Ruth Ahl
Feminismus im christlich-jüdischen Gespräch:
Bilanz und Perspektiven
In extremen Kreisen der Frauenbewegung wurden Religionen allgemein und jüdisch-
christliche Tradition im besonderen für die Minderbewertung von Frauen undifferenziert
verantwortlich gemacht. Andererseits wurde in Kreisen des weitgehend von einer Männer-
Elite geführten jüdisch-christlichen Dialogs die Frauenfrage bagatellisiert. Ihre Erwähnung
erntete, selbst bei Frauen, Unverständnis bis Ablehnung. In den USA hatten bereits in den
späten siebziger Jahren jüdische Feministinnen heftig darauf reagiert, daß sowohl
christliche wie sogenannte postchristliche feministische Theologinnen das Judentum und
seinen Monotheismus für den sogenannten ,Mord an der Göttin‘ und für den ,Sieg des
Patriarchats‘ verantwortlich machten und auf dem Hintergrund eines düster gemalten
frauenfeindlichen Judentums Jesus als ersten Feministen hochstilisierten.
Diese amerikanische Auseinandersetzung wurde hier zunächst kaum rezipiert. Erst als die
evangelische Theologin Katharina von Kellenbach diesen Fragenkomplex auch auf die deutsche
Szene übertrug, kam der Stein ins Rollen. Überwiegend im evangelischen Raum wurden die
zutage getretenen theologischen Antijudaismen zur Debatte gestellt und in bemerkenswert
hohem Maße auch ausdiskutiert. Dabei stellte sich heraus, daß die meisten feministischen
Theologinnen antijudaistische Vorurteile unkritisch übernommen und in ihre eigenen
theologischen Entwürfe mit eingebaut hatten. In Einzelfällen wurden sogar Veröffentlichungen
zurückgezogen und überarbeitet. Kritisch anzumerken ist, daß diese außerordentlich
wichtige Diskussion von den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit nicht
aufgegriffen wurde. Clemens Thoma, ein namhafter Vertreter des christlich-jüdischen
Dialogs, hatte bereits Mitte der achtziger Jahre die visionäre These vertreten: „Die
Theologie der Befreiung, die feministische Bewegung und die jüdisch- christliche Begegnung
werden das geistige Antlitz der Welt von morgen gestalten und verändern.“ Er wies
dabei auf die Dynamik dieser drei Strömungen hin, die darin übereinstimmten, daß sie
bestehende Unrechtsstrukturen kritisierten.
Gerade die feministische Bewegung, inklusive ihrer religiösen Komponente als
feministische Theologie, und jüdisch-christlicher Dialog könnten sich geschwisterlich nahe
sein. In ihrem 1996 erschienenen Buch „Auf der Seite des Todes das Leben. Auf dem Weg zu
einer christlich-feministischen Theologie nach der Schoa“1
stellt Britta Jüngst bedauernd fest, daß sich die beiden Diskussionszusammenhänge „getrennt
voneinander zu behaupten“ suchten. Ziel ihrer Arbeit ist, die beiden Fragestellungen
aufeinander zu beziehen. Sie hofft, „daß besonders der erfahrungs-bezogene Ansatz
feministischer Theologien für das krisengeschüttelte jüdisch-christliche Gespräch in der
Bundesrepublik Deutschland bedeutsam werden könnte“.
Auch im deutschen Judentum geht die Zeit der Einheitsgemeinden, wie sie in den
Nachkriegsjahren sich entwickelt haben, ihrem Ende entgegen. Eine jüngere Generation von Jüdinnen
beginnt, gegen den Stachel eines ihnen nicht mehr gemäß erscheinenden Frauenbildes in
diesen Gemeinden zu löcken. Solche Entwicklungen im zeitgenössischen deutschen Judentum müßten
von den christlich-jüdischen Gesellschaften aufgegriffen werden. Sie sollten Foren
schaffen, wo sich jüdische und christliche Frauen, die über die herkömmlichen
Rollenzuweisungen in ihren Denominationen hinausgewachsen sind, ohne sie verlassen zu
wollen, austauschen und einander bestärken könnten.
