Gerhard Bodendorfer
Der „Neue Bund“
Eine Herausforderung für die Sprache der Verkündigung
Es geht uns hier um praktische Folgerungen aus dem Fragekomplex „Judentum und Liturgie“, der Gegenstand der Jahrestagung in Eisenstadt 1999 war. Ein Aspekt, der dabei eine nicht geringe Rolle gespielt hat, ist die Problematik der Rede vom „Neuen Bund“. Traditionell wird damit die mit Jesus beim letzten Abendmahl eingesetzte Wirklichkeit bezeichnet, die im Blut Jesu begründet und im Kelchwort der Eucharistie und im Trinken des Weins während der Kommunionfeier vergegenwärtigt wird.
In der Geschichte der Kirche war damit häufig das Verständnis einer Ablöse des sog. „alten“ Bundes mit Israel verbunden. Während dieser alte Bund mit dem sog. Alten Testament gleichgesetzt wurde, hat der Neue Bund sich im Neuen Testament niedergeschlagen, der somit auch das Alte ablöst. Diesem gängigen Missverständnis ist entgegenzuhalten:
- Bereits das Verständnis des Begriffs Testament ist missverständlich und biblisch ungebräuchlich. Der Begriff des Bundes ist damit sicher nicht identisch.
- „Bund“ meint biblisch eine dauerhafte Verbindung zwischen zwei Partnern, die ein Partner nicht einfach auflösen kann und biblisch trotz Vergehen gegen die Bundessatzungen nie aufgelöst wird.
- „Bund“ existiert im biblischen Hebräisch nur im Singular. Somit ist davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Reden vom Bund jeweils den einen und gleichen Bund meinen.
- Bundesschlüsse begleiten Gottes Wege mit seiner Schöpfung, so bei Noach im Hinblick auf die ganze Welt. Schon hier ist der Bund ewig und hat im Regenbogen ein symbolisches Zeichen.
- Weitere Bundesschlüsse treten dann auf, wenn der eine Bund auf neue Adressaten erweitert, präzisiert oder erneut eingeschärft wird. Ebenso gilt dies, wenn der Bund mit neuen Inhalten gefüllt wird oder neue Voraussetzungen hat. In der Abrahamsgeschichte wird der Bund zum ungeschuldeten Geschenk an das Volk Israel, wofür die Beschneidung als Zeichen steht.
- Besonders die Sinaiperikope gilt als Beispiel für den Bund mit Israel, der sich an die Befolgung der Gebote bindet. Die Sinaierzählung ist zugleich das prägnanteste Beispiel für die Integration verschiedener Bundesvorstellungen in ein Gesamtkonzept. Gleich viermal wird ein Bund geschlossen. Jeder der Bundesschlüsse reflektiert einen neuen Zugang zum Bund in geänderter Situation.
Der „Neue Bund“ bei Jeremia
Wichtig ist die Rede vom neuen Bund nach Jer 31,31. Sie besagt keineswegs eine Absage an den alten Bund sondern (nach Adrian Schenker):
- Solange JHWH sein Volk trotz seines Bundesbruches nicht verworfen hat, d.h. solange es das Volk Israel und Juda gibt, besteht auch der Bund weiter. Es hat ja die Verpflichtung in feierlichem Gelöbnis als dauernde auf sich genommen. Daher ist von einem „alten Bund“ auch nicht die Rede.
- So erklärt es sich, daß Jer 50,5 von einem „ewigen Bund“ (berit "olam) reden kann, ohne damit den neuen Bund meinen zu müssen.
- Erst zur Zeit Jeremias muß man nach Jer 15,1fürchten, daß der göttliche Garant des Gelöbnisses, das Israel am Anfang seiner Geschichte getan hatte, indem es sich selber dazu verpflichtete, die Tora zu bewahren, nunmehr die unerträgliche Wortbrüchigkeit seines Volkes nicht mehr weiter hinnehmen kann.
- Das Neue am Bund von Jer 31,33-34 ist folgerichtig die Vergebung und die „Impfung“ Israels (und Judas) gegen den Ungehorsam und Abfall von JHWH. Der neue Bund ist der alte, aber der gegen den Bruch gefeite Bund. Er braucht keinen Eid und kein Versprechen mehr. Denn seine Stabilität kommt ihm von der inneren Einpflanzung der Tora in den Menschen her.
- Mit dieser Veränderung des Herzens, das mit dem Denken und Wollen Gottes zusammengewachsen ist, ist dann allerdings doch mehr als das alte da. Denn ein solches Herz und ein solches Volk versteht JHWH viel tiefer und viel elementarer. Und so kann eine solche Menschheit dann Dinge aus der schon früher offenbarten Tora herausholen, die in der Tat neu und unerhört sind, wie der weise Hausvater aus seinem Schatz Altes und Neues hervorholt.
- Wenn Jesus in den Einsetzungsworten von einem neuen Bund spricht, so meint er damit ebenfalls keine Ablöse des alten, sondern eine Vergewisserung dieses Bundes in neuer Situation. Gerade der Hinweis auf das Blut verweist bewusst auf die Sinaiperikope in Ex 24 zurück. Die neu gegründete Gemeinschaft der Jesusjünger bedarf nach dem bisher Gesagten des Bundes, um sich selbst der Gemeinschaft mit Gott zu vergewissern. Sie hat durch den Bund mit Jesus Anteil an dem Bund mit dem Volk Gottes, der ihr vorausliegt.
