterium, möglichst dem hebräischen Text zu folgen, in der EÜ 2017 verlassen. In Jesaja 7,14 zum Beispiel heißt es nach dem hebräischen Text: "Deshalb wird YHWH selbst euch ein Zeichen geben: Seht, die junge Frau [hebr.: 'almah] ist schwanger, und sie gebiert einen Sohn, und sie wird ihm den Namen Immanuel geben." Der Evangelist Matthäus zitiert diese Stelle in Matthäus 1,23 nach der Septuaginta, d. h.: In Mt 1,23 steht für hebräisch 'almah das griechische parthénos, was in der Regel eine Jungfrau bezeichnet. Wenn nun die EÜ 2017 'almah mit "Jungfrau" übersetzt, dann soll damit erreicht werden, dass Christen Jesaja 7,14 mit an Matthäus geschulten Ohren hören und eine jungfräuliche Empfängnis und Geburt Jesu bereits vom Propheten Jesaja angesagt hören. Das aber ist nicht Jesaja 7,14, sondern eine christliche Paraphrase. Entlarvend ist, dass die EÜ 2017 zu Jesaja 7,14 eine Anmerkung hinzufügt, die besagt, dass hebr. 'almah "wörtlich 'junge Frau‘" bedeute. Aber es gehört sich doch umgekehrt: Die in der Anmerkung gegebene eigentliche Bedeutung gehört in die Übersetzung von Jesaja 7,14 und die im Haupttext gegebene Übersetzung mit "Jungfrau" in eine Anmerkung (mit Verweis auf Mt 1,23). Was die EÜ 2017 hier macht, könnte man humorvoll so beschreiben: Sie 'versteckt' in Jesaja 7,14 ein christologisches 'Osterei', über dessen 'Fund' sie sich dann in Matthäus 1,22-23 'freuen' möchte. Im Ernst: Die EÜ 2017 steht in der hermeneutisch problematischen Tendenz, den ersten Teil der zwei-einen christlichen Bibel, das Alte Testament, nicht mehr als jüdischen Text wahrzunehmen.

Typologische Schattenspiele

Wie deutet die EÜ 2017 die im christlichen Glauben tief eingeprägte theologische Sinnfigur "Verheißung – Erfüllung"? Als ein Beispiel nenne ich eine im Matthäusevangelium hermeneutisch grundlegende Formel, mit der zentrale Zitate aus der Bibel Israels eingeleitet werden: "damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten [NN] gesagt hat." Die deutsche Übersetzung des theologisch sinntragenden griechischen Verbs mit "erfüllen" ist zwar philologisch möglich, ich halte sie für die Hörer- bzw. Leserlenkung aber für fatal. Ist das Christusereignis wirklich die Erfüllung der an Israel ergangenen Verheißungen, so dass diese im Christusereignis nun 'aufgehoben' wären? Wohl nicht! Die Verheißung ist in der 'Erfüllung' nicht suspendiert. Matthäus geht es weder um eine christozentrische Deutung der überlieferten Schriften der Bibel Israels noch um eine Apologie des Christusereignisses. Es geht dem Evangelisten um die bleibende Bedeutung der Verheißungen auch für seine Gemeinde, die aus Juden und Nichtjuden besteht. Für Christen bestätigt und bekräftigt der Gott Israels in Jesus Christus die an Israel ergangenen Verheißungen (vgl. Röm 15,8), an denen die Christen partizipieren (dürfen), also: "damit bekräftigt/bestätigt wird, was der Herr durch den Propheten [NN] gesagt hat." Um die Treue des Gottes Israels geht es, die für die Christen in und durch Jesus Christus bezeugt ist (vgl. 2 Kor 1,18-20: Offb 3,14). Bleibt es allerdings bei einem traditionellen Verständnis der Sinnfigur 'Verheißung – Erfüllung', dann stellt das Christentum den jüdischen Glauben in steigernder Typologie regelrecht in den Schatten, so etwa Ambrosius (4. Jh.): "Der Schatten ging voraus, es folgte das Bild, dann wird die Wahrheit sein." Das aber trifft doch nur rhetorisch, nicht aber in der Sache!

Die Rede von einer vermeintlich besseren Gerechtigkeit und andere Stereotypen

In der EÜ 2017 ist Matthäus 5,20 so übersetzt: "Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen." Nach Matthäus sollen die Jüngerinnen und Jünger Jesu ihr Leben ganz darauf ausrichten, die Tora und die Propheten (vgl. Mt 5,17) zu hören, sich von ihnen leiten und führen zu lassen und sie im Leben zu verwirklichen. Die obige Übersetzung mit "weit größer" setzt die Aussage dem Missverständnis einer Überbietungs-Christologie aus. Eine genaue Übersetzung trifft die Intention des Matthäus und seiner Gemeinde, nämlich: "Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht mehr überfließt ..." Die Mitglieder der matthäischen Gemeinde verstehen sich nicht als bessere Juden (vgl. Mt 23,1.3), sondern als solche, die sich bemühen, die Gerechtigkeit Gottes immer mehr zu leben. Diesem Ziel sind die in Matthäus 5 folgenden sechs Beispiele verpflichtet, in denen es weder um eine Überbietung noch um eine Aufhebung der Tora geht, was die adversative Übersetzung der Einleitungsformel in Matthäus 5,21.27.32. 33.38.43 aber suggeriert (EÜ 2017: "Ich aber sage euch"). Die Formel folgt dem rabbinischen Diskussionsstil und ist philologisch zutreffend mit "Ich sage euch [erklärend] dazu" zu übersetzen. Der matthäische Jesus legt schlicht die Tora aus (vgl. Mt 28,20a) und bleibt dabei im Rahmen der jüdischen Auslegungsbreite seiner Zeit.

Fazit

Dies sind nur wenige Beispiele dafür, dass der Revision der Einheitsübersetzung von 2017 vielfach der theologische Mut fehlt, sich von dogmatischen Vorgaben zu verabschieden. Warum wurden bei der Revision der Einheitsübersetzung keine jüdischen Fachleute zugezogen, auch für den zweiten Teile der zwei-einen christlichen Bibel? Denn das Neue Testament ist von seinem Ursprung her eine jüdische Schrift; erst seine Auslegungs- und Wirkungsgeschichte ist eine christliche. Eine solche Zusammenarbeit ist nicht in erster Linie um der guten Beziehungen zwischen Christentum und Judentum, sondern um des christlichen Glaubens selbst willen theologisch notwendig, "denn die jüdische Lesung der Bibel stellt eine mögliche Leseweise dar [...]. Auf dem konkreten Feld der Exegese können die Christen [...] viel von der jüdischen Exegese lernen" (Päpstl. Bibelkommission, Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel [2001], Nr. 22.).

Editorische Anmerkungen

Dr. Heinz-Günther Schöttler ist Professor i. R. für Pastoraltheologie an der Universität Regensburg.
Quelle: Salzkörner, Nr. 6/2017; hrsg. v. Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).