Ich nenne nur ein Stichwort: Die Schekhina-Vorstellung im mystischen Strang des
Judentums. So hat zum Beispiel die allzu früh verstorbene Marianne Wallach-Faller aus Zürich
die weibliche Schekhina-Anrede für Gott in ihre Gebets-Formulare eingebaut. Welcher
Bedeutungsreichtum gerade mit der Schekhina-Vorstellung ins Gottesbild einziehen kann, das
sei hier nur angedeutet. Pnina Navè Levinson hat drei bedeutende Bücher zu dem hier
anstehenden Fragenkomplex veröffentlicht.2 In „Eva
und ihre Schwestern“ hat sie selber den Schritt getan zum vollen Bekenntnis zu einer jüdisch-feministischen
Theologie. Das Erstaunliche ist, daß nicht nur Frauen aus dem liberalen oder
Reformjudentum, sondern auch orthodoxe Jüdinnen anfangen, ihre Tradition mit frauenbewußten
Augen anzusehen. Pnina Navè Levinson gibt aber auch zu verstehen, wie wenig die breitere Öffentlichkeit
sich dieser Problematik stellt. Höchst aufschlußreich ist auch das Buch „Die Jüdische
Mutter - das verborgene Matriarchat“ von Rachel Monika Herweg3,
einer Schülerin von Pnina Navè Levinson.
In den USA gibt es seit fast 30 Jahren eine reiche jüdisch-feministische Literatur. Nur
ganz wenig davon ist ins Deutsche übersetzt, nicht einmal der von Susannah Heschel vor
Jahren herausgegebene und seither mehrmals wieder aufgelegte Klassiker „On Being a Jewish
Feminist“.4 Auch die wichtige Sammlung von jüdischen
Frauen-Gebeten und spirituellen Frauen Texten „Mirjam's Well“5
gibt es nicht auf Deutsch, und schon gar nicht die seit 1979 bestehende jüdische
Frauenzeitschrift Lilith, von der Susanna Keval sagt, daß sie ihr Lebensbrot sei. In „Und
wieder stehen wir am Sinai – Eine jüdisch-feministische Theologie“ fordert Judith
Plasko6 nicht weniger als ein Zurückgehen bis zum
Sinai, um den vergessenen und verdrängten Frauenanteil in der jüdischen Überlieferung
herauszuarbeiten.
Abschließend soll noch an zwei Frauen erinnert werden, deren Andenken auch ein Anliegen
der christlich-jüdischen Gesellschaften sein sollte: Regina Jonas, die erste deutsche
Rabbinerin, 1935 vom liberalen Rabbiner von Offenbach ordiniert, eine Frau mit Vorbild- und
Schrittmacher-Funktion für die inzwischen zahlreichen Rabbinerinnen. 1902 in Berlin
geboren, wurde Regina Jonas 1942 nach Theresienstadt deportiert und ist 1944 in Auschwitz
umgebracht worden. Die andere ist Charlotte Klein.7
1914 in Berlin geboren, emigrierte sie in den dreißiger Jahren nach Israel, fand dort den
Weg zum Christentum und trat 1945 in Jerusalem dem Orden der Sionsschwestern bei. Sie hat
ihr Jüdisch-Sein nie verleugnet. Als sie 1984 in London starb, sprachen im
Totengottesdienst für diese katholische Nonne vier Rabbiner das Kaddischgebet. Rabbiner
Lionel Blue hielt die Predigt unter dem Motto „Ist schwer zu sein ein Yid“. Charlotte
Klein entfaltete eine breitgefächerte Dozententätigkeit in den USA und in England und veröffentlichte
1975 ein wichtiges Buch über die Antijudaismen in der zeitgenössischen christlichen
Theologie, speziell der deutschen. Dieses Buch wurde von der theologischen Wissenschaft
nicht rezipiert, ja totgeschwiegen – bis heute.
- Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1996, vgl. Freiburger Rundbrief 1/1997,52.
- Eva und ihre Schwestern – Perspektiven einer jüdisch-feministischen Theologie, 1992; Was wurde aus Saras Töchtern – Frauen im Judentum, 31993; Esther erhebt ihre Stimme – jüdische Frauen beten, 1993; Gütersloher Verlagshaus (Gerd Mohn).
- Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, vgl. Freiburger Rundbrief 3/1995, 226-227.
- Schocken Books & Knopf, New York 1995.
- Untertitel: Rituals for Jewish Women Around the Year. Biblio, New York 1990.
- Edition Exodus, Luzern 1992.
- Das Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf hat 1992 ein Erinnerungsbuch mit Texten von ihr und über sie herausgebracht: Edith Sauerbier (Hg.), Charlotte Klein – „Pionierin der Verständigung“ (vgl. Freiburger Rundbrief 2/1995, 141-142).