Ein Bund – unzählige Aktualisierungen
Neben dem Noachbund zeigt auch Jes 19,24 auf, dass Bund sich über die Beschränkung auf Israel hinaus als universale Größe verstehen lässt. Auch die jüdische Tradition kann uns hier weiterhelfen. Sie kennt eine Fülle von Bundesschlüssen und Bünden mit den unterschiedlichsten Partnern. Das beginnt schon damit, dass Gott mit der Erde bei der Schöpfung einen Bund schließt. Nach bSota 37b etwa schließt er gleich mit jeder Person zu jedem einzelnen Gebot verschiedene Bestimmungen, die sich Bünde nennen, insgesamt 48x 603.550. Hier haben wir es also geradezu mit einer Inflation von Bünden zu tun. Letztlich ist damit aber nichts anderes ausgesagt, als dass Gott jeden Menschen für so wichtig erachtet, dass er mit ihm je einen eigenen Bund schließt. So verstanden kann man ohne weiteres von verschiedenen und mehreren Bünden reden. Es erschließt sich geradezu die Notwendigkeit, auch bei Jesus und im Abendmahl einen Bund zu verankern, will man das Ereignis und seine Wirkung ins rechte Licht rücken. Aber weder werden die anderen Bünde damit aufgehoben noch in ihrer Bedeutung erniedrigt. Vielmehr erschließt sich der Begriff Bund als Ausdruck einer intensiven und unverletzlichen Kategorie der Beziehung zwischen Gott und Mensch, die gerade durch die Mehrzahl die Offenheit und Lebendigkeit dieser Beziehung bestätigt und zugleich ihre Ernsthaftigkeit betont. Der Rückverweis auf den Sinaibund durch Jesus stellt dabei klar, dass er selbst seine Botschaft ganz in die Verheißungsgeschichte Gottes mit Israel hineinstellen wollte.
Paulus sagt in Röm 9,4f ausdrücklich über das Judentum: „Sie sind Israeliten; damit haben sie die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus, der über allem als Gott steht, er ist gepriesen in Ewigkeit. Amen.“ Die präsentische Formulierung sollte anzeigen, dass dieser Bund auch heute noch dem Judentum gilt. Gottes auserwähltes Bundesvolk bleiben die Juden. Der Bund ist durch Jesus nicht aufgehoben. Es ist aber auch nicht von zwei Bünden zu sprechen, da der Bund, den Jesus erneuert, kein anderer sein kann als der schon immer dem Judentum verheißene. Christen stehen als in einem Bund mit den Juden, ohne dass diese ihrerseits aus dem Bund fielen.
Christinnen und Christen: verBUNDen mit Israel
Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich daraus für eine christliche Liturgie und Theologie?
Die Erkenntnis, dass der neue Bund keine Ablöse, sondern vielmehr die Vergewisserung des alten Bundes bezeichnet, bedeutet eine Trendwende im christlichen Selbstbewusstsein. Nicht in Abhebung vom Judentum, sondern in der Verbindung mit dem Judentum wird christliche Identität gestaltet. Jede Eucharistiefeier ist nicht nur Vergegenwärtigung des Heils durch Jesus, sondern auch Vergegenwärtigung des Bundes mit dem Judentum. Er tritt ins Bewusstsein und verbindet uns auch liturgisch mit der jüdischen Geschichte und Tradition.
Ohne Erstes Bundesbuch, also ohne sog. Altes Testament haben auch Christen nur einen überaus beschränkten Zugang zu Gott. Sollte das Bewusstsein dieser Verbundenheit mit dem ersten Teil der Bibel nicht auch eine stärkere liturgische Bedeutung nach sich ziehen? Eine unabdingbare Verpflichtung zur Lesung aus dem Ersten Testament, bei der wir Christen ebenso aufstehen wie bei der Lesung aus dem Neuen Testament, sollte selbstverständlich sein.
Christen haben keinen Grund, 2000 Jahre Christentum zu feiern. Jesus war Jude und hat Zeit seines Lebens keine neue Religion gegründet. Wir sollten daher den langsam vor sich gehenden Trennungsprozess reflektieren und unser Augenmerk auf die ökumenische Perspektive der Verbundenheit richten, anstatt die – so ohnehin nicht stattgefundene – Religionsgründung zu feiern.
Die Erkenntnis, dass Juden weiterhin im Bund stehen, an dem wir durch Jesus vermittelt Anteil haben, verlangt dauerhafte Solidarität mit dem Judentum. Zugleich darf der Umstand, dass auch wir in den Bund hineingenommen sind, nicht dazu führen, ihn jetzt einseitig auf das Christentum auszulegen und das Judentum damit zu beerben. Gerade umgekehrt muss uns der Umstand, dass dem Judentum der Bund vor den Christen gegeben wurde und das Judentum Gottes erwähltes Bundesvolk ist und bleibt, dazu anleiten, in Liedern und Gesängen wie in der Rede vom Volk Gottes darauf zu achten, damit nicht vorschnell die Christen angesprochen zu sehen sondern in erster Linie die Juden. Sollten Lieder diesbezüglich missverständlich oder gar einseitig nur auf Christen bezogen sein, ist dringend zu überlegen, diese nicht mehr zu singen.